Kalendereintrag (Foto: Dominik Lapp)
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Bühne und Gesundheit: Warum das Publikum gerade jetzt dankbar sein sollte

91. 45. 48. Was diese Zahlen zu bedeuten haben? Es ist die Anzahl meiner Veranstaltungsbesuche der letzten drei Jahre. Im Jahr 2019, also vor der Corona-Pandemie, habe ich 91 Veranstaltungen besucht und darüber an dieser Stelle berichtet. 2020 waren es trotz Pandemie und zwei Lockdowns immerhin noch stolze 45 Veranstaltungen und 2021 waren es trotz Pandemie und einem Lockdown 48 Veranstaltungen. Mal sehen, wie viele es im Jahr 2022 werden. Ich kenne Menschen in meinem Umfeld, die seit knapp zwei Jahren keine Veranstaltung mehr besucht haben. Andere besuchen nur noch zwei oder drei Events im Jahr. Wenn überhaupt.

Was mir meine persönliche Statistik zeigt: Dass ich mich trotz so vieler Veranstaltungsbesuche bislang (im Theater!) nicht mit Corona infiziert habe, führe ich vor allem darauf zurück, dass ich mich an alle (Hygiene-)Regeln gehalten habe, die Hygienekonzepte in den kulturellen Einrichtungen funktionierten und ich durch Impfung und Auffrischung noch zusätzlich geschützt war. Ich habe Veranstaltungen in kleinen und großen Venues, in unterschiedlichen Städten und Bundesländern, im In- und Ausland besucht. Sehr viel indoor, wenig outdoor. Darunter war auch ein dreitägiges Rock-Festival, das zu einem Zeitpunkt unter „2G+“ stattfand, als es den Begriff „2G+“ noch gar nicht gab. Deshalb bin ich mir sicher: Theater sind sicher – insbesondere für das Publikum. Das sagt auch der Aerosolforscher Gerhard Scheuch, der hier in meinem Bericht zu Wort kommt.

Trotzdem kommt es aktuell unter Mitarbeitenden im Theater, vor allem beim künstlerischen Personal, das auf der Bühne steht, immer wieder zu Corona-Infektionsfällen. Und deshalb möchte ich meinen Dank aussprechen und meinen Respekt gegenüber Künstlerinnen und Künstlern bekunden. Denn wir dürfen eines nicht vergessen: Während wir 2020, zwischen den beiden Lockdowns, noch Vorstellungen gesehen haben, wo auf der Bühne mit Abstand gespielt wurde, keine Küsse und Berührungen, nicht einmal Requisiten ausgetauscht wurden, ist man auf der Theaterbühne mittlerweile wieder zur Normalität zurückgekehrt. Das ist für uns – das Publikum – großartig, dass wir wieder richtige Inszenierungen sehen können.

Aber uns sollte auch bewusst sein, dass die Menschen, die aktuell für uns auf der Bühne stehen, zu einer der ganz wenigen Berufsgruppen (u. a. neben Erziehenden) zählen, die während ihrer Arbeitszeit (auf der Bühne) nicht geschützt sind. Natürlich gibt es auch im Hinterhaus eines Theaters ein Hygienekonzept, Mitarbeitende werden regelmäßig (PCR-)getestet. Doch auf der Bühne wird kein Abstand gehalten, keine Maske getragen. Sicherlich sind Künstlerinnen und Künstler geimpft und (zumindest teilweise schon) geboostert. Und sicher sind sie alle (nicht zuletzt aus monetären Gründen) dankbar, wieder arbeiten zu dürfen, nachdem es ihnen so lange Zeit verboten war.

Trotzdem werfen sie allabendlich ihre Gesundheit in den Corona-Ring, spielen Russisch Roulette, um ihren Job für uns – das Publikum – zu machen. Damit sind Künstlerinnen und Künstler nicht weniger systemrelevant als beispielsweise medizinisches Personal. Auch sie halten unser System am Laufen. Künstlerinnen und Künstler sorgen zurzeit unter Einsatz ihrer Gesundheit dafür, dass wir die Pandemie zumindest kurzzeitig mal vergessen und unsere psychische Gesundheit erhalten können. Dafür sollten wir dankbar sein, statt uns zu beschweren, dass eine Veranstaltung kurzfristig abgesagt wurde, weil es innerhalb des Ensembles eines Theaters zu einem Corona-Ausbruch gekommen ist.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".