Musicalgala der anderen Art: „Broadway meets Pop“ auf Tour
Besetzungsänderungen, Konzeptanpassungen, Neuerungen – für Fans und Produzenten kein leichtes Thema. So auch beim Konzertformat „Broadway meets Pop“ geschehen, als Veranstalter Showslot vor einigen Monaten verkündete, den ursprünglichen Titel „Broadway Nights“ anzupassen und das Konzept inhaltlich zu erweitern. Die Intention: klassische Broadway-Nummern der letzten 100 Jahre mit dem Pop-Zeitgeist von heute zu verschmelzen – doch dies kam nicht bei allen gut an. Zusätzlich zwangen berufliche Verpflichtungen und Änderungen in der Cast-Riege zur Umbesetzung, sodass auch hier sicherlich nicht mehr alle Fanwünsche erfüllt werden konnten.
Doch wer jetzt der Tour von „Broadway meets Pop“ unter der künstlerischen Leitung von Marco Krämer-Eis eine zweite Chance gibt oder wer sich gerade bewusst für dieses Format entschieden hat, wird keine Musicalgala erleben, wie man sie schon so oft erlebt hat. Man wird einen Konzertabend genießen können, der sich fernab der üblichen Arrangements positioniert – und trotzdem auf „heiß geliebte“ Klassiker nicht verzichtet und diesen auch nicht den Glanz nimmt, den sie verdient haben. Vorhang auf.
Die Protagonistenrolle von „Broadway meets Pop“ wird ohne Zweifel der Solistenriege zugesprochen – eine Zusammensetzung, wie man sie nicht alle Tage auf der Musicalbühne erfährt und die sich durchaus sehen und vor allem hören lassen kann: Jan Ammann, Karolin Konert, Sophia Riedl, Patrick Stanke und als Special Guest The Voice of Germany-Gewinnerin und Hamilton-Darstellerin Ivy Quainoo. Sie alle erwecken diese Tour zum Leben und zeigen, warum vor allem Musical und Popmusik nicht voneinander zu trennen sind, sondern Hand in Hand einhergehen: Es gibt zahlreiche Popsongs, die ihren Ursprung im Musical suchen. So erinnert Gwen Stefanis „Rich Girl“ stark an „Wenn ich einmal reich wär“ aus „Anatevka“, und Ariana Grandes Hit „7 Rings“ ist unverkennbar von „My Favorite Things“ aus „The Sound of Music“ inspiriert. An Ariana Grande führt aktuell ohnehin kein Weg vorbei: Im neuen Wicked-Blockbuster schlägt sie als Sängerin und Schauspielerin eine eindrucksvolle Brücke zwischen Musical- und Popwelt.

Umgekehrt existieren auch Songs, die für Musicals geschrieben wurden und später weltweite Bekanntheit in der Popmusik erlangten – man denke nur an „You’ll Be in My Heart“, jene unverwechselbare Ballade, die Phil Collins 1999 für den Tarzan-Film komponierte. Und dann sind da noch Popsongs, die ihren Weg auf die Musicalbühne finden, weil sie sich so nahtlos in eine Geschichte einfügen: die sogenannten Compilation-Musicals wie „Moulin Rouge“, „& Julia“, „Mamma Mia“ oder „We Will Rock You“. Die Liste ist lang. Wie innovativ der Gedanke, aus dieser Vielfalt ein Musicalkonzert zu formen und den Fokus genau auf diese spannenden Wechselwirkungen zwischen Pop und Musical zu legen!
Das Schöne im Verlauf des Konzerts ist, dass man nicht jeden Song auf die erste Sekunde erkennt – es sind spannende, zum Teil sehr gefühlvolle oder auch sehr fetzige Arrangements, die einen nachdenken und mitschwingen lassen. Zudem zeigen die neuen Zusammensetzungen, wie vielseitig Pop und Musical sein können und wie sie sich immer und immer wieder neu interpretieren lassen. Der rote Faden ist geschickt gewählt und zieht sich weitestgehend verständlich durch den Abend. Aber natürlich dürfen auch sehnlichst erwartete Klassiker wie „Totale Finsternis“ aus „Tanz der Vampire“ oder „Lass jetzt los“ aus der „Eiskönigin“ nicht fehlen. Schließlich haben auch sie den Bezug zum Broadway – und noch mehr: Sie haben maßgeblich die Musicalwelt geprägt und begeistern seit Jahrzehnten ganze Generationen.
Wenn Solist Jan Ammann auf der Bühne steht, gibt es das heimliche Gesetz, dass er zumindest eine Nummer aus seiner doch so erfolgreichen Vampirvergangenheit zum Leben erwecken muss. Und auch hier das Schöne: Egal, wie oft man Ammann in seiner Paraderolle als Graf von Krolock schon lauschen durfte – er schafft es stets aufs Neue, alle abzuholen und letztendlich zu verführen: die, die ihn lieben, und die, die ihn vielleicht zum ersten Mal als Grafen hören. „Die unstillbare Gier“ ist unausweichlich sein Song – und immer wieder erfindet er sich neu, macht sich diese Nummer zu eigen und kreiert etwas Einzigartiges. Kombiniert mit der perfekten Mischung aus Witz, Sympathie und großer Stimme lässt er es sich – wie übrigens alle anderen auch – nicht nehmen, die ein oder andere Anekdote aus seinem Bühnendasein zum Besten zu geben.

Karolin Konert glänzt an diesem Abend nicht nur einmal an Jan Ammanns Seite, wobei ihr „Totale Finsternis“ mit dem unendlich langen, eindrucksvollen Schlusston definitiv hervorzuheben ist. Geschickt verbindet sie stimmliche Power mit der Fähigkeit, selbst die leisesten Zwischentöne sicher zu treffen – eine brillante Mischung aus Vielseitigkeit und leidenschaftlicher Hingabe für das, was sie auf der Bühne zum Leben erwecken darf. Auch erhält die Solistin in der besuchten Show die ehrenvolle Aufgabe, den Abend zu eröffnen, was ihr mit viel Sympathie auf den Punkt gelingt und das Publikum schnell auf ihre Seite zieht.
Als Dritte im Bunde: Sophia Riedl. Wer die Filme „Wicked“ und „Wicked: For Good“ bereits auf Deutsch im Kino sehen konnte, dem dürfte die Musicaldarstellerin nicht entgangen sein – ist es doch ihre ehrenvolle Aufgabe, Ariana Grande ihre deutsche, äußerst klangvolle Gesangsstimme zu leihen. Dies ist übrigens nicht Riedls erster Ausflug ins Synchronstudio: Auch „Arielle“ oder „Schneewittchen“ hat sie für Disney schon synchronisiert. Zeit, dieses Talent, gepaart mit großer Power und stimmlichem Facettenreichtum, auf der Bühne auszuleben.

Patrick Stanke gilt oftmals als Stimmungsmacher – und auch dieses Mal hat er das Publikum gut im Griff, als er dieses ambitioniert und voller Elan zum Sprechchor aufruft. Er unterhält bestens, hat die Lacher nicht nur einmal auf seiner Seite und zeigt zugleich, warum auch er nicht ohne Grund zu den bekanntesten Stimmen der Musicalszene zählt. Gelungen schlägt er die Brücke zwischen den leisen, zarten Tönen und den zugleich stimmgewaltigen, mitreißenden Momenten.
Ivy Quainoo ist der Stargast der Tour – und weist im wahrsten Sinne des Wortes Star-Qualitäten auf. Ihre warme, wunderschöne Stimme, gepaart mit der richtigen Prise Sympathie und einer unvergleichlichen und doch so leichten Bühnenpräsenz, lässt ihre Songs zu wahren Highlights im Ablauf werden. Ihre Unterstützer im Publikum feiern sie zurecht; für den Abend ist sie zweifellos eine Bereicherung.
Unbedingt erwähnt werden muss auch, dass das Konzept von angenehmen Moderationen, Übergängen und zeitweisen Improvisationen zeugt – es sind die Freiheiten der Solistinnen und Solisten, diesen ihre persönliche Note zu verleihen. All das verschafft der Show einen sympathischen und authentischen Rahmen und lässt den Abend äußerst kurzweilig erscheinen.

Spannenderweise bedarf es bei „Broadway meets Pop“ keinerlei Hintergrunddesign, Kulissen oder aufwändigen Projektionen – neben den Sängerinnen und Sängern (übrigens alle in ihren Outfits farblich und funkelnd perfekt aufeinander abgestimmt) stehen die sechs fantastischen Tänzerinnen und Tänzer (und Backing Vocals) in den herausragenden Choreografien von Selly Meier, die fünfköpfige, talentierte Band unter der musikalischen Leitung von Daniel Weiß und das doch etwas außergewöhnliche Lichtdesign (Jannis Wietschorke; Jaxlightdesign) im Vordergrund. Gerade Letzteres wurde während der ersten Tourstops bemängelt und als noch nicht ausgefeilt betitelt – mittlerweile kann davon gesprochen werden, dass das Lichtdesign einen der Hauptparts der Show ausmacht und diese bestens – und vielleicht auch auf neue Art und Weise – in Szene setzt. Sehr starke, aber gut punktierte Scheinwerfer tauchen die Szenerie ins perfekte Licht und untermalen das musikalisch Dargebotene auf ganzer Linie. Besonderes Highlight: die warmen Glühbirnen, die vor allem im 2. Akt passend heruntergelassen werden und die Performenden umschmeicheln. Warum auch hier nicht mal die Chance für etwas Neues geben?
Am Ende bleibt ein Abend voller (musikalischer) Überraschungen, brodelnder Stimmung, authentischer Geschichten, dem ein oder anderen gefühlvollen Moment und ein Publikum, das nicht mehr in den Sitzen gehalten wird. „Broadway meets Pop“ hat definitiv gezeigt, dass es spannender ist, auch mal von den konventionellen Musicalgalas – die alle ihre Berechtigung haben – wegzugehen und etwas Neues zu wagen. Denn die Herausforderung ist ja, langjährige Fans und solche, die Musicals eher selten besuchen, einzufangen und mitzunehmen. Und das ist hier definitiv gelungen. Das Stimmungsbarometer spricht für sich.
Text: Katharina Karsunke

