„Wicked“ Teil 2 im Kino (Foto: Universal Pictures)
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Düsterer als der Vorgänger: „Wicked: For Good“ im Kino

Ob der Musicalfilm „Wicked: For Good“ an den gigantischen Erfolg des ersten Teils anschließen kann? Mehr als 750 Millionen Dollar spielte „Wicked“ schließlich ein, und die Entscheidung, die Broadway-Vorlage auf zwei Filme aufzuteilen, erweist sich nun endgültig als Glücksgriff: Der zweite Teil adaptiert den gesamten zweiten Akt des Musicals und nutzt seine Laufzeit von 138 Minuten konsequent, um dorthin vorzudringen, wo das Bühnenstück oft nur skizziert. Die Rezension bezieht sich auf die englische Originalversion – und gerade diese entfaltet die volle emotionale und musikalische Wucht. In den deutschen Kinos sind aber erneut noch zwei weitere Sprachfassungen zu sehen: eine Mischversion mit deutschen Dialogen und englischen Songs sowie eine komplett deutsche Fassung mit den Gesangsstimmen von Sabrina Weckerlin als Elphaba, Sophia Riedl als Glinda und Philipp Büttner als Fiyero.

Die Welt von Oz öffnet sich im zweiten Teil merklich weiter. Die Kamera springt zwischen der flirrend grünen Smaragdstadt, Munchkinland, Elphabas verborgenem Waldversteck, ihrem Elternhaus, Nessaroses Residenz und schließlich dem unheimlichen Schloss der späteren Wicked Witch of the West hin und her. Diese geografische Ausweitung macht Oz größer, komplexer, politischer.

Dazu kommen abrupt wirkende Ortswechsel – Elphaba taucht mit ihrem Besen praktisch aus dem Nichts auf, Glinda schwebt in ihrer Bubble durchs Bild, und der Film erzählt sogar, wie sie überhaupt in diese kugelförmige Transportform hineingerät. Außerdem sieht man zu Beginn den Bau der gelben Ziegelsteinstraße: ein liebevolles Detail, das die Brücke zum „Zauberer von Oz“ schlägt und zeigt, wie Elphaba die für den Bau eingesetzten Tiere befreit.

Optisch schimmern manche Kulissen möglicherweise bewusst künstlich, fast wie auf einer Bühne. Das irritiert kurz, funktioniert dann aber als ästhetische Hommage an das Bühnenwerk – zum Beispiel der übergroße Kopf des Zauberers. Dass Regisseur Jon M. Chu nicht den fotorealistischen Weg sucht, sondern eine Hybridwelt zwischen Hollywood und Broadway erschafft, passt zu einem Musical, dessen Herz immer im Theater schlägt.

Vor allem aber lässt der Film seinen Figuren Raum zum Atmen. Ariana Grande verleiht Glinda eine wunderbare Tiefe: Ihre Glitzerfassade bekommt Risse, ihre moralischen Konflikte sind greifbar, ihr Schauspiel überzeugt weit über das hinaus, was man einem globalen Popstar vielleicht zugetraut hätte. Cynthia Erivo zeigt eine Elphaba, die in einem zunehmend faschistoiden Regime zwischen Widerstand, Verantwortung und persönlicher Schuld zerrieben wird. Ihre Performance von „No Good Deed“ ist ein Ereignis und so wuchtig wie verzweifelt.

Jeff Goldblum ist als Zauberer zugleich charismatisch, bösartig und ein armseliges Häufchen Eitelkeit – ein Mann, der erst spät erkennt, was er angerichtet hat. Michelle Yeoh gibt die manipulative Madame Morrible (deutsch: Madame Akaber) mit kalter Grandezza. Jonathan Bailey zeigt einen gereiften, ernsteren Fiyero, dessen Entwicklung wirklicher Erzähltiefe folgt. Ethan Slater verleiht Boq (deutsch: Moq) jene Tragik, die seine Verwandlung zum Blechmann erschütternd nachvollziehbar macht, und Marissa Bode als Nessarose berührt durch Stillheit und Schmerz.

„Wicked“ Teil 2 im Kino (Foto: Universal Pictures)

Das emotionale Herz des Films jedoch bleibt die Beziehung zwischen Elphaba und Glinda. Ihre Freundschaft, ihr Bruch, ihr Verständnis füreinander – all das kulminiert im Finale mit dem Song „For Good“, der der englischen Fassung ihren Untertitel verleiht, während die deutsche Fassung nur „Teil 2“ heißt. Dieser zu Tränen rührende Song – dieser große Musicalmoment – erreicht eine starke Mischung aus Abschied, Reife und Liebe.

Tonal schlägt der Film einen deutlich düsteren Ton an als der erste Teil. Die politische Ebene – Unterdrückung, Propaganda, die Erzeugung von Sündenböcken – tritt unverschleiert zutage. Gleichzeitig geht es um Entscheidungen, die etwas kosten, und um Freundschaft, die stärker ist als jedes Regime.

Musikalisch fügt sich das Neue nahtlos in das Vertraute. Stephen Schwartz ergänzt seinen Klassiker um die neuen starken Songs „No Place like Home“ für Elphaba und „The Girl in the Bubble“ für Glinda. Beide Songs erweitern die inneren Konflikte der Figuren, ohne wie angeklebte Zusatznummern zu wirken. Neue Reprisen von „Defying Gravity“ und „Popular“ setzen emotionale Akzente, die im zweiten Film ihren eigenen dramaturgischen Sinn bekommen.

Der Bezug zum „Zauberer von Oz“ ist clever dosiert: Dorothys Ankunft, der Löwe, die Vogelscheuche, der Blechmann, die berühmte Schmelzszene – alles ist da, ohne sich wie eine Pflichtübung anzufühlen. Stattdessen verweben diese Elemente die bekannte Story organisch in die düstere Vorgeschichte.

Am Ende steht ein Finale, das zugleich gewaltig und intim wirkt: Elphaba und Glinda, zwei Frauen, deren Wege sich unweigerlich trennen und die trotzdem nie ganz voneinander lassen. Der Film ist in diesem Moment genauso stark wie in seiner politischen Schärfe, genauso überzeugend wie in seiner visuellen Überzeichnung, genauso mutig wie in seinem Anspruch, die große Musicalgeste ins moderne Blockbuster-Kino zu transferieren.

„Wicked: For Good“ ist noch stärker als der erste Teil – dichter, emotionaler, klarer in seiner Haltung – und wie sein Vorgänger eine herausragende Musicalverfilmung, die Maßstäbe setzt. Und da Regisseur John M. Chu bereits in einem Interview andeutete, über einen möglichen dritten Teil nachzudenken (Material gäbe es reichlich, sei es aus Gregory Maguires Romanfortsetzungen oder aus gänzlich neuen Ideen), könnte Oz irgendwann weiterwachsen. Doch für den Moment gilt: Dieser zweite Teil ist für sich bereits ein Triumph.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".