
Interview mit Kerstin Ibald: „Ich brauche das ruhige Landleben und die aufregende Theaterwelt“
Kerstin Ibald gehört seit mehr als 25 Jahren zu den profilierten Musicaldarstellerinnen im deutschsprachigen Raum. Sie stand in Produktionen wie „Rebecca“, „Titanic“ oder „Next to Normal“ auf der Bühne, war bei Uraufführungen ebenso beteiligt wie bei Open-Air-Spektakeln. Im Interview spricht sie über die Zusammenarbeit mit Regisseur Erik Petersen, über ihre aktuelle Rolle in „Fame“, über die Unterschiede zwischen historischen und fiktiven Figuren – und darüber, wie sie zwischen der energiegeladenen Theaterwelt und dem ruhigen Leben an der Mosel ihren Ausgleich findet.
Du hast schon mehrfach mit Regisseur Erik Petersen gearbeitet. Welche Produktionen waren das?
Wir haben in Magdeburg „Rebecca“ gemacht, „Hairspray“ in Bonn, die letzte „Footloose“-Tournee und jetzt „Fame“ in Hamburg.
Wie ist die Zusammenarbeit mit ihm?
Wenn sie nicht so wäre, wie sie ist, dann hätte ich wohl nicht so viel Lust, immer wieder mit ihm zu arbeiten. Erik Petersen ist ein Regisseur, der verstanden hat, wie wichtig es ist, dass Menschen sich wohlfühlen bei ihrer Arbeit. Natürlich fordert er Leistung – das ist sein gutes Recht. Aber er weiß, dass man viel mehr geben kann, wenn man sich in einem Arbeitsumfeld geborgen fühlt. Das schätze ich sehr. Es ist immer ein inspirierender Austausch darüber, wie man eine Rolle oder eine Situation gestalten kann, was vielleicht noch alles drinsteckt. Ich arbeite unglaublich gerne mit ihm.
Aktuell spielst du Miss Sherman in „Fame“. Was reizt dich an dieser Rolle?
Sie ist eine sehr zwiespältige Figur. Sie sorgt als strenge Lehrerin für Disziplin und Ordnung, und ihr ist wichtig, dass die akademische, intellektuelle Seite der Schüler genauso gefördert wird wie das künstlerische Talent. Das finde ich persönlich auch sehr richtig. Sie wirkt oft streng oder schroff, als seien ihr andere Dinge egal. Aber das stimmt nicht – im Gegenteil. In Momenten, in denen sie allein ist, zeigt sich, wie viel ihr diese jungen Menschen bedeuten und wie wichtig es ihr ist, sie auf einen guten Weg zu bringen. Viele junge Leute verstehen erst später im Leben, warum es wichtig ist, bestimmte Dinge zu lernen oder durchzuhalten. Genau das verkörpert Miss Sherman.
Wie näherst du dich so einer Figur an?
Ich habe sie von Anfang an sehr gut verstanden. Dann gehe ich Szene für Szene durch, überlege, was in ihr steckt, und versuche, die Dreidimensionalität dieser Frau auch in kurzen Momenten durchscheinen zu lassen. Selbst wenn ich nur zwei Sätze sage, soll immer das ganze Paket Miss Sherman auf der Bühne präsent sein.

Das Stück spielt an der legendären High School of Performing Arts. Erkennst du Parallelen zu deiner eigenen Ausbildung?
Absolut. Bei uns waren es weniger Bewerber, aber es haben trotzdem Hunderte vorgesungen, vorgespielt, vorgesprochen – und nur ein Bruchteil wurde genommen. Ich weiß sehr genau, wie es sich anfühlt, nicht genommen zu werden, denn ich bin bei meiner ersten Aufnahmeprüfung durchgefallen. Erst im zweiten Anlauf hat es geklappt. Diese Gefühle – Ablehnung, Überforderung, aber auch das Glück, es endlich geschafft zu haben – kann ich gut nachvollziehen. Auch die Härte der Ausbildung. Ich erinnere mich an Momente im Ballettunterricht, in denen ich dachte: „Ich sehe mich da nicht.“ Trotzdem bin ich dankbar für alles, was ich gelernt habe, auch wenn mein Körper nicht für eine große Tanzausbildung gemacht war. Musical ist ein harter Beruf – man muss es wirklich lieben, um durchzuhalten.
„Fame“ sprüht vor Energie. Wie ist es, Teil eines so dynamischen Ensembles zu sein?
Sehr spannend. Es erinnert mich an meine eigene Anfangszeit, als ich selbst diese ungezügelte Energie hatte. Es ist berührend, diese jungen Kolleginnen und Kollegen zu sehen, für die es teilweise die erste große Bühnenerfahrung ist. Das wirft mich zurück in meine Zeit – und dann ziehe ich mich aber auch gerne wieder zurück, um in Ruhe meinen eigenen Weg zu gehen. Es ist eine Freude, mit so viel frischer Energie auf der Bühne zu stehen.
In Erfurt hast du in „Titanic“ mit Ida Straus eine historische Figur verkörpert. War das noch mal eine andere, vielleicht besondere Herausforderung?
Ich habe das sehr geliebt. Diese Produktion war fantastisch und kommt glücklicherweise wieder. Für mich ist es immer eine große Verantwortung, einer realen Person gerecht zu werden. Anders als bei fiktiven Figuren beginnt die Arbeit nicht nur mit dem Libretto, sondern mit viel Recherche. Ich will wissen: Wer war dieser Mensch? Was hat ihn bewegt? Das ist dann die Basis, die ich in meine Darstellung einfließen lasse. Somit ist es immer eine besondere Herausforderung, wenn man Figuren spielt, die real existiert haben.

Eine Paraderolle von dir war Mrs. Danvers in „Rebecca“. Davor hast du Beatrice gespielt. Wie hast du den Rollenwechsel erlebt?
Für mich war das gar nicht so schwer, weil ich von Anfang an Zweitbesetzung für Mrs. Danvers war. Ich habe also beide Rollen parallel erarbeitet. Natürlich war es etwas ganz Besonderes, in der Uraufführung Beatrice zu entwickeln – das bleibt einzigartig. Gleichzeitig hat es mich gereizt, innerhalb derselben Geschichte eine so völlig andere Figur spielen zu dürfen. Ich empfinde das nicht als Wechsel, sondern eher so, als würde ich auf einer großen Farbpalette einen anderen Ton wählen.
Welche Herausforderungen gab es bei der Open-Air-Produktion in Magdeburg?
Die langen Wege! Erik Petersen arbeitet gern mit stummen Szenen, die zusätzliche Ebenen erzählen. Da musste ich manchmal während anderer Szenen auf der Bühne agieren, etwa beim Fund des Amors. Alles musste exakt getimt sein, sonst wäre ich nicht rechtzeitig am nächsten Einsatzort gewesen. Bei so langen Wegen ist das knifflig. Aber ansonsten war es ein Geschenk: dieses großartige Bühnenbild, das Element Wasser – das war fantastisch.
Bei der Rollenauswahl: Was ist dir wichtiger – Vielfalt oder Tiefe?
Ein Zusammenspiel. Ich mag die Abwechslung: große Rollen, kleinere Rollen, Haupt- und Nebenparts. Alles hat seinen Reiz. Ich bin viel unterwegs, spiele an Stadttheatern, Staatstheatern, bei Sommerfestspielen. Da bin ich auch froh, nicht immer die ganze Last auf meinen Schultern zu tragen. In „Fame“ habe ich nicht so viel Text, aber ich kann der Figur trotzdem Tiefe geben. Am Ende hängt es ohnehin von einem selbst ab, wie viel Farbe und Facetten man in eine Rolle legt. Ich hatte in den letzten Jahren großes Glück – es sind nur schöne und interessante Rollen auf mich zugekommen.
Gab es auch mal eine Rolle, die du eigentlich gar nicht spielen wolltest, die du aber annehmen musstest, weil man als Künstlerin ja auch Miete bezahlen muss?
Nein, so etwas habe ich nie gemacht. Es gibt Rollen, die mich weniger erfüllt haben, und andere, die ich sofort wieder spielen würde. Aber ich habe in 25 Jahren keine einzige Rolle gehabt, bei der ich sagen würde, dass ich sie nie mehr spielen möchte.
Welche würdest du sofort wieder spielen?
Diana in „Next to Normal“.
Du musstest gar nicht lange überlegen. Warum gerade diese Rolle?
Weil sie ein absoluter Ausnahmecharakter ist – eine gigantische Rolle für eine Frau in meinem Alter und Stimmfach. Sie fordert alles: sängerisch, schauspielerisch, emotional. Über 20 Nummern, alle Emotionen, von ekstatisch bis zerbrechlich. Das ist ein Höllenritt. Ich war nach jeder Vorstellung völlig erschöpft – ähnlich wie bei der bösen Fee in „Dornröschen“, die körperlich auch sehr anstrengend war und die ich gern noch mal spielen würde. Aber bei „Next to Normal“ kommt noch etwas hinzu: Wir hatten keinen richtigen Abschluss, weil die Produktion durch Krankheit im Team frühzeitig endete. Es blieb eine offene Rechnung. Deshalb: Diese Rolle darf mich jederzeit wieder besuchen. (lacht)
Wie schaltest du nach intensiven Proben- und Vorstellungsphasen ab?
Nach Proben eigentlich gar nicht, weil ja direkt die Vorstellungen beginnen. Nach einer Aufführung bin ich ziemlich langweilig unterwegs: Wenn Freunde da sind, sitze ich noch auf ein Glas zusammen. Ansonsten gehe ich nach Hause, mache mir einen Tee, dusche, schalte vielleicht noch den Fernseher ein oder höre einen Podcast. Ich brauche Ruhe, um runterzukommen. Und wenn ich nach einer Produktion nach Hause an die Mosel fahre, ist das ein ganz bewusstes Zurückschalten. Ich schaue aus dem Fenster, sehe Rehe im Garten, gehe spazieren – das erdet mich. Aber irgendwann kommt dann auch wieder das Bedürfnis nach Bühne, Kolleginnen und Kollegen, Musik. Ich brauche das ruhige Landleben und die aufregende Theaterwelt. Beides. Das ist mein Leben.
Interview: Dominik Lapp