„Die Zauberflöte“ in Detmold (Foto: Dominik Lapp)
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Interessante Coming-of-Age-Story: „Die Zauberflöte“ in Detmold

Dass Mozarts „Zauberflöte“ am Landestheater Detmold bereits in der zweiten Spielzeit zu sehen ist, ist kein Zufall, sondern Ergebnis einer Inszenierung, die sich klug zwischen Werktreue und zeitgenössischer Lesart bewegt. Regisseur Dirk Schmeding erzählt die Zauberoper konsequent als Coming-of-Age-Geschichte: Prinz Tamino legt seine Uniform ab, steht buchstäblich in Boxershorts da und tritt durch eine kleine Tür in eine Parallelwelt, in der nichts mehr so ist wie zuvor. Diese Türen sind das zentrale Symbol des Abends. Sie öffnen sich immer wieder neu, markieren Übergänge, Entwicklungsstufen, Erkenntnissprünge. Tamino, Pamina und Papageno müssen sich selbst kennen lernen, erwachsen werden und sich gegen die erstarrten Weltanschauungen von Sarastro und der Königin der Nacht behaupten, die hier nicht als simple Gegenspieler, sondern als Repräsentanten überkommener Ordnungen erscheinen.

Schmeding nimmt dabei dem Libretto Emanuel Schikaneders behutsam, aber wirkungsvoll die problematischen Spitzen. Struktureller Rassismus und Misogynie werden durch leichte Textänderungen und moderate Kürzungen eliminiert, ohne dass das Werk seine Balance oder seinen Witz verliert. Besonders eindrücklich geraten die Feuer- und Wasserprobe: Tamino und Pamina fahren durch eine nüchterne Aufzugstür, aus der sie mit sichtbaren Brandspuren an der Kleidung zurückkehren. Die Initiation ist hier kein abstraktes Ritual, sondern eine physische Erfahrung, die Spuren hinterlässt.

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Pascal Seibickes Bühnenbild und Kostüme sind bewusst schlicht gehalten, nicht zuletzt, weil die Produktion tourt. Gerade diese Reduktion erweist sich als Stärke. Ein großer Mond begleitet die Königin der Nacht und verleiht ihren Auftritten eine kühle Erhabenheit. Sarastros Reich erscheint als eine Art wissenschaftliche Einrichtung, ein Ort rationaler Ordnung, der dennoch nicht frei von Dogmatik ist. Ansonsten gibt es die bereits erwähnten Türen, während Papageno anfangs einen fahrbaren Vogelkäfig bei sich hat. In den Kostümen steckt viel erzählerisches Detail: Papageno trägt ein Pfadfinderhemd, übersät mit Vogelkot, Federn kleben in den Haaren. Die Königin der Nacht überrascht in Weiß statt im erwartbaren Schwarz oder Blau und gewinnt dadurch eine fast gespenstische Reinheit. Das Licht von Udo Groll schafft dazu stimmige Atmosphäre.

„Die Zauberflöte“ in Detmold (Foto: Dominik Lapp)

Im Graben sorgt Michael Spassov mit dem Symphonischen Orchester Detmold für einen Höhepunkt nach dem anderen: Tempi und Übergänge sind wohlüberlegt, Holzbläser und Hörner setzen feine Akzente, die Streicher bleiben schlank und beweglich. Spassov arbeitet die märchenhafte Leichtigkeit ebenso heraus wie die philosophische Tiefe der Musik. Der von Francesco Damiani gut einstudierte Chor fügt sich zudem homogen ins Gesamtbild und überzeugt durch klare Artikulation und Präsenz.

In den Solopartien zeigt sich ein durchweg starkes Ensemble. Stephen Chambers ist ein Tamino mit fabelhaftem Tenor, strahlend in der Höhe, lyrisch geführt und darstellerisch glaubwürdig in seiner Entwicklung vom suchenden Jüngling zum selbstbestimmten Erwachsenen. Karola Sophia Schmid gestaltet eine Pamina mit klarem Sopran, der besonders in den innigen Passagen berührt. Ricardo Llamas Márquez gibt einen soliden Sarastro, würdevoll und stimmlich zuverlässig, ohne ins Starre zu kippen.

Julia Gromball triumphiert als Königin der Nacht, hier als alte Dame mit Gehstock, in den ein Messer integriert ist. Diese Figur ist ebenso gefährlich wie verletzlich, und Gromballs fantastische Koloraturen sitzen präzise und funkelnd. Jonah Spungin ist als Papageno der unangefochtene Publikumsliebling: als Naturbursche und Pfadfinder spielt und singt er grandios – mit Timing, Charme und großer Musikalität. Die herrliche Marianna Nomikou erscheint als Papagena in der Gestalt eines überdimensionalen Eies. Nikos Striezel zeichnet Monostatos als schmierigen Typen im Trenchcoat mit Unterwäsche darunter, unangenehm nahbar und darstellerisch überzeugend, während Andreas Jören souverän den Sprecher gibt.

Auch die weiteren Rollen sind sorgfältig besetzt: Die drei Damen mit Christin Stanowsky, Franziska Pfalzgraf und Irina Meierding agieren stimmlich ausgewogen, die drei Knaben mit Meta Hildebrandt, Viktoriia Shipunova und Victoria Maria Zyffert überzeugen durch Klarheit im Gesang. Ji-Woon Kim und Hojin Chung geben den zwei Geharnischten die nötige Gravität.

So zeigt sich „Die Zauberflöte“ in Detmold als reife und intelligente Arbeit, die das Märchen ernst nimmt, ohne es zu verklären, und die Fragen nach Erwachsenwerden, Selbstbestimmung und dem Hinterfragen alter Autoritäten mit Leichtigkeit und Tiefgang zugleich verhandelt.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".