„Priscilla“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)
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Schillerndes Plädoyer für Toleranz: „Priscilla“ in Tecklenburg

Wenn Donald Trump von dieser Musical-Inszenierung wüsste, würde er vermutlich einen Einreisestopp für „Priscilla – Königin der Wüste“ verhängen. Allein deshalb ist es wichtig, dass die Show gespielt wird. Doch die diesjährige Sommerproduktion der Freilichtspiele Tecklenburg ist weit mehr als nur ein trotziges Statement gegen reaktionäre Engstirnigkeit. Sie ist ein Fest des Lebens, der Vielfalt, des Andersseins – und ein Spektakel voller Glitzer, Glamour und Gefühle.

Basierend auf dem gleichnamigen Kultfilm von Stephan Elliott, der auch zusammen mit Allan Scott das Buch zum Musical schrieb, erzählt „Priscilla“ die Geschichte dreier Drag-Performer, die sich mit einem klapprigen Bus quer durch das australische Outback aufmachen – auf der Suche nach Auftritten, nach Aussöhnung, nach sich selbst. Die Handlung mag auf einen Bierdeckel passen und hat buchbedingte Längen, doch die Themen, die das Stück verhandelt, sind heute aktueller denn je: Identität, Selbstfindung, Toleranz, Liebe und Familie.

Ulrich Wiggers gelingt mit seiner Regie ein Kunstgriff: Statt das Musical nur als quietschbunte Jukebox-Show abzufeiern, zeichnet er seine Figuren mit großer Empathie, Tiefe und starker Kontur. Tick alias Mitzi (Adrian Becker), der liebevolle Vater und zerrissene Performer, Bernadette (Gerben Grimmius), die alternde, aber würdevolle trans* Frau, und der wilde Adam alias Felicia (Tobias Bieri), jung, radikal, verletzlich – sie alle sind mehr als Drag-Queens in Plateaustiefeln. Wiggers macht ihre seelischen Kämpfe sichtbar, gibt ihnen Raum und Würde.

„Priscilla“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)

Ein genialer Einfall: Die drei Diven (allesamt stimmstark: Rachel Marshall, Bettina Meske und Amber Schoop) fungieren nicht bloß als glamouröse Background-Stimmen wie in anderen Produktionen, sondern sind hier als Alter Egos, innere Stimmen, emotionale Seismografen der Hauptfiguren inszeniert. Sie kommentieren, treiben an, spiegeln – ein kluger Regieansatz, der das Innenleben der Charaktere nach außen kehrt.

Auch das australische Tierreich wird bei Ulrich Wiggers lebendig: Kängurus, Koalas und überdimensionale Spinnen sind nicht nur pittoreske Kulisse, sondern bewegen – im wahrsten Sinne des Wortes – den Bus Priscilla und damit auch die Handlung. Diese kleinen, liebevoll gestalteten Einfälle verleihen der Inszenierung eine besondere Note.

Die drei Hauptdarsteller tragen die Show mit großer stimmlicher wie darstellerischer Kraft. Adrian Becker als Tick balanciert glaubhaft zwischen Pflichtgefühl und Angst, seine Stimme changiert zwischen Sanftheit und Power. Tobias Bieri bringt als Adam eine energiegeladene Frechheit auf die Bühne, die in ihren leiseren Momenten umso berührender wirkt. Und dann ist da Gerben Grimmius als Bernadette – eine Offenbarung! Mit Grandezza, Witz und Gefühl spielt und singt er sich in die Herzen des Publikums. Grimmius stellt seine Figur mit so viel Respekt und Menschlichkeit dar, dass er die Entdeckung dieser Inszenierung ist.

„Priscilla“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)

Doch auch das restliche Ensemble ist hochklassig besetzt. Benjamin Eberling gibt dem warmherzigen Mechaniker Bob ein leises Profil voller Würde. Gülfidan Söylemez spielt als Marion Ticks Ex-Frau, die zwischen Pragmatismus und Herzlichkeit vermittelt. Michael B. Sattler überzeugt als Drag-Veteran Miss Understanding in der Eröffnungsnummer. Til Ormeloh als Jimmy, Mathias Meffert als Frank und Giulia Fabris als Cynthia bringen auch in Nebenrollen starke Präsenz und stimmliche Qualität auf die Bühne. Esther Larissa Lach als Shirley glänzt ebenfalls stimmlich wie schauspielerisch, während Nicolai Schwab als junge Bernadette in einer kurzen Szene das Publikum bewegt.

Giorgio Radoja sorgt am Dirigentenpult für ein flottes, rhythmisches Tempo. Der Musikalische Leiter setzt die Jukebox-Hits – darunter „I will survive“, „It’s raining Men“ oder „Go West“ – pointiert und mitreißend um. Die Songtexte bleiben im englischen Original, die deutschen Dialoge stammen von Michael Alexander Rinz, sind klug und niemals platt. So wird die Botschaft des Musicals auch sprachlich authentisch transportiert.

Francesc Abós liefert mit seiner Choreografie ein Feuerwerk an Bewegung und Ausdruck. Die Tänze erzählen, vertiefen, konterkarieren – sie sind integraler Bestandteil der Regie und nie bloße Revue-Nummer. Die Körper der Mitwirkenden sprechen hier ihre eigene Sprache.

„Priscilla“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)

Das Bühnenbild von Jens Janke ist kreativ: Eine abstrakte Wüstenlandschaft mit geschwungenen Dünen, Gendersymbolen und überdimensionalen Lippen schafft eine Szenerie, die sich irgendwo zwischen Pop-Art und Aborigine-Kunst verortet. Der Bus, in drei Segmenten gebaut und an einer Seite offen, erlaubt Einblicke in das Innenleben dieser fahrenden Arche der Vielfalt. Links vom Bus eine kleine Bar – ein Ort der Begegnung, der Träume, der Enttäuschungen.

Und dann diese Kostüme! Fabienne Ank lässt das Publikum förmlich baden in einem Meer aus Glitzer, Strass, Federn, bunten Tierkostümen und Barbie-Puppen am Rocksaum. Ihre Kreationen sind nicht nur Augenweide, sondern Charakterbeschreibung. Jeder Fummel erzählt eine Geschichte, jeder Paillettenanzug eine Sehnsucht.

Warum man „Priscilla“ in Tecklenburg gesehen haben muss? Weil die Produktion etwas zu sagen hat. Über das Recht, anders zu sein. Über das Glück, sich selbst zu finden. Über die Kraft der Freundschaft. Und über eine Welt, in der ein Bus zum Symbol für Freiheit wird. Kurzum: Dieses Musical ist ein schillerndes Plädoyer für Toleranz.

Text: Dominik Lapp

„Priscilla“ in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)
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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".