Ulrich Wiggers (Foto: Dominik Lapp)
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Zwischen Gummistiefeln und High Heels: Probenbesuch bei „Priscilla“ in Tecklenburg

Ein Frühsommerabend im malerischen Tecklenburg. Es ist einer dieser frühen Juniabende, an denen der Sommer noch zögert. Eine Stunde vor Probenbeginn gießt es in Strömen – als wollte das Wetter selbst überprüfen, ob die Open-Air-Produktion des Musicals „Priscilla“ wirklich bereit ist für den Ernstfall. Aber pünktlich um 19.30 Uhr: Aufklaren. Ein Sonnenstrahl bricht durch die Wolkendecke, als würde das westfälische Wetter das Startsignal für die Freilichtsaison 2025 geben.

Auf der Freilichtbühne in der ehrwürdigen Burgruine sammeln sich Ensemble- und Chormitglieder, das Kreativteam und das technische Personal. Die Luft ist kalt, viele tragen dicke Pullover und Regenjacken, manche haben sich in Schals gehüllt. Trotzdem wird konzentriert gearbeitet. Aufwärmen, Einsingen, letzte Abstimmungen. Alles unter freiem Himmel – das macht die Freilichtspiele Tecklenburg aus.

Proben in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)
Hinter den alten Burgmauern wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit geprobt – wir durften exklusiv dabei sein.

Ein Mann mitten im kreativen Getriebe

Mitten in diesem kreativen Getriebe: Ulrich Wiggers. Regisseur, langjähriger Wegbegleiter der Bühne – und in diesem Jahr gleich mit zwei Mammutprojekten betraut. Er inszeniert „Titanic“ und eben auch „Priscilla – Königin der Wüste“. „Das ist schon besonders“, sagt Wiggers mit einem Lächeln. „Ich wollte eigentlich nur ein Stück machen, und jetzt reise ich durch Australien und sinke mit einem Schiff im Atlantik.“ Seine Augen leuchten, als er davon erzählt. Ein Regisseur, der sich weder vom Wetter noch von technischen Grenzen einschüchtern lässt – sondern mit Fantasie dagegenhält.

„Priscilla“, die Geschichte dreier Dragqueens, die in einem umgebauten Bus durch das australische Outback touren, ist eine quietschbunte Hommage an Freiheit, Identität und Freundschaft. Doch Ulrich Wiggers, den im Theater alle nur Ulli nennen, will mehr: „Mich interessiert vor allem die emotionale Tiefe der Figuren. Es ist nicht in meinem Sinne, nur an der Oberfläche zu kratzen.“

Zugang zur Bühne in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)
Durch das Burgtor passt kein echter Bus – also muss eine kreative Lösung her.

Wird es einen echten Bus auf der Bühne geben?

Ein zentrales Bühnenelement ist – natürlich – der namensgebende Bus. Doch ein echter Bus? „Wahrscheinlich erwarten die Leute genau das, weil wir draußen spielen“, vermutet Wiggers. Doch selbst auf der Freilichtbühne mit ihrer Breite von rund 90 Metern ist das undenkbar. „Er würde nicht mal durch das Burgtor passen“, sagt der Kreativkopf. „Darüber hinaus muss er sich auch drehen können, und Szenen spielen ja auch im Inneren, was bei einem echten Bus nicht möglich wäre.“

Stattdessen arbeitet das Team an einer beweglichen Konstruktion, die von etwas ganz Besonderem bewegt wird: von Tieren. Ja, wirklich. „Ich liebe die australische Tierwelt“, erklärt der Regisseur. „In meiner Version begleiten Kängurus, Koalas & Co. die drei Hauptfiguren. Sie helfen, symbolisieren Schutz – und, ganz praktisch, sie bewegen den Bus.“ Diese Idee ist mehr als ein Gimmick: Sie zieht sich als poetischer Faden durch die gesamte Inszenierung. Kostümbildnerin Fabienne Ank hat eigens für die Tierfiguren aufwändig gestaltete Outfits entworfen – samt High Heels.

Zusammen mit Choreograf Francesc Abós setzt der Regisseur außerdem auf eine enge Verzahnung von Tanz und Schauspiel. „Wir wollten keine Aneinanderreihung von Shownummern“, betont Wiggers. „Alles soll fließen, eine Geschichte erzählen.“

Die vierwöchigen Proben sind durchgetaktet. Drei Blöcke pro Tag, sieben Tage die Woche. Vormittags, nachmittags, abends. „Wenn ich an kleineren Szenen arbeite – etwa mit den Hauptdarstellern – dann gehen wir auch mal in den Hofbereich bei den Toiletten“, erzählt Ulrich Wiggers mit einem Schmunzeln. „Klingt komisch, ist aber erstaunlich ruhig und produktiv.“

Ein Teil des „Priscilla“-Bühnenbilds (Foto: Dominik Lapp)
Drei Dragqueens reisen in einem Bus quer durch Australien – das muss sich auch im Bühnenbild widerspiegeln.

Diven als dramaturgischer Kunstgriff

Vom ersten Tag an wird draußen geprobt. Ist das Wetter allerdings zu schlecht, kann das Team gelegentlich auch in eine Turnhalle ausweichen. Mit dem Wetter steht und fällt auf einer Open-Air-Bühne ohnehin alles. Bühnenbildner Jens Janke steht in Arbeitskleidung vor einer halbfertigen Bühne. Er wirkt leicht frustriert. „Seit drei Tagen kann ich nicht malen“, sagt er. Die Teile für das Outback-Panorama sind so groß, dass sie nicht in der Werkstatt, sondern nur im Außenbereich bemalt werden können. Dazu ist gutes Wetter unabdingbar. „Ich will einfach nur malen, malen, malen“, so der Bühnenbildner. Das wird er in den nächsten Tagen auch wieder vermehrt tun, denn die Wetteraussichten sind sonnig – so wie das australische Outback, das in Tecklenburg als abstrakte Landschaft zwischen Staub, Sonne und Burggemäuer entsteht. Australien als Sehnsuchtsort – und Projektionsfläche.

Ein weiterer dramaturgischer Kniff der Inszenierung betrifft die so genannten Diven. In bisherigen Inszenierungen oft bloß glamouröse Solistinnen im Glitzerkostüm, sollen sie in Tecklenburg eine tiefere Bedeutung bekommen. „Jede Diva steht symbolisch für eine unserer Hauptfiguren“, erklärt Wiggers. „Sie sind ihre Spiegel, ihre inneren Stimmen, ihre Sehnsüchte.“ Es ist diese konsequente psychologische Lesart, die der Inszenierung offenbar eine überraschende Ernsthaftigkeit verleihen wird. Keine Angst vor Glitzer, aber auch keine Angst vor Schmerz.

Zuschauerraum in Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)
Noch sind die Bankreihen im Zuschauerraum leer – aber nicht mehr lange.

Das Ensemble trägt die Vision

Und das Ensemble? Es trägt diese Vision mit. Trotz Kälte und Regen. Trotz High Heels auf unebenem Naturboden. „Wir haben ein sehr offenes, engagiertes Team“, weiß Ulrich Wiggers. „Jeder geht mit – das ist in Tecklenburg fast schon Tradition.“

Natürlich gibt es Einschränkungen. Kein Schnürboden, keine Dunkelheit zu Vorstellungsbeginn, wie in einem geschlossenen Theater. Dafür Sonne, Wind, Vogelstimmen. „Aber gerade das macht es so spannend“, sagt der Regisseur, der jahrelang selbst auf der Bühne gestanden hat. „Ich sehe die Bühne hier nicht als Hindernis – sondern als Einladung zur Kreativität.“

Die Abendprobe endet ohne Applaus vor einem leeren Zuschauerraum, in dem mehr als 2.300 Menschen Platz finden. Nur der letzte Sonnenstrahl bleibt kurz auf der Bühne stehen, bevor er hinter der Ruine verschwindet. Die Reise für „Priscilla“ hat begonnen. Und sie führt nicht einfach 3.000 Kilometer durch Australien, sondern auch zu Erkenntnis und Selbstfindung. Das Publikum wird sich in einer Woche davon überzeugen können – dann ist nämlich Premiere.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".