Bühnenbild-Werkstatt der Freilichtspiele Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)
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Werkstatt-Besuch: So entstehen Bühnenbilder für die Musicals der Freilichtspiele Tecklenburg

Zu einem Musical gehört für die meisten Menschen auch ein großes Bühnenbild. Bei den Freilichtspielen Tecklenburg müssen jedes Jahr innerhalb kürzester Zeit die Sets für gleich drei Musicals entworfen und gebaut werden. In den Jahren 2019, 2022 und 2023 übernahm das Jens Janke, der die Bühne dort zuvor als Musicaldarsteller kennen gelernt hat. Wir haben ihn in der kleinen Werkstatt in der Festspielstadt besucht.

Draußen soll gleich ein kompletter Probendurchlauf des Musicals „Miami Nights“ stattfinden, doch noch schüttet es wie aus Eimern. In der Bühnenbild-Werkstatt auf dem Gelände der Freilichtbühne ist es an diesem frühen Sommerabend überraschend kalt und klamm. Zwischen Farbeimern, Holzresten, Schaumstoff und Werkzeug steht Janke an einem Werktisch, schneidet Spiegelfolie zu. „Ich fahre zweigleisig“, erzählt er. „So stehe ich weiterhin als Darsteller auf der Bühne, entwerfe und baue in Tecklenburg aber auch Bühnenbilder.“ Es ist ihm wichtig zu betonen, dass er sowohl das eine als auch das andere macht, damit keine Missverständnisse aufkommen, denn: „Als ich anfing mit den Bühnenbildern, war die Reaktion von den meisten Leuten: Ach, du singst nicht mehr?“ Mitnichten.

Als ausgebildeter Musicaldarsteller steht der Wahl-Berliner auch weiterhin auf der Bühne, spielt vor allem an Stadt- und Staatstheatern, ist ein begnadeter Stepptänzer, weshalb er gerade für die Klassiker des Genres engagiert wird. Aber er ist auch handwerklich sehr begabt. „Zu meiner zusätzlichen Tätigkeit bin ich wie die Jungfrau zum Kinde gekommen.“ Janke lacht. Auf der Tecklenburger Bühne spielte er im Jahr 2018 den Thénardier in „Les Misérables“. Zwischen den Aufführungen und einem Urlaub in Griechenland hatte er irgendwann eine vage Idee für ein Bühnenbild für den „Glöckner von Notre Dame“, teilte diese mit Intendant Radulf Beuleke für den Fall, dass das Stück mal für die Freilichtspiele vorgesehen sein könnte.

Jens Janke in der Werkstatt (Foto: Dominik Lapp)

Eine Begegnung wenig später bei der Premiere von „Tanz der Vampire“ in Berlin führte schließlich dazu, dass der Intendant den Musicaldarsteller fragte, ob er sich vorstellen könnte, 2019 die Bühnenbilder für alle drei Produktionen zu bauen: das Kinderstück „Das Dschungelbuch“ und die beiden Abendshows „Don Camillo & Peppone“ sowie „Doktor Schiwago“. Darüber habe Jens Janke zunächst eine Nacht schlafen müssen, bevor er die neue Herausforderung annahm.

Learning by Doing

Weil er nie ein Studium zum Bühnenbildner absolviert hat, musste sich der Künstler zunächst einmal in ein 3D-Programm einarbeiten. „Das war klassisches Learning by Doing mit täglich vier bis fünf Stunden Tutorials, die ich mir angesehen habe.“ Das erste Modell der Bühne erstellte Janke am Computer auf Grundlage von Drohnenfotos des Geländes, die ihm sein Kollege Thomas Hohler zur Verfügung gestellt hatte. Er erinnert sich: „Das war noch ziemlich ungenau, hat aber für die ersten Entwürfe gereicht.“ Mittlerweile habe er neue Fotos von Videoexperte Thomas Nitowski und somit auch ein detaillierteres Digitalmodell der gesamten Burgruine, das auf fünf Zentimeter genau sei.

Normalerweise entwerfen Bühnenbildner die Kulissen, die dann in den Theaterwerkstätten gebaut werden. In Tecklenburg ist dies anders, denn Jens Janke ist nicht nur für das Abliefern der Entwürfe zuständig, sondern mit einem insgesamt sechsköpfigen Team auch für den Bau. „In dieser Position musste ich mich damals erst einmal einfinden und lernen, Aufgaben zu verteilen. Mittlerweile sind wir aber gut eingespielt und der neue Bühnenmeister Keven Arelmann hat seit dieser Saison die Werkstattleitung übernommen.“

Bühnenbild-Entwurf „Mozart!“ (Foto: Jens Janke)

Eine Herausforderung ist die Größe der Werkstatt, die mit der fortschreitenden Professionalisierung der Tecklenburger Bühne – früher Laienbetrieb, inzwischen seit vielen Jahren Profitheater – nicht mitgewachsen ist. Eine weitere Herausforderung ist, dass bereits bei der Konzeption bedacht werden muss, dass das Bühnenbild schnell auf- und abgebaut werden kann. Denn Sonntagnachmittag wird traditionell das Kinderstück aufgeführt, am Abend dann eines der beiden großen Musicals. Zeit für den Umbau: etwa eine Stunde.

80 Meter breite Bühne muss verwandelt werden

Aber wie entsteht ein Bühnenbild eigentlich? Was sind die ersten Schritte? „Das ist ganz unterschiedlich“, sagt Jens Janke. „Es ist abhängig vom Stück und Regisseur.“ Die größten Freiheiten genieße er beim Kinderstück, wo er sich regelrecht austoben könne. „Als erstes lese ich das Buch und lasse mich davon inspirieren.“ Dabei immer im Blick habe er die festen Bestandteile der mit 80 Metern enorm breiten Bühne: die steinernen Burgtore links und rechts, der alte Brunnen, die Altane in der Bühnenmitte. Das alles gelte es jedes Mal aufs Neue zu verwandeln.

Bühnenbild „Mozart!“ (Foto: Dominik Lapp)

„Der Regisseur Ulrich Wiggers, mit dem ich bereits dreimal zusammengearbeitet habe, hat immer sehr genaue Vorstellungen vom Bühnenbild.“ So habe sich der Regisseur beispielsweise für das Musical „Mozart!“ in Salzburg inspirieren lassen und klare Vorgaben gemacht für ein überdimensionales Notenblatt. „Meine Aufgabe ist dabei unter anderem, diese Vorgaben auf Machbarkeit und die technische Umsetzung zu prüfen, bevor wir mit dem Bau beginnen“. So musste das 15 mal 10 Meter große Notenblatt erst einmal am Computer erstellt und später gedruckt werden. Auch mit den überdimensionalen Klaviertasten als Treppenstufen, die in Wiggers‘ Inszenierung zum Einsatz kommen, wurde zunächst einmal „herumgespielt.“

Bei Werner Bauer, dem Regisseur von „Miami Nights“, hatte Jens Janke mehr Freiheiten. Einziger Wunsch: „Er hat mir ein Bild von Art-Déco-Häusern in Miami gezeigt. Daran sollte ich mich orientieren.“ So finden sich typische Dekor-Elemente dieses Stils und entsprechende Farbkombinationen im Set wieder. Bei der Gestaltung einer Salsa-Bar hat sich Janke am Stadtteil Little Havana, dem pulsierenden kubanischen Herz Miamis, orientiert.

Bühnenbild „Miami Nights“ (Foto: Dominik Lapp)

Zum Bau der Bühnenbilder ist handwerkliches Geschick gefragt. Für einen ausgebildeten Musicaldarsteller sicher nichts Alltägliches. „Glücklicherweise tischlere ich sehr gern“, erzählt der Künstler. „Tischler wäre für mich definitiv eine berufliche Alternativ gewesen, das ist ein toller Beruf.“ Er habe schon immer viel handwerklich gearbeitet und gemalt, das komme ihm jetzt zugute. Aber alles ist Learning by Doing: „Wenn ich male, verwerfe ich genauso. Es kann sein, dass ich heute male und morgen alles wieder übermale. Es passt nicht immer der erste Versuch.“ Auch Dinge alt, benutzt oder verrostet aussehen zu lassen wie den Cuba-Libre-Schriftzug an der Fassade der Salsa-Bar, habe er sich selbst beigebracht. Dazu schaue er sich viele Videos und Bilder an. Wichtig sei ihm außerdem, dass seine Bühnenbildelemente nicht einfach platt gemalt, sondern möglichst dreidimensional seien.

Vier Szenenwechsel auf offener Bühne

Das Kinder-Musical „Madagascar“ war von der Ausstattung her eine richtige Mammutaufgabe. „Vier Szenenwechsel im Tageslicht ohne Schnürboden und Seilzüge, wie man es von einem Theater kennt, sind eine Herausforderung!“ Das Stück spielt erst im Zoo von New York, dann in einer U-Bahn, auf einem Schiff und letzten Endes auf einer Insel. Alles muss auf offener Bühne von den Mitwirkenden – darunter zahlreiche Kinder – in Sekunden umgebaut werden.

Gelagertes Bühnenbild „Madagascar“ (Foto: Dominik Lapp)

Was die Besucherinnen und Besucher der Freilichtspiele Tecklenburg im Sommer bei ihrem Vorstellungsbesuch sicher nicht ahnen: die Arbeiten am Bühnenbild haben bereits im März begonnen. „Da haben wir teilweise noch Frost, es ist sehr kalt und wir arbeiten aus Platzgründen vor allem draußen“, berichtet der Bühnenbildner. Mit „wir“ meint Jens Janke seine Assistentin Lisa und ein kleines Team. „Wenn ein Bühnenbild fertig ist, wird immer ein bisschen ‚Tetris‘ gespielt, weil natürlich alles gelagert werden muss. Je mehr Bühnenbilder dazukommen, desto enger wird es in der Werkstatt und davor.“ Wie letztendlich die Umbauten von einem auf das andere Set umgesetzt werden, überlege sich der Bühnenmeister mit seinen Leuten, außerdem würden ein paar engagierte Freiwillige aus dem Chor helfen, berichtet Janke. „Das alles funktioniert nur im Team und wenn alle an einem Strang ziehen.“

Schaumstoff, Holz, Farbe und viel Kreativität

Sind die Bühnenteile eigentlich nummeriert, um sie zusammenzubauen? „Nein“, lacht Jens Janke. „Das erkennt man schon ganz gut, welche Teile zusammengehören.“ Eine große Aufgabe sei eher die Logistik. „Das vordere Teil der Treppe bei ‚Mozart!‘ passt zum Beispiel nur hochkant durch das Tor.“ Bei der Gestaltung sei ohnehin immer wieder Kreativität gefragt. Weil echte Dachpfannen zu schwer und teuer seien, habe man zum Beispiel braune Abflussrohre in der Mitte zersägt und die Hälften nebeneinander auf Holz angebracht. So entstand 2019 ein Dach für „Don Camillo & Peppone“, das jetzt für die Salsa-Bar in „Miami Nights“ wiederverwendet werden konnte.

Ein Material, mit dem Jens Janke sehr gern arbeitet, ist Schaumstoff. „Damit habe ich letztes Jahr begonnen, weil man wunderbar dreidimensionale Effekte erschaffen kann.“ In diesem Jahr ist beispielsweise der Cuba-Libre-Schriftzug der erwähnten Bar aus Schaumstoff. Darüber hinaus komme natürlich viel Holz und Farbe zum Einsatz.

Bühnenbild „Miami Nights“ (Foto: Dominik Lapp)

Bühnenbild soll Geschichte erzählen

Warum die Palmen für „Miami Nights“ sehr comichaft bis grafisch aussehen, kann Janke auch erklären: „Diesen Stil habe ich bewusst gewählt, weil ich mit dieser übermächtigen Natur um die Bühne herum gar nicht in Konkurrenz, sondern höchstens in einen Kontrast treten kann.“ Beim Kinderstück sei ihm wichtig, dem jungen Publikum schon vor Vorstellungsbeginn etwas zum Entdecken zu geben, was er als „Eye Candy“ bezeichnet. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Werbebranche. Im Gegensatz zum Eyecatcher, der sofortige Aufmerksamkeit erregt und Blicke auf sich zieht, dient ein „Eye Candy“ dazu, Blicke länger zu fixieren, um auf etwas zu verweilen. „Beim ‚Zauberer von Oz‘ war das zum Beispiel ein Fahrrad an einem Ballon, das im Stück gar nicht verwendet wurde, aber am Tor hing und so schon vor Showbeginn eine Geschichte erzählte. Es sollte die Kinder zum Nachdenken anregen. Sie sollten sich fragen: Warum hängt das da? Ist jemand damit abgestürzt? Wem gehört es?“ Die Fantasie des Publikums zu beflügeln, sei Janke sehr wichtig.

Bei der Frage, ob es Stücke gibt, für die er gern mal ein Bühnenbild entwerfen möchte, kommt es wie aus der Pistole geschossen: „Ich habe bereits ein Bühnenbild für den ‚Glöckner von Notre Dame‘ fertig entworfen in meinem Rechner. Konzepte gibt es auch für ‚Elisabeth‘ und ‚Tanz der Vampire‘, die sich relativ schnell umsetzen ließen. Aber auch für ‚Mamma Mia!‘ würde ich sehr gern mal ein Bühnenbild bauen und habe erste Ideen im Kopf.“

Wenn der bühnenbildnerisch tätige Musicaldarsteller erzählt, schwingt sehr viel Begeisterung in seinen Ausführungen mit. Dennoch stellt er etwas wehmütig fest: „Solange ich das Bühnenbild baue, kann ich in der jeweiligen Produktion nicht selbst mitspielen.“ Deshalb suche er auch nicht aktiv nach weiteren Bühnen, für die er entwerfen dürfe. „Ich sage mal so: Wenn man mich fragt, würde ich es machen. Aber ich suche es nicht. Dafür stehe ich selbst noch viel zu gern auf der Bühne.“

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".