
Werkgetreu umgesetzt: „Jekyll & Hyde“ in Staatz
Wenn die Dämmerung über die Felsenbühne im österreichischen Staatz hereinbricht und sich Dr. Henry Jekyll mit seinen inneren Abgründen konfrontiert, beginnt eine Open-Air-Produktion, die sich vor der großen Musicalwelt nicht zu verstecken braucht. Mit „Jekyll & Hyde“ von Frank Wildhorn (Musik) und Leslie Bricusse (Buch und Songtexte) erfüllt sich Intendant Werner Auer offenbar nicht nur einen Herzenswunsch, sondern bringt als seine 25. Staatzer Inszenierung ein Werk auf die Bühne, das ihm nahesteht – und das in einer packenden, werkgetreuen Umsetzung.
Auer, der das Stück bereits 2005 inszeniert hat und damals selbst die Titelrolle spielte, überlässt sie nun mit Bedacht dem glänzenden Florian Fetterle. Der meistert den gesanglich anspruchsvollen Spagat zwischen dem idealistischen Arzt Jekyll und dem mörderischen Hyde mit imponierender Präsenz und stimmlicher Wucht. Kaum ein Moment, in dem sein innerer Kampf nicht glaubhaft unter die Haut ginge.
An seiner Seite brilliert Steffi Regner als Lisa mit strahlender, klassisch geschulter Stimme und feinem Schauspiel. Eindrücklich gestaltet zudem Anna Burger die Rolle der Lucy: sinnlich, verletzlich, kraftvoll – gesanglich wie darstellerisch ein Highlight. Werner Auer selbst gibt mit warmer, integrer Ausstrahlung einen glaubwürdigen Sir Danvers, während Matthias Liener (Utterson), Alicia Wagner (Nellie), Stefan Bleiberschnig (Stride) und Alessandro Frick (Spider) das insgesamt sehr überzeugende Ensemble sicher abrunden.
Die Regie bleibt Auers Handschrift treu: klare Linien, dichte Szenen- und Personenführung, keine Experimente. Jack Hamals eindrucksvolles Bühnenbild nutzt die natürliche Felsenkulisse ebenso wie eine ausgedehnte Häuserzeile mit drei Ebenen, die durch LED-Wände und atmosphärische Videoprojektionen ergänzt werden. Besonders eindrucksvoll: Dr. Jekylls detailliert ausgestattetes Labor im Dachgeschoss, wo der Horror beginnt – visuell wie akustisch hervorragend in Szene gesetzt.
Gregor Sommers Dirigat lässt das 19-köpfige Orchester kraftvoll und zugleich feinfühlig durch Wildhorns dramatische Partitur gleiten. Mal pulsierend, mal tragisch, mal opulent, aber stets auf höchstem Niveau – ein musikalisches Rückgrat, das trägt und bewegt. Die Choreografie von Stefan Ulreich und Korbinian Reile fügt sich unaufdringlich in das Geschehen ein, das Lichtdesign von Jürgen Erntl malt die düstere Welt Londons äußerst stimmungsreich. Die Kostümwerkstatt der Felsenbühne liefert dazu die passenden Gewänder – rollengerecht, stilsicher, detailverliebt.
Mit dieser Neuinszenierung von „Jekyll & Hyde“ gelingt der Felsenbühne ein starker Musicalabend – voller Leidenschaft und Respekt vor dem Werk. Absolut sehens- und hörenswert!
Text: Patricia Messmer