
Düsteres, intimes Spiel mit dem Tod: „Elisabeth“ in den Niederlanden
Mehr als 25 Jahre ist es her, dass das Musical „Elisabeth“ in Scheveningen zur niederländischen Erstaufführung kam. Lange musste das dortige Publikum auf die Rückkehr des beliebten Stücks warten – konzertante Versionen ausgenommen. Jetzt ist es endlich soweit: Ein neues Kreativteam unter der Regie von Frank van Laecke wagt sich in einer Tourversion an eines der erfolgreichsten deutschsprachigen Musicals (Musik: Sylvester Levay, Buch und Songtexte: Michael Kunze, niederländische Übersetzung: Seth Gaaikema) und gibt dem Drama um die österreichische Kaiserin ein neues, spannendes, höchst intimes und nie zuvor dagewesenes Gewand.
Als sich der Vorhang hebt, sticht zunächst sofort das neue Bühnendesign (Carla Janssen Höfelt) ins Auge. Die Handlung spielt sich komplett in einem großen Atelier ab – ein kahler, leerer Raum mit dunklem Boden, gesäumt von Farbspritzern und umsäumt von harten Steinwänden und großen Gemälden. All dies ist eine Anspielung auf Elisabeth, die sich äußerst gern und häufig selbst porträtieren ließ, ja eine Zeitlang fast schon besessen davon war. Die riesigen Bilderrahmen werden geschickt mit Projektionen (Arjen Klerkx) zum Leben erweckt und schmiegen sich somit passgenau ins Geschehen. Man erkennt Elisabeths Heimat in Bayern, das Innere der Hofburg, die vermeintliche Familienidylle an Weihnachten oder natürlich die großen, bekannten Porträts der Kaiserin, die sie letztendlich weltberühmt machten und bis heute unsterblich werden ließen. Verschiedenste Accessoires wie Stühle, ein Chaiselongue oder Kronleuchter runden das Geschehen in den passenden Momenten ab, wenngleich es auch zunächst ungewohnt karg wirkt. Äußerst präsent und immer wieder in Erscheinung tretend ist ein Sarg aus Stein, als zentrales düsteres Element.
Aufgrund der Szenerie des Ateliers verwandelt sich das Ensemble in größten Teilen des Stückes zu Malerinnen und Maler, die in schwarzer, farbverschmierter Kleidung immer wieder das Geschehen an Zeichenblöcken oder Staffeleien komplettieren und dokumentieren. Das mag zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig sein und ist als Intention nicht sofort einzuordnen. Auch fühlt es sich an manchen Stellen zunächst etwas fehl am Platz an. Treue „Elisabeth“-Besucher mögen die Ensembleszenen vermissen, als in pompösen Ballkleidern oder mit scheppernden Milcheimern und zerfetzten Klamotten in einem aufwendigen Dekor das Bühnenbild ausgefüllt wurde. Doch handelt es sich auch um einen klugen, innovativen Schachzug, der die Stellung der Kaiserfamilie und Elisabeths Leben unter den Augen der urteilenden, reißerischen Öffentlichkeit und Gesellschaft mehr als deutlich zur Schau stellt. Praktisch das Social Media des 19. Jahrhunderts.

Einer der spannendsten Punkte am Konzept der niederländischen Neuinszenierung ist sicherlich die Aufteilung der Rolle der Protagonistin in eine junge und in eine ältere Elisabeth. Schon zur Welturaufführung 1992 hatte man daran gedacht, diesen Schritt zu gehen, als die Macher des Stückes Schwierigkeiten hatten, eine Darstellerin zu finden, die die komplette komplexe Bandbreite des Charakters gesanglich sowie schauspielerisch ausfüllen konnte. Lediglich in der konzertanten Schönbrunn-Version im Jahr 2023, als sich Abla Alaoui und Maya Hakvoort die Rolle teilten, wurde dieser ursprüngliche Gedanke Wirklichkeit. Somit stellen sich direkt zu Beginn spannende Fragen: Wie gelingt die Aufteilung, und wie schmiegt sie sich in die Handlung ein? Wann wird der Übergang vollzogen? Und wie übernimmt die reife Elisabeth die Energie der jungen?
Gerade ihren Abschluss als Musicaldarstellerin absolviert, tritt Danique Dusée als junge Kaiserin in berühmte Fußstapfen und zählt ohne Zweifel zu den Neuentdeckungen dieser „Elisabeth“-Produktion. Mit großen neugierigen Augen, jung, verspielt und etwas naiv gibt sie der Rolle das passende Gewand und macht sich die Bühne scheinbar mühelos zu eigen. Ihr klangvoller starker Sopran füllt die gesanglichen Parts äußerst gekonnt, das Zusammenspiel mit Vater Herzog Max (Sjoerd Oomen) und Kaiser Franz Joseph (Guido Gottenbos) ist warm, liebevoll und authentisch. Doch als sich das Blatt zu wenden beginnt und Elisabeth in jungen Jahren mehr und mehr beginnt, sich gegen das Korsett aufzulehnen, das ihr vom Wiener Hof und dem Zeremoniell aufgezwungen wird, erwacht auch in der zarten Darstellerin ein außerordentlich beeindruckender Kampfgeist. „Mijn Leven is van mij“ („Ich gehör nur mir“) wird hier zu einem der Höhepunkte des ersten Akts und Dusée verleiht der weltberühmten Nummer ihren ganz eigenen Glanz.
Bereits früh macht ihre Protagonistin in der Handlungsabfolge Bekanntschaft mit dem Tod, der von Milan van Waardenburg fantastisch interpretiert wird. Der Tod ist – wie schon bei der niederländischen Erstaufführung 1999 – in Schwarz und Rot gekleidet und überdies sehr menschlich dargestellt. Vergeblich sucht man das weiße Wesen, das immer stark an den jungen Heinrich Heine, dem Elisabeth so verfallen war, erinnert. Man fühlt ihn, ja man versteht ihn beinahe, ist er doch zu Beginn noch mehr ein Kumpel mit starker Schulter und väterlichen Zügen, dem man sich anvertrauen kann und zu dem Elisabeth sich unbewusst in kindlicher Faszination hingezogen fühlt. Und doch zugleich ist da das Unerreichbare und die unwahrscheinliche Anziehungskraft, die van Waardenburg verströmt, als er das Geschehen unumgänglich dominiert und die Fäden seiner Marionetten in der Hand hält. Hierbei genügen ein Fingerschnipp, eine Geste, ein Blick oder die lässige Zigarette, die gekonnt häufig zum Einsatz kommt, wenn er selbstgefällig, manipulativ, fast schon gelangweilt und sich seiner Macht und Ausstrahlung bewusst, seine Kreise zieht. Gesanglich schöpft er beeindruckend aus seiner vollen stimmlichen Bandbreite – besonders hervorzuheben ist hierbei die Nummer „Zwarte Prins“ („Schwarzer Prinz“). Die Verbindung zwischen Dusée und van Waardenburg ist zweifellos on point.

Ganz leise, aber unaufhaltsam, kündigt sich der Umbruch an, als das Drama um Kronprinz Rudolf (kleiner Rudolf, fantastisch berührend: Noah Fontijn) immer mehr seinen Lauf nimmt und Elisabeth machtlos mit ansehen muss, wie Erzherzogin Sophie (Ann Van den Broeck) ihn zum Soldaten drillen lässt. Es ist der Zeitpunkt, als sie an Kaiser Franz Jospeh ein Ultimatum aufsetzt und dieser gezwungen ist, sich zwischen seiner Frau oder seine Mutter zu entscheiden. Mit dieser Machtausübung ist Elisabeth als junge Frau auf dem Höhepunkt ihrer Stärke und Schönheit und beginnt, die Geschicke am Hof nach ihrem eigenen Sinn zu lenken. Und welche Szene könnte sich dramaturgisch für den nahtlosen Übergang zu reifen Frau besser eigenen, als die Bilderrahmen-Szene im weltberühmten Sternenkleid? Die Reprise von „Mijn Leven is van mij“ ist Pia Douwes‘ großer Auftritt zum Ende des ersten Akts, als Elisabeth im persönlichen Siegeszug sowohl ihren kaiserlichen Gemahl als auch den Tod als dunklen Verführer hinter sich lässt. Noch bevor die Grande Dame des Musicals den ersten Ton ansetzen kann, wird sie mit Szenenapplaus gefeiert – ein wahrer Gänsehautmoment.
Wer in der Musicalwelt an „Elisabeth“ denkt, bringt zweifellos Pia Douwes mit ihr in Verbindung. 1992 kreiert und zur Uraufführung gebracht, hat sie die Rolle über Jahrzehnte geprägt und den Weg für unzählige Darstellerinnen nach ihr geebnet. Nicht ohne Grund gilt sie für viele in dem Berufsfeld bis heute als größte Inspiration. Nach Wien begann Douwes auch in Scheveningen 1999 mit ihrer Interpretation der österreichischen Kaiserin Musicalgeschichte zu schreiben. Ein großartiger Schachzug, sie jetzt wieder in die Handlung zu involvieren – auf neue, nie dagewesene Art und Weise. Ohne Zweifel kann man sagen, dass ihr die reife Elisabeth wie auf den Leib geschrieben scheint und sie dieser schauspielerisch wie gesanglich ihre ganz eigene, unverkennbare und so einzigartige Note aufdrückt. Besonders gut gelingt ihr dies in Elisabeths großem Solo des zweiten Akts „Niets, niets, echt niets“ („Nichts, nichts, gar nichts“), als die Kaiserin ein Irrenhaus besucht und hinter Gittern bei der Begegnung mit den Patientinnen und Patienten sich mit der Gefangenschaft ihrer eigenen Seele konfrontiert sieht.
Das Zusammenspiel mit Milan van Waardenburg als Tod ist unverkennbar das Highlight des zweiten Akts. Wann immer sie kann, gibt sich Elisabeth ihrer Todessehnsucht hin – hat sie doch unter den Lebenden niemanden mehr, von dem sie sich verstanden fühlt oder der ihre innigsten Wünsche kennt. Selbst isoliert, melancholisch, ja depressiv, gefangen in Erinnerungen und immer wieder verfolgt und verurteilt von den bohrenden Augen der Öffentlichkeit, beginnt sie in ihren dunkelsten Stunden bei ihrem Liebhaber ein gefährliches Zuhause zu suchen – und zu finden.
Hervorgehoben werden muss hierbei der Song „Als ik dansen wil“ („Wenn ich tanzen will“) – eine Nummer, die es 1999 in Scheveningen noch nicht gab, weil es erst 2001 für die deutsche Erstaufführung in Essen für Pia Douwes und Uwe Kröger geschrieben wurde. Ist diese Szene doch in sämtlichen deutschen und österreichischen Versionen bekannt für den Tanz im ungarischen Krönungskleid, erlebt man hier ein ungewohnt fremdes, äußerst intimes Spiel, als Elisabeth sich – nur im schwarzen Nachthemd bekleidet – ihren Sehnsüchten hingibt. Michael Kunzes Idee, diese Lovestory als zentrales Merkmal der Handlung zu machen, ist nach wie vor meisterlich – und Milan van Waardenburg und Pia Douwes gelingt dies so herausragend gut, dass man die Intensität ihrer sexuellen Anziehung im Publikum knisternd spüren kann. Der Tod als attraktiver, begehrenswerter Liebhaber, der nur darauf wartet, die schöne Kaiserin zu verführen: das Katz- und Mausspiel beginnt.

Der zweite Akt und mit ihm der drohende Untergang des Habsburger Reiches sowie Elisabeths düsteres, fast schon makabres und zugleich so leidenschaftliches Rendevouz mit dem Tod, wirft im Musical einen neuen Blick auf die Kaiserin und ihr innerstes Seelenleben: Eine Kaiserin, die sich vom Tod zur Zigarette verführen lässt, auf Reisen einen Anker auf die Schulter tätowiert bekommt und nicht nur einmal zur Nadel greift, um sich einen Schuss zu setzen und die Wirklichkeit besser ertragen zu können. Es ist die Flucht vor den eigenen psychischen und physischen Schmerzen. Noch nie kam das Musical der historischen Vorlage so nah. Sissi-Kitsch adé.
Neben Elisabeth und dem Tod ist es natürlich Luigi Lucheni, italienischer Anarchist und Mörder der Kaiserin, der das Geschehen ordentlich aufmischt und als Erzähler alle Fäden boshaft in der Hand hält. Fast dauerhaft präsent, gelingt William Spaaij eine außerordentliche Leistung, beinahe so, als hätte er die Rolle schon immer verkörpert. Verächtlich, süffisant, aber auch mit Ironie und der richtigen Prise schwarzem Humor, blickt er voller Abscheu auf die von ihm so gehasste Monarchie und den Wiener Hof. Besonders gut wurde dies in der Nummer „Melk“ („Milch“) in Szene gesetzt, als das Volk hilflos hinnehmen muss, dass die eigenen Kinder hungern, weil Ihre Majestät in Milch badet. Hierbei wird weniger mit Milcheimern gestampft, viel mehr bespritzt das Ensemble im stetigen Malerkostüm voller Wut die Wände und lässt die Gemälde der verhassten Aristokratie blutrot erscheinen. Auf den ersten Blick ungewöhnlich, aber sehr gelungen und äußerst wirkungsvoll. Die Monarchie beginnt langsam, aber unaufhaltsam zu bröckeln.
Erzherzogin Sophie, die zu Beginn über den Hof dominiert und nicht nur ihren Sohn Kaiser Franz Jospeh, sondern zuletzt das ganze Reich im Griff hat und lenkt, wird beeindruckend dargestellt von Ann Van den Broeck. Stimmlich stark gelingt ihr mit einer fantastischen Präsenz eine äußerst einprägende Kaiserin Mutter, die am Ende schmerzlich verletzt einsehen muss, dass ihr die Zügel entglitten sind. Guido Gottenbos ist ein herzensguter Franz Joseph, dem man sehr die starke Verbindung und Liebe zu seiner bewunderten Elisabeth bis zum Schluss abnimmt. Saskia Schäfer als Ludovika und Sjoerd Oomen als Max von Bayern füllen ihre kleineren Parts gelungen und rahmen dabei gekonnt das Geschehen ein. Spannend ist auch, dass die Darstellerin der Ludovika nicht auch ebenfalls den Part der Frau Wolf übernimmt – die Bordellinhaberin wird verkörpert durch Liss Walravens, die herrlich derbe, ja fast schon vulgär, den Herren der Gesellschaft zeigt, wo es langgeht.

Für Kronprinz Rudolf (Ronald Jorritsma) wendet sich das Blatt ebenfalls nicht zum Guten. Ähnlich wie seine Mutter, gelingt es ihm nicht, seinen Platz in der Welt zu finden, und zerbricht letztendlich daran. Jorritsmas Spiel ist einfühlsam, beklemmend sein Gesang. Besonders einprägend bleibt hier die Reprise von „Er valt een zwarte Schaduw“ („Die Schatten werden länger“), als der Tod beginnt, gegenüber Rudolf immer stärker seine Macht auszuüben und Elisabeth sich im Hintergrund teilnahmslos dem Drogenrausch hingibt. Durch die Projektionen komplett in dunkle Nebelschwaden gehaucht, ist es eine Szenerie, die einem beinahe die Kehle zuschnürt. Konträrer könnten das Geschehen und die schmerzhafte Distanz zwischen Mutter und Sohn nicht sein.
Regisseur Franck van Laecke ist mit dieser Neuinszenierung ein spannender Coup gelungen. Auf den Takt genau und präzise vertont ein immerhin 14-köpfiges Orchester unter der Leitung von Marco Braam die anspruchsvolle Partitur Sylvester Levays, der es sich am Premierenabend nicht nehmen lässt, seine Elisabeth erneut zu beehren. Das kluge Buch von Michael Kunze wurde temporeich in Szene gesetzt, die Übergänge wirken rund, die Pausen auf den Punkt ausgespielt. Licht (Marc Heinz) und Ton (Jeroen ten Brinke) passen sich perfekt der Choreografie von (Roy Jonathans) an, so dass jeder Schritt und jede Kopfbewegung bis ins Detail abgestimmt sind und dies auch in den hinteren Reihen ein beeindruckendes starkes Bild abgibt. Gelungen ist ebenfalls die Kostümwahl (Arno Bremers), wenn auch diese weitaus weniger opulent ausfällt: Es ist dominierend im ersten Akt das weiße, im zweiten Akt das schwarze Nachthemd, das Elisabeth trägt – bis sie sich am Ende selbst von allem befreit, den Mantel aufreißt und sich im weißen Gewand dem erlösenden Todeskuss hingibt.
Die neue niederländische, zeitgenössische Interpretation von „Elisabeth“ mag vielleicht nicht allen auf den ersten Blick gefallen. Manche mögen ihre persönliche Lieblingsversion aus den letzten 30 Jahren doch etwas vermissen. Manche werden ein bisschen Zeit brauchen, um diese ungewohnte, düstere und ja doch so echte „Elisabeth“ anzunehmen und zu verstehen, und andere werden sie vom ersten Moment an lieben.
Diese Inszenierung bietet einen tiefen Einblick in die innere Seelenwelt der Kaiserin und in ihr intimstes Verlangen – so sehr, dass es geradezu schon unangenehm wird. Es zeigt, wer sie Zeit ihres Lebens war: Eine zutiefst unglückliche, stets mit dem Tod liebäugelnde, isolierte und doch so mächtige Frau, die sich ihrer Stellung und ihrer Reize bewusst war und sich zugleich von der Außenwelt und ihrem Inneren immer mehr entfernt hat, weil sie die Realität nicht ertrug. Wer sich auf diesen schonungslosen, fast schon makabren Blickwinkel einlassen kann, wird eine Kaiserin kennen lernen, die man so schnell nicht vergessen wird.
Text: Katharina Karsunke