Pia Douwes (Foto: Katharina Karsunke)
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Interview mit Pia Douwes: „Das Vertrauen hat mir Flügel gegeben“

Vor zwei Jahren durfte unsere Redaktion Pia Douwes schon einmal zum Interview treffen. Damals saß die Niederländerin, eine der erfolgreichsten Musicaldarstellerinnen unserer Zeit, in bequemer Kleidung vor der Kamera ihres Computers, Hündin Sansa im Körbchen zu ihren Füßen, und konnte sich nur schwer vorstellen, jemals wieder auf einer Bühne zu stehen, um das auszuüben, was sie so sehr liebt. Jetzt, genau zwei Jahre später, sind wir erneut mit ihr verabredet gewesen – am Nachmittag der Generalprobe des Musicals „Follies“, einen Tag vor der glanzvollen Premiere. Es ist bereits Douwes‘ zweite Produktion nach ihrer stimmlichen Zwangspause. Im Interview spricht sie darüber, wie es sich für sie anfühlt, wieder auf der Bühne zu stehen, wem sie dafür ganz besonders dankbar ist, welche Essentials sie durch die Probenzeit in Wiesbaden begleitet und unterstützt haben und warum es für sie so viel bedeutet, jetzt in „Follies“ Sondheims „Losing my Mind“ singen zu dürfen.

Zwei Jahre ist es her, dass wir uns für das Porträt zu deinem 35-jährigen Bühnenjubiläum unterhalten haben. Damals sagtest du, du vermisst es, Theater zu spielen und alles – die Bühne, deine Karriere, deine Erfolge – kommt dir im Moment so unglaublich weit weg vor. Wie ergeht es dir jetzt, nachdem du bereits eine ganze Spielzeit mit „The Prom“ in den Niederlanden erfolgreich hinter dir hast und nun vor der nächsten Premiere stehst? Welche Gefühle begleiten dich gerade?
Mir geht es gut. Es ist eine wunderschöne Probenzeit gewesen, alles fühlte sich stimmig und liebevoll an. Wir haben als Darsteller unglaublich toll zusammen funktioniert, und jeder hatte das Gefühl, in seiner Rolle und an seinem Platz absolut richtig zu sein. Am Stadttheater, oder wie hier in Wiesbaden am Staatstheater, geht es ja ganz anders zu, als sonst gewöhnlich bei mir im Job. Das war so spannend! Bis zur Premiere arbeiten wir normalerweise tagtäglich von 10.00 bis 18.00 Uhr durch. Aber hier im Staatstheater haben wir morgens und abends Probenzeiten, irgendwann kommen Chor und Ensemble hinzu und dazwischen gibt es auch mal Lücken oder einen Abend Pause. Und: Keine richtigen Durchläufe mit Orchester bis kurz vor der Premiere. Ich kenne das natürlich noch aus Bonn und Dortmund, hatte aber völlig vergessen, wie sich das anfühlt. Es ist wirklich ein anderes System! Deshalb war es umso wichtiger, dass wir als Gruppe so eng miteinander verbunden waren. Die Basis muss stimmen. Und das ist sehr gut gelungen. Aber, um deine Frage zu beantworten, wie es mir damit geht, wieder auf der Bühne zu stehen: Durch „The Prom“ kam das Gefühl zurück, das ich eben vor einigen Jahren nicht mehr hatte. Die Zeit dort war einfach unfassbar lustig und wir haben wahnsinnig viel gelacht. Das ganze Stück, aber auch meine Rolle, waren von vorne bis hinten absolute Comedy – mit einer schönen, wichtigen Message. Da sind diese Freude, diese Lust und diese Kraft, wieder auf einer Bühne zu stehen, so richtig entzündet worden.

Vor fünf Jahren standest du auch zum letzten Mal auf einer deutschen Bühne. Hast du etwas an Deutschland vermisst? Die (pünktliche) Arbeitsweise, das Spielen und Singen in der deutschen Sprache, Kollegen, Publikum, Essen?
(lacht laut) Ich liebe es, in Deutschland zu arbeiten! Oder besser gesagt, im deutschsprachigen Raum. Denn Wien gehört für mich auch dazu. Ich mag es einfach. Ja, es gibt viele Regeln, und manchmal geht die deutsche Gründlichkeit doch sehr weit, aber ich komme da mit meinem holländischen Humor, meiner holländischen Gelassenheit und meiner holländischen Direktheit ziemlich gut durch. (lacht) Es vermischt sich prima! Ich mag in Deutschland, dass es wirklich gut geregelt ist! Probenstart um 10.00 Uhr bedeutet auch wirklich, dass wir dann anfangen und nicht, dass man erst mal gemütlich mit seinem Kaffee ankommt. Manchmal ist es einfach gut zu wissen, woran man ist. Auch gefällt mir, dass unser Beruf hier vom Publikum sehr geschätzt wird, die Menschen lieben Musical wirklich – und das sorgt dafür, dass man gerne vor einem deutschen Publikum spielt. Man fühlt die Energie im ganzen Raum. Und, natürlich, ich liebe die Sprache. Ich liebe Deutsch. Für mich ist Deutsch unfassbar lyrisch, sehr poetisch, lebendig, ausdrucksvoll. Allein das Wort „ausdrucksvoll“, da denke ich mir, wow! (lacht) Der Umgang mit der Sprache ist auch ein Grund, warum ich gerne in Deutschland arbeite. Wenn ich in Holland unterrichte, unterrichte ich ja auch deutsche Lieder und vermittle genau dieses Gefühl. Alle sind dann immer verwundert, dass die Sprache gar nicht so hart ist, wie sie dachten. Und ich antworte jedes Mal, dass man sich in das Deutsche wirklich tief einfühlen muss. Es ist einfach ganz wunderbar zu singen. 

Morgen ist es soweit und ihr feiert hier am Hessischen Staatstheater Wiesbaden mit dem Musical „Follies“ Premiere. Die legendären „Ziegfeld-Follies-Revuen“ spielen dabei eine wichtige Rolle und kleine Einblicke machen Lust auf ein scheinbar opulentes Broadwaymusical. Was verbindest du mit dem Broadway und seiner Geschichte – neben deiner ganz eigenen, persönlichen Bühnenerfahrung dort?
Im Prinzip könnte man sagen, dass die Anfänge des Musicals am Broadway liegen. Es ist ja ursprünglich aus Vaudeville heraus entstanden – aus Vaudeville-Revue und Operette, um genau zu sein. Hierzu gehörten auch die „Ziegfield Follies“, wunderschöne Frauen auf der Bühne, die alle synchron tanzten und in atemberaubenden Federn gekleidet waren. Man konnte sich als Zuschauer regelrecht fallen lassen und in eine andere Welt entgleiten. Eine Traumwelt, die den Menschen eine Auszeit erlaubte – eigentlich wie im Märchen oder später bei Disney. Ich persönlich finde wirklich unfassbar schön, dass am Broadway unser Beruf sehr ernst genommen wird. Es ist dort eine Kunstform, die genauso wichtig angesehen wird wie Oper oder Schauspiel. Ein absolut hoher Standard. Die Leute schätzen es als fantastisches Entertainment und äußern das auch in ihren Reaktionen, in ihrem Applaus. Gerade, weil man auf drei Disziplinen dem Alltag entschweben kann: Tanzen, Singen und Schauspiel! Es ist auf höchstem Niveau dort, und die Menschen lieben es. Viele Touristen fliegen nur nach New York, um sich am Broadway Musicals anzusehen. Und ich glaube, dass diese Vaudeville-Tradition einen wichtigen Teil daran hatte. Es sind tatsächlich eine Kunst, eine Tradition und ein Zauber, die erhalten blieben. Das berührt mich sehr.

Pia Douwes (Foto: Katharina Karsunke)

Welches Verhältnis hast du zu Stephen Sondheim und seiner Musik? Zu welcher Reise lädt Sondheim sein Publikum in „Follies“ ein?
Man sagt oft, Sondheim ist nicht jedermanns Sache. Und ja, ich kann es verstehen, weil man einfach mehr herausgefordert wird – anders als bei Disney und Co. Ich vergleiche es gerne mit einem Restaurant, in dem ich normalerweise immer das Gleiche wähle. Warum sich nicht mal für was Neues entscheiden, etwas, dass ich noch nie ausprobiert habe? So denke ich mir das manchmal. Manche Dinge muss man erst kennen lernen, bevor sie einem gefallen, doch dann lernt man, es zu schätzen. Und so ist es mit Sondheim auch. Je öfter man Stücke von ihm sieht, desto besser versteht man seine unfassbar cleveren Texte in Verbindung mit einer Musik, die aufeinander abgestimmt sind. Vergleichbar mit einem Maler, der für ein Gemälde seine Farben zusammenstellt und den Pinsel schwingt. Es passiert einfach. Aber wenn man nicht gewohnt ist, herausgefordert zu werden, ist es natürlich erst mal schwierig. Lustigerweise trifft das aber bei „Follies“ für mich nicht zu. Manche Stücke von ihm, zum Beispiel „Sweeney Todd“, sind extremer. „Follies“, eines seiner ersten Musicals, ist auf jeden Fall um einiges zugänglicher. Er hat hier mehr auf dieses melancholische Alte-Stars-Gefühl seine Geschichte komponiert und geschrieben. Und doch gibt es dazwischen auch wieder Nummern, wo man denkt: „Ah! Das ist typisch Sondheim!“ Das finde ich gut. Es ist seine Handschrift. Ich bin ein riesiger Fan von ihm, immer schon gewesen – und ich habe viel zu wenig Sondheim-Stücke gemacht. Weil sie heutzutage in unseren Ländern seltener gespielt werden. Und hier in Wiesbaden, dieses Haus, das ist „Follies“! Allein schon, wenn man ins Foyer oder in den Saal kommt und die Atmosphäre spürt. Man hat direkt das Gefühl, in diesen alten, glamourösen New Yorker Zeiten zu sein. Es passt perfekt hierher.

In „Follies“ kommen alle ehemaligen Revuegirls und Darsteller noch ein letztes Mal zusammen, ehe das Theater, in dem sie ihre Erfolge feierten, abgerissen werden soll. Du spielst nicht zum ersten Mal einen alternden Bühnenstar, der den goldenen, vergangenen Zeiten nachtrauert – und dennoch wirkt Sally Durant Plummer auf den ersten Blick nicht unbedingt wie eine „typische“ Pia-Douwes-Rolle. Wie ordnest du sie für dich ein?
Lustigerweise habe ich mich in Sally schon immer gesehen. In den letzten Jahren waren es bei mir aber meistens sehr kräftige, starke Rollen mit viel Belting, so dass sich alle irgendwie daran gewöhnten. Doch wenn man sich mal zurückerinnert, habe ich ja auch „Passion“ gemacht – und hier war es ebenfalls die untypischere Rolle für mich. Sie hatten den anderen Part schon besetzt, aber dennoch wäre ich so nicht eingeordnet worden. Dieses Mal stand ich tatsächlich vor der Wahl und wusste sofort, ich möchte Sally spielen. Zuletzt war ich Dee Dee Allen in „The Prom“, eine temperamentvolle Diva mit einem herrlichen Humor, die dachte, das Leben würde sich nur um sie drehen. Dabei handelt es sich um einen Charakter, der aufgrund der Kraft und des trockenen Humors Phyllis in „Follies“ etwas ähnelt. Sally hingegen ist um einiges gefühlvoller, zerbrechlicher, aber auch quirliger und hat so eine Sanftheit gegenüber Dee Dee. Zudem wollte ich jetzt, aufgrund meiner Stimmprobleme in den letzten Jahren, eine weitere Seite von mir ansprechen. Daran arbeiten, dass das auch wieder wächst. Sally ist eine ganz andere Stimmlage als Dee Dee. Ich musste hier erst mal ankommen und mich einfühlen, aber jetzt entdecke ich langsam alle Seiten von mir wieder. Und: Da ist noch etwas anderes und ich glaube, das ist wahrscheinlich der größte Grund, warum ich mich für Sally entschieden habe. Eines der ersten Lieder, die ich jemals in meinem Leben, in meiner Karriere, gesungen habe, war „Losing my Mind“. Es ist schon immer eine meiner Lieblingsnummern gewesen. Da war für mich klar: Wenn ich diesen Song jetzt noch einmal singen kann, muss ich es einfach machen. Ich muss Sally spielen! Es ist spannend, weil es wirklich mal meine sanfte, quirlige, unsichere und natürliche Seite zeigt. In mir steckt tatsächlich sehr viel Sally, habe ich gemerkt. Eigentlich ist das noch mehr Pia.

Vor zwei Jahren haben wir auch über das Trauma auf deiner Gesangsstimme gesprochen. Du warst sehr ehrlich, als es darum ging, dass du noch nicht wieder singen kannst. Seitdem ist viel bei dir passiert. Auf deinem Instagram-Kanal ist ein Video zu finden, das dich bei Gesangsübungen mit deinem Lehrer Rein Kolpa zeigt. Wie hast du dich gesanglich und technisch auf diese neue Produktion vorbereitet?
Ich habe sehr viel Legit gesungen, also klassisch, und so meinen Sopran wieder entwickelt. Aber die Stimme war ja komplett weg – oder sagen wir, sie war im Chaos! Das ist immer das Beste, um es zu beschreiben. Meine Stimme hat einfach nichts mehr einordnen können. Und das passiert wieder, sobald Druck entsteht. Das heißt, dass ich in dieser Rolle jetzt sehr viel gehen lassen muss. (atmet hörbar aus) Es darf kein Druck entstehen. So habe ich mich dann wieder zurück auf die Sopranlage orientiert.

Was bedeutet hier konkret, Druck entstehen zu lassen?
Zu kräftig Sopran zu singen, weil es irgendwie klappen muss! Nein, ich wurde gezwungen, alles viel ruhiger und lockerer zu nehmen. Einerseits keinen Druck von außen, weil jeder etwas von mir erwartet, andererseits aber auch kein körperlicher Druck. Alles festsetzen, um Leistung zu bringen. Und diese Rolle bedeutet eben, alles loszulassen, auch beim leichten Sopran. Ja, dann klingt es vielleicht mal ein bisschen dünner. Man darf auch nicht vergessen, ich bin natürlich mittlerweile älter, da verändert sich die Stimme zusätzlich. Menopause, Alter, das heißt, ich hatte wirklich zwei Schwierigkeiten in einem. Aber ich denke mir eben, okay, dann wird meine Stimme anders klingen ab jetzt. Das ist einfach so. Warum nicht selbst auch die Einstellung haben und dann eben schauen, wohin der Weg führt? Wenn ich daran denke, dass ich das alles lange Zeit nicht greifen konnte. Niemand, wirklich niemand wusste genau, was los war. Es war ja kein übliches Problem bei mir. Die Stimmbänder waren in Ordnung, da war nichts los. Anders als wenn etwas kaputt ist und man eine Operation benötigt. Das wäre fast schön gewesen, dann weiß man, woran man ist. Aber ich habe viel gelernt und glaube, es war auch notwendig für mich. (atmet hörbar aus) Wirklich, ich weiß nicht, was sonst passiert wäre. Ich war ein Arbeitspferd, und das Pferd war müde. Müder als ich dachte. Jetzt gehe ich alles an, was hilft. Auch hier in Wiesbaden war ich bei der Logopädin und in einer Chiropraxis, ich suche mir immer meine Stützpunkte um mich herum und lerne dann wieder etwas Neues, das ich schlussendlich für mich einsetze. Noch kann ich nicht einfach so wieder etwas singen und glaube, das wird noch eine Weile so sein. Ich muss Sachen einstudieren, mich darauf konzentrieren und die Stimme kommen lassen. Und ja, das dauert. Vor allem bedeutet es, Geduld zu haben. Es wird immer besser, und irgendwann werde ich auch sagen können, ich mache mal wieder ein Konzert. Aber das ist noch nicht soweit. Doch sieh es mal so: Das, was ich jetzt kann, konnte ich voriges Jahr noch nicht. Oder sogar vor einem halben Jahr noch nicht. Und das gibt mir so viel Mut, denn wenn ich mir denke, das geht jetzt, was heißt das dann für die nächsten paar Monate? Wird es weiter bergauf gehen und besser werden? Manchmal macht man einen Schritt zurück, aber dafür plötzlich auch wieder drei nach vorne. Doch ich gebe zu, ich bin ein ungeduldiger Mensch, ich will es sofort! (lacht) Gut, ich war auch gewohnt, dass es immer alles funktioniert hat: Ich bekomme eine Rolle, ich singe das, fertig. Und jetzt ist es unfassbar, dass ich bereits die zweite Produktion nach dieser schwierigen Zeit spiele! Niemals hätte ich das gedacht. Ich habe wirklich nicht gedacht, dass ich jemals wieder singe.

Pia Douwes (Foto: Katharina Karsunke)

Was hat dich hier in den letzten Wochen unterstützt und begleitet? Welche Essentials durften in deinem Probenalltag absolut nicht fehlen?
Essentials? Mein Hund. (lacht laut) Die ersten drei Wochen habe ich sie hier mitgehabt, meine Sansa. (lächelt liebevoll) Sie durfte sogar mit ins Theater. Ich fand es unfassbar schön, dass das möglich war. Es ist mein Kind. Und wenn sich dein Hund normal verhalten kann, stört er auch nicht. Mir hat es sehr geholfen, nur dann ging es irgendwann nicht mehr, die Proben wurden zu viel. Mein Essential jetzt im Moment ist mein Training, das ich mache. Ich trainiere jeden Tag. Ich habe alles dabei – und zu Hause ziehe ich mein Workout munter durch. Auch meine Waage für das Essen, das ich jeden Tag frisch koche. Das sind meine Essentials jetzt. Oh, und gute Wanderschuhe. Ich war mit Sansa so oft hier im Wald. Ansonsten … (denkt nach) Mein Rucksack! Da ist wirklich alles drin. Ich könnte morgen abreisen und hätte alles dabei. Mein Kissen! Und meine Ohrstöpsel! (lacht laut). Dann kann ich überall schlafen. Aber das sind Sachen, die ich immer dabeihabe. 

Die Musicalwelt befindet sich wie auch unsere Gesellschaft im stetigen Wandel und es ist wichtig, dass neue zeitgenössische Stücke ihren Weg auf die Bühne finden. Warum ist dennoch ein Musical wie „Follies“ aus dem Jahr 1971, das ja nun sehr an die traditionsreiche Broadwayzeit erinnert, so sehenswert und nicht aus der Zeit gefallen?
„Follies“ ist in vielen Punkten unfassbar aktuell. Erst mal glaube ich, dass es heute ebenfalls viele kulturelle Plätze seit Corona schwieriger haben. Die Menschen geben weniger Geld aus. Hier könnte also die Gefahr bestehen, dass Museen oder Theater geschlossen, abgerissen und nicht mehr bespielt werden. Oder dass wir in unserer Gesellschaft Kunst und Kultur nicht mehr als etwas Wichtiges im Leben ansehen, obwohl es fast genauso essenziell ist wie Essen oder Schlafen. Wir brauchen diesen Spiegel, diesen Austausch, die Auseinandersetzung mit uns selbst und das Loslassen von allem. Ja, und Theater wird, weil es als Entertainment gilt, immer noch so sehr unterschätzt. Ich glaube, dass viele Häuser deshalb strugglen, gerade wenn sie nicht subventioniert sind. „Follies“ greift unter anderem dieses Thema auf. Es handelt von einem Theater, das abgerissen wird und zu einer Parkgarage umgebaut werden soll. Etwas, das tatsächlich passieren kann, wenn wir unsere Kultur nicht schützen!

Ein weiterer Punkt im Stück ist der Respekt vor der Vergangenheit. Die Menschen haben etwas erlebt, was für sie wirklich eine Bedeutung hatte. Und alles hatte damals einen Grund, nichts wäre sonst so gekommen wie es heute ist. Wir werfen heutzutage oftmals vieles weg, anstatt zu ehren, was mal war! Man muss es nicht verherrlichen, das ist was anderes. But you have to honor it!

Und letztlich aber am wichtigsten: Bei „Follies“ stehen die zwischenmenschlichen Verhältnisse und die hauchdünnen Schichten im Vordergrund, wenn sich die Hauptdarsteller nach 30 Jahren wieder treffen und man durch die jungen Darsteller zwei Ebenen, Vergangenheit und Gegenwart, verdeutlicht bekommt. Beides kreuzt sich, so dass man manchmal gar nicht mehr genau weiß, wo man sich befindet. Und diese Auseinandersetzung, diese verpassten Chancen, unrealistischen Hoffnungen und neue Einsichten, wie anders das Leben gelaufen ist, als sie vielleicht wollten, ist etwas, das jeder in sich wiederfinden kann. Vielleicht war man selbst auch 20 Jahre mit jemandem verheiratet und vergisst, warum man sich zueinander hingezogen fühlte? Oder hat man in einer Fantasiewelt gelebt, sich das früher alles nur vorgemacht und muss es heute ganz anders betrachten? Es ist diese absolute Gratwanderung zwischen dem, was war und dem, was jetzt ist. Und dazu all die Fragen: Wie ist das verloren gegangen? Wie bekommen wir es zurück? Wollen wir das überhaupt wieder zurück? (lächelt) Ich glaube, dass jeder Mensch sich darin erkennt. Nur wollen wir in unserem Leben nicht darüber nachdenken, es nicht an uns heranlassen. Deshalb lenken wir uns ständig ab. Aber wenn man dann in einem Theater sitzt und „Follies“ anschaut, wird man für zweieinhalb Stunden unbewusst damit konfrontiert. Es verinnerlicht sich ganz von selbst, die Gedanken kreisen und man beginnt zu reflektieren. Das ist so spannend!

Wenn du jetzt abschließend zurückdenkst an die letzten zwei Jahre und unser Gespräch damals: Was stärkt dich gerade am meisten im Leben und wem bist du dankbar?
Alle, die mir auf diesem Weg geholfen haben. Auch die Leute und Sachen, die ich versucht habe und dann merkte, dass es das nicht ist. Denn nur dadurch lernt man und deshalb ist es für mich so wichtig, immer verschiedene Richtungen auszuprobieren. Ich bin sowieso ein Mensch, der alles erleben muss. Ich muss es spüren, körperlich integrieren, die Erfahrungen fühlen. Deshalb bin ich jedem dankbar. Aber vor allem den Leuten, die zu mir hielten und stets sagten, „du kannst das, das ist in dir!“ Auch wenn ich wieder anderer Meinung war und nichts mehr glauben wollte. Sie motivierten mich zum nächsten Schritt. Und das sind nicht nur die Therapeuten, Gesangslehrer und so weiter, sondern auch meine Freunde, meine Familie und – ganz wichtig – die Produzenten und Regisseure, die Musikalischen Leiter und meine Bühnenpartner. Denn niemand wusste, wo es bei mir hinführen wird! Da bin ich auch den Produzenten von „The Prom“ sehr dankbar, weil sie trotzdem zu mir hielten und es wirklich riskierten. Natürlich habe ich immer mein Bestes gegeben und ganz hart gearbeitet. Aber man kann noch so hart arbeiten: wenn es nicht geht, geht es nicht. Doch dieses Vertrauen hat mir Flügel gegeben. Das hat mich relaxed! Ich finde es unfassbar, dass Menschen sich so etwas trauen und was daraus entstehen kann. Auch hier in Wiesbaden wusste ich von vornherein, dass es immer besser und besser wird, aber ich konnte niemandem etwas garantieren! Das geht leider in meinem Fall nicht. Und dann ist es so toll, wenn es klappt und weitergeht. Ich habe auch immer gemerkt, dass niemand zweifelte – das war für mich wirklich: Wow! Ich war immer der Zweifler. Und dann sind da natürlich noch die Fans. Die Fans, die zu mir gehalten haben. Alle, die hinter mir standen und sagten, „wir sind treu, wir bleiben da!“ Diese Positivität und Unterstützung haben mir wahnsinnig geholfen. Das möchte ich auch mal gesagt haben. Das zeigt ja auch, dass man tatsächlich Fan von jemandem ist. Also nicht nur ein flüchtiges „Du bist jetzt in“. Ich spürte auf einmal eine tiefe Verbundenheit – und das hat wirklich etwas mit mir gemacht.

Würdest du sagen, du bist aktuell glücklich?
Absolut! Ich bin dankbar. Ich habe ein Dach über dem Kopf, ich habe Kleidung an, die ich mir aussuchen kann, ich wähle, was ich esse. Ich darf mit tollen Menschen arbeiten, ich habe Freunde und Familie, ich bin gesund! Es ist schon unfassbar, wie gut wir es haben – und wir vergessen es im Alltag, wir urteilen immer viel zu schnell Und ja, ich mache es selber auch! Ich bin nur ein Mensch, manchmal zu direkt oder mache Fehler. Aber dann versuche ich auch zu sagen, „ach, das war blöd von mir“ oder „sorry, das habe ich nicht gesehen.“ Wir müssen aufeinander zugehen. Wenn du siehst, was jetzt alles in der Welt passiert – am liebsten würde ich in diesem Moment aufstehen und dort hingehen und helfen! Aber ich habe morgen eine Premiere zu spielen, und deshalb versuche in kleinem Rahmen, hier in meiner Umgebung, für andere da zu sein und mit allen so gut umzugehen, dass wir uns miteinander wohlfühlen. Deshalb kann ich sagen, dass ich wirklich glücklich bin.

Interview: Katharina Karsunke

Katharina Karsunke ist Sozial- und Theaterpädagogin, hat jahrelang Theater gespielt, aber auch Kindertheaterstücke geschrieben und inszeniert. Ihre Liebe fürs Theater und ihre Leidenschaft fürs Schreiben kombiniert sie bei kulturfeder.de als Autorin.