Pia Douwes im Porträt: Eine Reise durch 35 Bühnenjahre
Seit 35 Jahren ist die Musicaldarstellerin Pia Douwes von den Bühnen dieser Welt nicht mehr wegzudenken. Spätestens seit ihrem Durchbruch mit „Elisabeth“ in Wien 1992, ist sicher jede Musicalliebhaberin und jeder Musicalliebhaber der quirligen Holländerin mit der einnehmenden Bühnenpräsenz und der charakterstarken Stimme mindestens einmal begegnet. Kaum jemand hatte das Glück, so viele Hauptrollen kreieren und gestalten zu dürfen, kaum jemand inspirierte so viele Generationen an Künstlerkolleginnen und -kollegen sowie Fans – bis heute. Doch was war Pia Douwes‘ eigene, ganz persönliche Reise durch die Zeit, fernab der großen bekannten Bühnenerfolge? Wie wurde damals die Leidenschaft für das Genre Musical in ihr entfacht und was löst Theater in ihr aus? Welche sind ihre persönlichen „Magical Moments“, und wie hat sie gelernt, auch mit den Schattenseiten des Künstlerdaseins umzugehen? Wer hat die Grande Dame des Musicals zeit ihres Lebens inspiriert und begleitet? Was bedeutet es überhaupt für sie, die Grande Dame zu sein? Und wie blickt sie jetzt, nach all den Jahren, zurück und weiterhin nach vorn?
35 Bühnenjahre sind für die niederländische Künstlerin schwer greifbar. Sie schmunzelt, als sie darüber nachdenkt. „Ich bin schon 35 Jahre im Beruf! Wie ist denn das auf einmal gekommen? Diese Zahl ist schon sehr eigenartig und sehr surreal manchmal“, findet Douwes. 35 Bühnenjahre, die 1986 ganz klein und unscheinbar in Wien mit „Little Shop of Horrors“ begannen. Und obwohl Pia Douwes aus einer sehr künstlerisch geprägten Familie stammt und auch zu Schulzeiten schon gerne beim bunten Abend im Internat mitwirkte, im Chor sang und vor allem viel tanzte, war es ja die so häufig erwähnte Disco, die in ihr den Wunsch auslöste, Tänzerin zu werden. Dies führte auch dazu, dass sie ihren ursprünglichen Plan verwarf, den Krankenschwesterberuf für geistig behinderte Kinder (heute: Heilerziehungspflegerin) zu erlernen.
Leidenschaft mit 17 in London bei „Cats“ entdeckt
Vom Musical selbst wurde sie allerdings anderweitig gepackt, bei einem ihrer ersten Theaterbesuche in London, mit gerade einmal 17 Jahren. „Cats“ war das damals – und eine riesige Revolution. Sie erinnert sich: „In der Vorstellung bin ich sogar mit meiner Familie gewesen, was für eine Show! Von überall her kamen auf einmal die Katzen auf dich zu, das war total aufregend und unvergesslich! So etwas gab es vorher nicht, man sprach hier plötzlich von einem neuen Zeitalter! ‚Cats‘ gehörte zu den ersten durchkomponierten Musicals, so wie wir sie heute kennen. Damit begann der Hype.“
Mit „Cats“ verbindet Pia Douwes nicht nur ihr erstes Musical überhaupt, sondern auch den absoluten Beginn ihrer Liebe für das Genre. Als eines ihrer ersten Engagements am Wiener Ronacher Ende der 1980er Jahre, veränderte Andrew Lloyds Webbers Welterfolg auf einmal ihr Leben und entfachte in ihr die Leidenschaft für das Musical und den Beruf, wie sie bis heute ungebrochen ist. „Diese Zeit bei ‚Cats‘ war der absolute Wahnsinn und hat mich unwahrscheinlich geprägt. Es ist eine Verbundenheit entstanden, die man nie wieder loswird, weshalb meine besten Freunde von damals heute noch immer an meiner Seite sind. Das ist wirklich etwas Besonderes, etwas, das bleibt. Auch konnte ich dank ‚Cats‘ die wahre Freude für den Beruf entdeckten. Bei ‚Little Shop of Horrors‘ haben wir ja alles selber gemacht, von den Kostümen bis hin zu den Plakaten in der Stadt, aber bei ‚Cats‘ erfuhr ich erstmalig die Routine und was es bedeutet, achtmal in der Woche zu spielen, diese Disziplin durchzuhalten und seinen Körper immer richtig einzusetzen. Hier habe ich gelernt, was der Beruf wirklich beinhaltet, wie hart und heftig er ist, aber zugleich auch wie wunderschön. Da ist die Liebe so richtig übergesprungen.“
Unvergessliche Zeit ohne den Leistungsdruck von heute
Dankbar lächelnd blickt Douwes auf ihre Anfänge zurück. „Ich war tatsächlich von Beginn dieses Musicalzeitalters an dabei, und das ist ein großer Schatz. Mit dem Laufe der Jahre realisiere ich auch immer mehr, wie besonders das gewesen ist. Jetzt gibt es so unwahrscheinlich viele Musicals, und gefühlt ist jeder im Beruf, was natürlich auch sehr schön ist, aber die haben es schwieriger. Wir konnten eine unvergessliche Zeit erleben ohne den Leistungsdruck des heutigen Tages. Es war ohne Zweifel eine wahre Glanzzeit.“
Das alte Wiener Ronacher gehört neben dem Theater Carré in Amsterdam und dem Theater an der Wien zu den Lieblingstheatern der Niederländerin. „In Wien und Holland liegen meine Anfänge, dort hat damals alles begonnen“, erzählt Pia Douwes. „Ich glaube, man verbindet mit einem Theater vor allem auch immer die Erinnerungen an gemeinsame Zeiten und Produktionen. Das macht für mich letztendlich ein Theater aus. Die Räumlichkeiten, der Probenraum, die Garderobe – überall hatte man Höhe- und Tiefpunkte. Oder der Zuschauerraum mit dem Blick von der Bühne, die Kantine, in der man Feste und Partys feierte und zudem natürlich all die Menschen, die dort arbeiten. Deshalb sind Wien und das Carré ganz besonders für mich.“ Überhaupt ist Theater für Pia Douwes ein magischer Begriff und ein glanzvoller Ort. Ein Ort, voller Inspiration und Kreativität, aber auch ein Ort, der als Spiegel der Gesellschaft gilt.
„Im Theater haben wir die Möglichkeit, Menschen in eine andere Welt zu entführen, aber ihnen auch ihre eigene Welt zu zeigen. Picasso hat hier treffend gesagt, Kunst sei eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lasse. Und das ist wahr! Deshalb müssen wir Künstler alle Emotionen der Menschheit spielen und vermitteln können. Wir sind schon eigenartige Wesen, sage ich mir manchmal.“ Sie lacht bei diesen Worten. „Im Theater denkt man weiter, als die Realität es zulässt. Da gibt es einfach keine Grenzen im Vorstellungsvermögen und in der Umsetzung. Das finde ich so spannend! Theater ist so grenzenlos! Und genau das vermisse ich. Ich vermisse es aktuell sehr, Theater zu spielen.“
Applaus nahm sie anfangs nie so wirklich wahr
Und dennoch wäre ein Theater nichts ohne sein Publikum, davon ist Pia Douwes felsenfest überzeugt. Wobei sie sich an ihren ersten Schlussapplaus gar nicht mehr richtig erinnern kann. Sie schmunzelt bei dem Gedanken daran. „Am Anfang war der Applaus sowieso nicht riesig. Ich habe ja ‚Little Shop of Horrors‘ in Wien gemacht, und es saßen nicht mehr als hundert Zuschauer im Saal. Und außerdem muss ich gestehen, dass ich den Applaus nie so wirklich wahrgenommen habe, weil ich immer sehr kritisch war und dachte, das war nicht gut und daran muss ich noch arbeiten. Das hat sich erst geändert, als ich mehr Selbstvertrauen bekam. Da hört man auf einmal den Applaus und denkt sich: Ah, das ist für uns, für mich? Oh.“
Aus dem Publikum hat die Künstlerin über all die Jahrzehnte viel Kraft und Inspiration geschöpft. „Jede Vorstellung hat eine Botschaft, und wir auf der Bühne wollen sie dem Publikum überbringen – also ist das Publikum ein wichtiger Bestandteil unserer Existenz. Gemeinsam in eine andere Wirklichkeit eintauchen zu können und seine Seele freizulassen, ist einfach so wunderschön. Das Publikum dankt einem dafür und trägt dies letztendlich nach Hause. Als Musicaldarsteller haben wir wirklich das Glück, von den Fans viel Feedback zu bekommen. Das ist großartig, denn sonst würde man gar nicht wissen, wie die Vorstellung war, weil die Menschen im Anschluss nach Hause gehen. Deshalb finde ich es schön, dass man in Holland bei kleineren Produktionen hinterher gemeinsam im Foyer etwas trinkt, um den Abend ausklingen zu lassen. Und manchmal spricht mich jemand an und bedankt sich bei mir oder möchte sich über die Vorstellung unterhalten. Das sind für mich die kleinen Geschenke, weil ich denke, genau dafür habe ich es gemacht. Ich habe auch häufig Briefe erhalten und dadurch festgestellt, dass man bei den Leuten wirklich etwas bewirkt. Wow!“
Und die Menschenmassen am Bühneneingang? „Ich bin ganz ehrlich, damals, als ich mit dem Beruf begonnen habe, war das nichts, womit ich rechnete und was ich einschätzen konnte“, lacht Douwes. „Gerade am Anfang in Wien waren es so viele Fans, ich war wirklich schockiert. Aber es hat mich geprägt, und so habe ich gelernt, gut damit umzugehen. Ich setze Grenzen, das ist für meine eigene Energie wichtig, aber dennoch gebe ich immer mein Bestes und möchte den Fans entgegenkommen, weil wir natürlich auch wissen, wie bedeutend es ist, dass sie da sind. Wir schätzen das wirklich. Deshalb bitte weiterhin so!“
Sitzprobe ist Douwes’ Magical Moment
Damals wie heute steht für Pia Douwes das Handwerk des Berufs im Mittelpunkt. Auf die Frage nach ihrem persönlichen „Magical Moment“ während einer Probenzeit, beginnt sie zu schwärmen: „Die Sitzprobe! Dieser wunderschöne Moment, wenn man zum ersten Mal das Orchester miterlebt und nichts tun muss, außer einfach nur zu singen und zu genießen. Das liebe ich! Das ist eine unglaubliche Energie!“ Allerdings bringen Probenzeiten für die ambitionierte Künstlerin auch stets Schattenseiten mit sich. Meistens blickt sie sehr kritisch auf ihre eigene Arbeit und ist oft unsicher. „Ich mache mir immer Sorgen, dass mich alle furchtbar finden. Sobald wir aber den ersten Durchlauf mit Licht und Kostüm auf der Bühne haben, fühle ich mich am wohlsten. Dann denke ich mir, so, jetzt bin ich hier in meinem Element, jetzt fängt meine Zeit an!“ Sie lächelt. Aber die Angst zu versagen oder nicht gut genug zu sein, ist in all den Jahren stets als treue Begleitung an ihrer Seite geblieben.
„Ich bin noch immer unsicher und glaube, das wird auch weiterhin so bleiben. Man lernt aber, anders damit umzugehen. Das Gefühl ist nun vertraut und ich weiß, wann es wiederkommt. Es ist ein Teil von mir und ich mache trotzdem weiter. Man darf nicht zulassen, dass diese Stimme Kraft erhält. Wichtig ist auch, sich bei Unsicherheiten und Ängsten jemanden zu holen, der es ehrlich mit dir meint. Bei mir sind es oftmals Leute, die ich sehr respektiere, zum Beispiel Regisseure oder ein Freund. Ich frage sie direkt: Was kannst du mir sagen, woran kann ich arbeiten? Denn dafür gibt es ja schließlich die Probe, hier baut man weiter und weiter. Doch das richtige Wachsen – das passiert mit Publikum.“
Auch Kritiken lösen bei ihr ein sensibles Gefühl aus. Offen und ehrlich sprach sie schon immer darüber, dass sie vor vielen Jahren aufhörte, Rezensionen zu lesen. „Es hat einfach immer etwas mit mir gemacht. Und das liegt einzig und allein bei mir, nicht bei den Kritikern. Mir persönlich geht es um die Zuschauer, ob sie kommen, ob sie interessiert sind, ob es etwas in ihnen auslöst. Und nicht um einen Text, der am Premierenabend verfasst wurde, als wir noch gar nicht eingespielt waren.“ Das ist auch der Grund, warum Pia Douwes Premieren am liebsten gar nicht stattfinden lassen würde. Sie lacht, als sie darüber spricht. „Auf der Bühne sind alle sehr aufgeregt, weil man weiß, es wird darüber berichtet, aber die Vorstellung ist noch gar nicht dort, wo sie sein sollte. Eine Premiere ist genauer gesagt nur ein Datum, aber die Reife kommt erst, wenn eine Weile gespielt wird. Und hierüber wird geschrieben, das finde ich immer so schade. Deshalb habe ich es so gelöst und keine Kritiken mehr gelesen, sondern einfach eine schöne zweite Show gespielt. Das war für mich am leichtesten.“
Eine Hauptrolle nach der anderen
Jahrelang reihte sich bei Pia Douwes eine Hauptrolle an die andere. Elisabeth, Evita, Sally Bowles, Milady de Winter, Velma Kelly, Norma Desmond, Diana Goodman – nur um ein paar zu nennen. Aber auch jede Hauptrolle wäre nichts ohne ein kraftvolles Ensemble, da ist sich die Leading Lady sicher. „Wenn man ein Ensemble hat, was stark ist und sich in seiner Haut wohlfühlt, hat man on-stage die beste Energie und kann off-stage eine wunderbare Beziehung führen. Es ist das gemeinsame Erleben, eine Produktion wirklich toll zu gestalten. Ich liebe es, mit einem großartigen Ensemble und fantastischen Gegenspielern zusammen zu sein, die auch Spaß daran haben, das Beste aus dem Stück zu machen. Und das Herrliche ist, dass jeder etwas Neues zum Tisch bringt, so dass ich jedes Mal anders agiere und nie gleich auf mein Gegenüber eingehe!“
Dankbar und zugleich kritisch spricht sie über ihren häufigen Platz als Protagonistin im Ensemble und die Zusammenarbeit mit ihren Zweitbesetzungen oder Alternates. „Weil ich so harmoniebedürftig bin, habe ich mich oft unsicher in dieser Position gefühlt. Doch irgendwann konnte ich einsehen, dass ich nicht ohne Grund als Erstbesetzung ausgewählt wurde. Nicht weil eine Zweitbesetzung oder Alternate weniger Talent hat. Doch ich bin zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen und war diejenige, die sie wollten. Sonst hätten sie sich für jemand anderes entschieden. Ich habe aber immer meine Zweitbesetzungen angeschaut, weil ich wusste, ich kann etwas für mich mitnehmen und von ihnen lernen. Und mir war es auch immer wichtig, zu zeigen: ich respektiere dich.“
Eine ganz besondere, unglaublich prägende Zusammenarbeit und Erfahrung wird die Musicaldarstellerin nie vergessen. Eine Erfahrung, die sie selbst unbewusst weitergab: „In meiner Anfangszeit als Coach, habe ich oft Harry Kupfer vor mir gesehen. Da dachte ich: ‚Das habe ich von ihm!‘ Wenn ich coache, während jemand singt, rede ich direkt auf die Person ein, damit sie die Informationen gleich umsetzen kann. Ich lasse dabei nicht locker. Manchmal gehen wir sogar durch den ganzen Raum. Dabei kann Lustiges oder Wunderbares passieren! Und genau das hat Harry Kupfer bei den Proben zu ‚Elisabeth‘ in Wien mit mir gemacht. Als ich in der Ecke gestorben bin, das schwarze Kleid aufriss und als junge Elisabeth praktisch aus meinem Fell, meiner Haut, schlüpfte, stand er vor mir und redete auf mich ein. Und ich habe immer weitergesungen. Das hat wahnsinnig viel mit mir gemacht. Er hat mich während des Singens inspiriert und dahin gebracht, wo ich in dem Moment sein sollte. Ich konnte es richtig spüren. Das ist etwas anderes, als wenn jemand dies oder jenes von dir verlangt und du es danach ausführen musst. Tatsächlich mache ich das auch in meinem Unterricht, merke ich. Hier habe ich realisiert, wie eng ich mit Harry Kupfer verbunden bin und wie unbewusst ich seine Methoden weitertrage.“
Mamapia und Papapia als größte Fans
Auch, dass ihre Eltern sie über all die Jahre so eng begleitet haben, bedeutet Pia Douwes sehr viel. Jahrzehntelang waren Mamapia und Papapia die größten Fans ihrer Tochter und in sämtlichen Theatern sowie bei Kolleginnen und Kollegen immer gern gesehene Gäste. „Ich vermisse sie auch. Sie sind so ein Teil meines Lebens gewesen, stets an meiner Seite. Allerdings war das auch oft nicht leicht. Sie waren viel anwesend, und als junger Mensch fragt man sich manchmal, ob es nicht peinlich ist, dass die Eltern immer kommen. Schließlich hatten nicht alle Darsteller diesen Support, deshalb habe ich mich zeitweise auch ein bisschen geschämt. Aber irgendwann konnte ich einsehen, wie unfassbar großartig das von meinen Eltern war. Und dann habe ich es wahnsinnig geschätzt und bin ihnen heute unendlich dankbar dafür.“
Sehnt sie sich manchmal ein wenig nach den alten Zeiten? „Ja, aber ich glaube, das geht jeder Generation so. Jede Generation redet irgendwann davon: ‚Ach, weißt du noch, damals?‘ Ich denke, das hat vor allem mit dem Alter zu tun. Wenn man jung ist, saugt man alles auf, möchte alles miterleben. Man weiß, dass man etwas ganz Besonderes erfährt. Doch erst später wird einem bewusst, dass es nie wiederkommt – und dann sehnt man sich manchmal zurück in diese Zeit.“ Denn auch die Entwicklung der Musicalbranche und die Schnelllebigkeit der Gegenwart gehen nicht spurlos an der Künstlerin vorbei. Nicht mehr nur das Handwerk, das sie so sehr liebt und weshalb sie diesen Beruf einst begann, stehen im Vordergrund, sondern auch der Verkauf und die Vermarktung. Sie gibt zu, weiterhin stets zu versuchen, ihre Mitte in dem Ganzen zu finden. Das fällt ihr, auch bezogen auf Social Media, nicht immer leicht.
„Ich finde das sehr ermüdend, aber ich verstehe auch, dass es heutzutage darum geht, wie aktuell du bist“, sagt Pia Douwes. „Und ich versuche mein Bestes mit Instagram und Facebook. Aber ich bin ehrlich, auch in der Zeit, als es mir weniger gut ging, war das nicht einfach. Und es ist tückisch: Der Mensch braucht Verbindung, möchte gesehen und wahrgenommen werden. Er kann nicht leben ohne Verbindung. Und Social Media verbindet uns in ganz Vielem, denken wir. Aber manchmal ist es einfach auch eine Illusion. Ich finde es interessant, warum wir alles voneinander wissen müssen. Das verstehe ich nicht. Oft habe ich das Gefühl, wir zerstückeln und verzetteln uns, weil wir möglichst überall mitmachen wollen. Wir möchten alles miterleben, weil wir Angst haben, sonst etwas zu verpassen. Ich meine, das kenne ich ja selbst auch von mir. Aber früher, als wir das Telefon nicht hatten, war unsere Welt viel kleiner. Da haben wir es in unserem Nächsten gesucht. Und jetzt suchen wir es in der Welt.“
Mit dem Tod des Vaters verlor Pia Douwes ihren Anker
Eine Welt, die sich bei Pia Douwes irgendwann immer mehr und immer schneller drehte. Die Engagements reihten sich aneinander oder fanden zum Teil parallel an verschiedenen Orten statt, womit tägliches Reisen und nächtliche Autofahrten zum Alltag gehörten. Dazwischen Konzerttourneen, Soloprogramme, Promotion-Auftritte, Charity-Events, Coaching-Anfragen, Autogrammstunden, Interview-Termine, dazu private Ereignisse und Sorgen. Ein Pensum, das an einem Punkt nicht mehr zu schaffen war. Als die sonst so fröhliche Niederländerin über die letzten Jahre spricht, senkt sie den Blick und wird ganz leise. Der Burn-out, der Verlust ihres Vaters, die Folgen daraus und das Trauma auf ihrer Stimme, all das hat viel mit ihr gemacht. „Durch den Burn-out war mein Körper unglaublich übermüdet und enthielt viel Spannung. Das habe ich gar nicht wahrgenommen. Ich habe einfach versucht zu überleben, noch eine Show zu machen und noch eine Show und zudem für die Fans da zu sein und da noch ein Interview und da noch. Und das war einfach zu viel. Vielleicht habe ich es auch nicht zu hundert Prozent ernst genommen, weil ich ja weiterarbeitete. Auch, um Geld zu verdienen, da ich selbstständig und alleinstehend bin. Als aber mein Vater starb, ist es eigentlich richtig passiert. Mein Vater hielt mich, er war mein Anker. Und mein Anker war weg. Ich glaube, da hat meine Stimme gesagt: ‚So, jetzt bin ich zu traurig, zu müde, zu kraftlos. Ich kann nicht mehr.‘ Der Boden war einfach weg.“
Nichts und niemand konnte helfen – außer ihr Hund
Krisen, aus denen man allein nicht wieder herauskommt. Pia Douwes erinnert sich: „Nichts konnte mir helfen. Nichts und niemand. Eigentlich nur mein Hund. So musste ich aufstehen und Gassi gehen, so musste ich wenigstens das Haus verlassen. Und man braucht einfach Zeit. Man braucht viel Liebe um sich herum – und Menschen, die einen unterstützen. Es ist wichtig, dass man jemanden hat, der nicht aufgibt. Auch glaube ich wirklich, dass man Vertrauen ins Leben haben muss und dass es so läuft, wie es laufen soll. Dagegen ankämpfen oder sich hängen lassen – beides funktioniert nicht. Man muss wirklich einen Fuß vor den anderen setzen, immer weiter und weiter. Und wenn man down ist, darf man auch down sein. Wichtig ist, dass es nicht zur Falle wird und man da wieder herauskommt.“
Heute ist Pia Douwes einfach dankbar dafür, wenn die Sonne scheint. Oder entzückt darüber, wenn ihre Hündin Sansa tief und fest im Körbchen schläft und dabei merklich träumt. Auch gemeinsames Spazieren im Wald und Zeit für sich nehmen, stehen für die Künstlerin, die früher acht Shows in der Woche gespielt hat, an allererster Stelle – und ihre Herzensangelegenheiten: Als Botschafterin verschiedener Organisationen und Stiftungen leistet sie ehrenvolle Arbeit und gibt somit ein Stück ihrer Dankbarkeit, welche sie durch all ihre erfolgreichen und erfüllten Lebensjahre bisher erfahren durfte, zurück. „Ich habe neulich kranken Kindern vorgelesen, das war wirklich besonders. Du siehst die Kinder und denkst dir: Wovon rede ich eigentlich? Ich habe ein tolles Leben bis jetzt gehabt – und die müssen noch anfangen und haben es schon so schwer!“ Ob sie glaubt, dass ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten mit ihrem früheren Berufswunsch zusammenhängen, der jetzt hervorblitzt? „Eindeutig!“ Sie lacht. „Das ist eine andere Seite von mir, ja. Genauso liebe ich das Unterrichten und mit jungen Talenten zu arbeiten. Etwas für andere machen und anderen helfen. Das mag ich schon sehr.“
Immer hart an Talent und Erfolg gearbeitet
Trotz ihrer großen Erfolge und einer beispiellosen Karriere, ist die Niederländerin bescheiden geblieben. Preise und Auszeichnungen anzunehmen, fällt ihr schwer. Und auf die Frage hin, ob sie sich mit dem Titel „Grande Dame des Musicals“ identifiziert, wird Douwes ganz verlegen. „Wenn ich mein Gefühl ausblende und das Ganze objektiv und technisch betrachte, dann denke ich mir, ja, natürlich stimmt es auch ein bisschen. Ich war nun mal in dieser Generation die erste internationale Musicaldarstellerin in Europa, die überall gearbeitet und die größten Rollen verkörpert hat. Zudem hatte ich das Glück, eine Rolle – sogar mehrere – kreieren zu dürfen, die es noch gar nicht gab und die jetzt international erfolgreich gespielt wird. Eine Rolle, die mich auch für immer definieren wird. Es wäre alles anders gekommen, wenn ich nie am Broadway oder West End gewesen wäre, wenn ich nie einen Charakter wie Elisabeth entwickelt und letztendlich berühmt gemacht hätte. Doch in meiner Karriere gab es all diese Stationen, ich habe alles durchlaufen. Zu einer Zeit, in der ganz lange niemand Weiteres in dieser Situation war. Aber dennoch, wenn ich auf mein Gefühl schaue, dann denke ich mir, naja, ich weiß nicht. Dann kommt die kleine Pia in mir hoch und wird schon ein bisschen verlegen. Das ist eben auch die Bescheidenheit, die ich habe, glaube ich. Weil ich mir denke, es ist auch einfach viel Glück gewesen. Und dazu muss ich sagen, ich habe an meinem Talent und Erfolg wirklich immer hart gearbeitet.“
Wenn Pia Douwes auf ihre 35 Bühnenjahre zurückblickt, ist sie einfach geprägt von tiefer Dankbarkeit. „Ja, ich habe eine tolle Karriere mit wahnsinnigen Chancen und Möglichkeiten bis jetzt gehabt. Das muss ich schon sagen! Im Moment kommt es mir so weit weg vor, aber wenn ich dann von außen schaue, denke ich, wow!“ Ein einzelnes Highlight zu nennen, fällt Douwes sichtlich schwer, zudem war gewiss nicht immer alles leicht. „Aber auch die schwierigsten Dinge können manchmal die lehrreichsten Dinge sein“, sagt die Künstlerin. „Ich sehe alles im Leben immer als Lernprozess, jeden Tag aufs Neue. Somit haben auch die unschönen Erlebnisse für mich die Chance, zur besten Erinnerung zu werden.“ Und was würde die Pia Douwes von heute mit all ihrer Lebenserfahrung der jungen Pia sagen, die ganz am Anfang ihrer Karriere steht, ohne wirklich zu wissen, dass es eine Karriere wird? „Puh, das finde ich schwierig. Wenn ich ihr einen Rat geben würde, hieße das ja, sie hat etwas falsch gemacht. Das Leben passiert doch einfach und vor den Lektionen auf dem Weg kann uns niemand bewahren. Es liegt an uns, wie wir damit umgehen und was wir daraus lernen. Aber, vielleicht würde ich ihr sagen, dass sie nicht an sich zweifeln soll. Und, dass sie es von ganzem Herzen wert ist, geliebt zu werden. Denn das vergisst sie manchmal.“
Text: Katharina Karsunke