
Wie ein Besuch im Themenpark: „Harry Potter und das verwunschene Kind“ in Hamburg
Mit „Harry Potter und das verwunschene Kind“ hat die magische Welt von J.K. Rowling endgültig die Theaterbühne erobert – und das auf eine Art, die sich hinter keinem Blockbuster verstecken muss. Im Theater am Großmarkt in Hamburg läuft mittlerweile schon seit einiger Zeit die gekürzte Fassung des Stücks, das ursprünglich in zwei abendfüllenden Teilen zu erleben war. Drei Stunden und fünfzehn Minuten dauert die Hamburger Version immer noch – und sie hat es in sich.
Die Entscheidung, die Inszenierung zu straffen, wirkt im Großen und Ganzen gelungen. Gerade in der ersten Hälfte kämpft das Buch von Jack Thorne zwar mit einem gewissen Ungleichgewicht: Es wirkt anfangs gehetzt und wirft mit Figuren, Zeitsprüngen und magischen Wendungen nur so um sich, ohne dem Publikum ausreichend Raum zum Atmen zu geben. Paradoxerweise schleichen sich trotz dieses Tempos auch Längen ein, was zeigt, dass die Geschichte nicht noch ausführlicher erzählt werden muss. Die Kürzung ist also richtig, auch wenn sie nicht alle dramaturgischen Brüche glättet. Zudem ist eine Herausforderung für das Publikum im ersten Akt, dass man mit den neuen Charakteren erst warm werden muss. Schließlich erzählt das Stück eine Handlung, die 19 Jahre nach „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ spielt. Harry, Ron und Hermine stehen also weniger im Fokus, als ihre Kinder.
Im zweiten Akt aber nimmt das Stück Fahrt auf. Es wird schon mit dem Finale des ersten Akts düsterer, emotional dichter und szenisch spektakulärer. Spätestens wenn die Dementoren auftauchen, herrscht gebannte Stille im Saal. Die Technik tut ihr Übriges: Die Reihenbeleuchtung geht aus, ein Dementor fliegt bedrohlich durch den Zuschauerraum, begleitet von einem perfekt abgestimmten Sounddesign. Auch Voldemort selbst schreitet greifbar bedrohlich gegen Ende des zweiten Akts durch den Saal.
Was diese Produktion zum Ereignis macht, sind definitiv die Effekte: Funken aus Zauberstäben, sich verwandelnde Figuren dank Vielsafttrank, schwebende Bücher, flackernde Schatten, Zeitumkehrer und so viel mehr. Hier zeigt sich: Die Bühne kann, wenn man es richtig macht, genauso spektakulär sein wie der Kinosaal – im Grunde sogar wirkungsvoller, weil alles ohne CGI-Technik live passiert und das Publikum die Tricks kaum bis gar nicht nachvollziehen kann.
Musikalisch wird das Geschehen mit einem Soundtrack untermalt, der an Filmmusik erinnert, aber nicht auf die bekannten „Harry Potter“-Motive der Filme zurückgreift. Das ist stimmig: Die Musik trägt Szenen, verstärkt Stimmungen und macht das Stück zu einem cineastischen Live-Erlebnis, ohne sich an die Nostalgie der Filme zu klammern.
Dass dieser Abend gelingt, liegt auch an einem Ensemble, das bis in die Nebenrollen glänzt. Einige Schauspielerinnen und Schauspieler kommen aus dem Musicalbereich, was ein klarer Vorteil ist, da die gesamte Inszenierung getimt und durchchoreografiert ist. Bewegungen, Szenenwechsel und Zaubereffekte greifen wie Zahnräder ineinander. Wer hier auf der Bühne steht, muss nicht nur spielen, sondern auch präzise funktionieren.
David Imper gibt einen gereiften, zweifelnden Harry Potter, dessen Rolle als Vater mit der Last der eigenen Vergangenheit ringt. Jana Stelley als Ginny Potter bringt Wärme und Entschlossenheit ein und ist das emotionale Zentrum der Familie. Die wohl stärksten Momente aber gehören Cedric Schröter als Albus Potter, der mit Sensibilität und innerem Konflikt aufwartet, und Lukas Kenfenheuer als Scorpius Malfoy, der mit Leichtigkeit, Witz und einem Hauch Tragik die Herzen des Publikums gewinnt. Ihre Freundschaft ist das emotionale Rückgrat des Stücks.
Auch die Elterngeneration überzeugt: Cassandra Emilienne als brillante, energische Hermine Granger, René Siepen als liebenswert-chaotischer Ron Weasley, Simon Mehlich als ernster, aber verletzlicher Draco Malfoy – sie alle verleihen ihren ikonischen Rollen ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Safiyah Galvani als Hermines und Rons Tochter Rose bringt zudem frischen Wind in die jüngere Generation.
Kleine Rollen bleiben ebenfalls nicht blass: Shari Gall als schrullige Imbiss-Hexe liefert einen komödiantischen Lichtblick, Christopher Neris ist ein unheimlicher, körperlich präsenter Voldemort, dessen Auftritt einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Großartig von Kristin Backes gespielt ist auch die Maulende Myrthe im Waschraum.
Was das Stück in Hamburg leistet, ist eine beachtliche Balance zwischen Spektakel und Erzählung, zwischen technischer Meisterleistung und schauspielerischer Qualität. Kostüme, Licht, Sounddesign, Bühnenbild und Effekte verschmelzen zu einem Gesamtkunstwerk, das die Wizarding World von J.K. Rowling lebendig macht. Alles ist aus einem Guss, präzise abgestimmt, mit Liebe zum Detail und größtem Respekt für die Vorlage – aber auch ein bisschen wie ein (überkommerzialisierter) Besuch im Themenpark.
Text: Dominik Lapp