„Harry Potter und das verwunschene Kind“ (Foto: Manuel Harlan)
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Beeindruckende Bühnenmagie: „Harry Potter und das verwunschene Kind“ in Hamburg

Lange Zeit sah es so aus, als läge ein Fluch auf der deutschen Erstaufführung von „Harry Potter und das verwunschene Kind“ in Hamburg. Zwei Tage vor der ursprünglich für März 2020 geplanten Gala-Premiere kam der Lockdown. Das für rund 42 Millionen Euro aufwendig umgebaute Theater am Großmarkt blieb geschlossen, die Premiere wurde zwei weitere Male verschoben. Mehr als 300.000 Tickets waren da bereits verkauft. Fast 21 Monate später geht die Harry-Potter-Saga jetzt in Deutschland weiter – in einer Inszenierung, die Erzähltheater mit bemerkenswerter Bühnenmagie verbindet und einen Theaterzauber verbreitet, der nicht nur Harry-Potter-Fans begeistern dürfte.

Das Theaterstück von Jack Thorne nach einer originalen Geschichte von J.K. Rowling setzt da an, wo der letzte Roman der Bestseller-Autorin aufgehört hat: Seit dem Sieg gegen das Böse in Gestalt von Lord Voldemort sind 19 Jahre vergangen. Auf dem Bahnhof King‘s Cross verabschieden der mittlerweile 37-jährige Harry und seine Frau Ginny ihre Kinder, die in den Hogwarts Express einsteigen und zur Schule für Hexerei und Zauberei aufbrechen. Zum ersten Mal mit dabei: Sohn Albus Severus Potter. Er und Scorpius Malfoy, Nachwuchs des Harry-Potter-Rivalen Draco, stehen im Zentrum der Geschichte, die von Freundschaft, Familienkonflikten, der Suche nach sich selbst und natürlich dem Kampf gegen das Dunkle erzählt – und das liegt manchmal ganz woanders, als geglaubt.

Schon beim Eintreten in den Theatersaal wird die Harry-Potter-Welt lebendig. Der gesamte Zuschauerraum wirkt mit seiner hölzernen Vertäfelung, seinen bronzefarbenen Skulpturen und Lampen wie eine Fortsetzung der Bühne, die ein Bahnhofsportal umrahmt. Die Seiten säumen schwere rechteckige Säulen mit geschwungenen stählernen Streben, die sich auch zu Baumkronen im Verbotenen Wald oder Säulengängen einer Kirche zusammensetzen können. Bei aller Technik und modernen Ausstattung der Inszenierung arbeitet das durchdachte Bühnendesign (Christine Jones) bewusst mit der Vorstellungskraft des Publikums – die fantastische Geschichte setzt auf die Fantasie: Koffer und Gepäckstücke, Tische und Tafeln, hohe Holztreppen und Türen werden in fließend choreografierten Szenenwechseln (Movement Director: Steven Hoggett) über den Bühnenboden bewegt, hereingetragen und hinausgeschoben. Kombiniert mit dem ausgeklügelten Lichtdesign von Neil Austin reichen sie aus, um Zugabteile oder Friedhöfe, die Flure und Zimmer von Hogwarts, die Räume des Zaubereiministeriums oder das Dorf Godric‘s Hollow entstehen zu lassen.

Erzählt wird die Fortsetzung der weltweit bekannten Romane und Filme in zwei Teilen, die jeder für sich zwar rund 2,5 Stunden lang sind, aber nicht langatmig oder langweilig daherkommen. Das liegt sicherlich an den von moderner Technik und Illusionen getragenen Effekten der Show und an der dramatischen Vorlage, die immer wieder Bezug auf Charaktere und Handlungsstränge der Romane nimmt und zugleich neue Figuren und unerwartete Wendungen auftreten lässt. Zudem gelingt es Regisseur John Tiffany, das Geschehen straff und schlüssig zu inszenieren. Trotz zahlreicher Zeitsprünge und Rückblicke spinnt er den roten Faden der Geschichte alle vier Akte hindurch nachvollziehbar, spannend und mitreißend weiter. Dabei lässt er den (inneren) Konflikten und Entwicklungen der Figuren ausreichend Raum, der von den Darstellerinnen und Darstellern des 35-köpfigen Ensembles überzeugend genutzt wird.

Als Albus macht Vincent Lang die Verzweiflung und Wut des Potter-Sprösslings, die Last der Erwartungen, die durch den berühmten Vater auf ihn ruhen und seinen Kampf um Anerkennung spürbar. Halt findet er in seiner Freundschaft zu dem unsicheren und strebsamen Scorpius Malfoy, den Mathias Reiser mit sich überschlagender Stimme und Begeisterungsfähigkeit gibt. Gleichzeitig versteht er es, die Verletzlichkeit, Einsamkeit und die im Angesicht der Geschehnisse wachsende Stärke seines Charakters glaubhaft zu transportieren. Als Draco Malfoy zeichnet Alen Hodzovic das Bild eines einsamen, mit Vorurteilen konfrontierten Mannes und besorgten Vaters, der sein jahrzehntelang schwelendes Misstrauen gegen Harry Potter schrittweise ablegt und lernt, sich anderen Menschen gegenüber zu öffnen.

Markus Schöttl überzeugt als erwachsener Harry Potter, der als Leiter der Abteilung für magische Strafverfolgung erfolgreich und selbstbewusst ist, als Vater – von Selbstzweifeln getrieben – in seiner Beziehung zu Albus aber immer wieder scheitert. Sarah Schütz gibt Ginny Potter als starke und warmherzige Ehefrau, die sich vermittelnd für ihren Sohn und ihren Mann gleichermaßen einsetzt. Jillian Anthony ist so wie man sich eine erwachsene Hermine Granger nur vorstellen kann: zielstrebig, unerschrocken und ehrlich. Im Zusammenspiel mit Sebastian Witt als ihr leicht tollpatschiger und herzensguter Ehemann Ron Weasley sorgt sie für einige Lacher im Publikum. Ihre gemeinsame Tochter Rose Granger-Weasley (Madina Frey) ist so klug, ehrgeizig und direkt wie ihre Mutter, was insbesondere Scorpius hin und wieder zu spüren bekommt.

Auch bekannte Charaktere wie Hagrid (Hans-Jürgen Helsig), Severus Snape (Uwe Serafin), Professor McGonagall (Anita Maria Gramser) oder Dolores Umbridge (Heidi Jürgens) fehlen bei der Fortsetzung der Potter-Saga nicht und werden beeindruckend zum Bühnenleben erweckt. Denn auch, wenn die Figuren in ihrem Erscheinungsbild in großen Teilen den Vorbildern im Film entsprechen (Kostümdesign: Katrina Lindsay, Maskenbild: Carole Hancock), verstehen es die Darstellerinnen und Darsteller, ihre Interpretation an diese anzulehnen, ohne sie zu kopieren. Sie greifen typische Eigenarten in Sprache, Mimik und Gestik auf und geben ihrer Figur doch was ganz Eigenes mit. Besonders hervorzuheben ist Glenna Weber als Maulende Myrthe: Sie kichert und kokettiert, flirtet und schmollt, lacht und heult mit solch einer Begeisterung und Authentizität, dass sie die Erinnerung an die Film-Myrthe verblassen lässt.

Eine tragende Rolle in einem Bühnenstück über Harry Potter und die Geschehnisse in Hogwarts nimmt unweigerlich die Magie ein. In einer von Fantasiewesen, Zauberern und Hexen bevölkerten Welt ist Zauberei alltäglich – und so sollte auch die Magie auf der Bühne ganz natürlich wirken. Eine Herausforderung, die die Bühnenadaption eindrücklich meistert. Die fantastischen Illusionen von Jamie Harrison (Illusion & Magie) fügen sich wie selbstverständlich in das Bühnengeschehen ein und werden von den Darstellenden mit scheinbarer Leichtigkeit umgesetzt. Ein Wink mit dem Zauberstab und die zahllosen Akten auf dem Schreibtisch ordnen sich. Bücher sprechen, in akrobatisch anmutenden Duellen fliegen Zauberer, Funken oder Möbel durch die Luft und scheinbar körperlose Dementoren schweben bedrohlich über die Bühne. Eine solche Magie echt wirken zu lassen, ist große Kunst, die sich im Laufe der Vorstellungen in einem perfekt aufeinander abgestimmten und choreografierten Zusammenspiel aller Gewerke offenbart – und die Zuschauerinnen und Zuschauer staunend zurücklässt.

Auch, dass eine technische Störung während des zweiten Teils der Medienpremiere einen knapp zehnminütigen Showstop notwendig machte, schadete der Atmosphäre und Aufmerksamkeit im Saal nicht. Die Zuschauerinnen und Zuschauer warteten geduldig, bis sich der Vorhang wieder hob und das Ensemble sie weiter mitnahm – in die magische Welt von Harry Potter und des Theaters.

Text: Corinna Ludwig, theaterliebe.com

Corinna Ludwig absolvierte ein Studium in Germanistik sowie Theaterwissenschaft und arbeitet als Journalistin und Texterin. Nachdem sie an verschiedenen Theaterhäusern tätig war, bezeichnet sie das Theater und insbesondere Musicals heute als ihr Hobby, das Schreiben hingegen ist ihr Beruf. Sowohl auf kulturfeder.de als auch auf ihrem Blog theaterliebe.com verbindet sie beides miteinander.