„Der ferne Klang“ in Osnabrück (Foto: Dominik Lapp)
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Zwischen Rausch und Realität: „Der ferne Klang“ in Osnabrück

Es ist ein Wagnis – und ein Triumph: Franz Schrekers Oper „Der ferne Klang“, ein selten zu hörendes Werk der musikalischen Moderne, feiert am Theater Osnabrück eine Premiere von eindrucksvoller Wucht. Unter der Regie von Jakob Peters-Messer, der in Osnabrück schon „Fremde Erde“ und „Peter Grimes“ inszeniert hat, entfaltet sich ein suggestives Klang- und Bildertheater, das die Brüche, Sehnsüchte und Abgründe der Figuren mit psychologischer Tiefenschärfe auslotet. Die Produktion beweist, dass dieses selten gespielte Werk der Opernbühne auch heute noch Dringendes zu sagen hat.

Schon das Bühnenbild von Guido Petzold setzt ein Zeichen. Ein monochromer Quader mit leuchtendem Rahmen – kalt, geometrisch, durchlässig – steht zu Beginn für das Sinnbild einer Welt, die sich nach Struktur sehnt, aber ins Offene drängt. Ein Tisch, ein paar Stühle: Reduktion als Einladung zur Projektion. Im Verlauf verwandelt sich die Szenerie in einen lasziven Nachtclub, schließlich in ein Theater mit zerfetztem Vorhang – eine Welt im Niedergang, ein Spiegel innerer Zerrüttung. Angela Schuetts Kostüme bewegen sich stilsicher zwischen Jugendstil-Eleganz und Abgrenzung zum Alltäglichen.

„Der ferne Klang“ in Osnabrück (Foto: Dominik Lapp)

Im Zentrum der Handlung: Grete und Fritz. Susann Vent-Wunderlich gestaltet die Grete mit berührender Klarheit, ihre Stimme changiert zwischen Verletzlichkeit und großer Kraft, besonders in den Momenten innerer Zerrissenheit. Ihr gegenüber steht Heiko Börner als Fritz, ein Komponist auf der Suche nach dem titelgebenden „fernen Klang“ – ein Ideal, das sich stets entzieht. Börner meistert die schwierige Partie mit sicherem dramatischem Instinkt und packender Präsenz.

Dominic Barberi in gleich drei Rollen – Wirt, Baron und Rudolf – überzeugt durch stimmliche Vielseitigkeit und wandlungsfähiges Spiel, während Jan Friedrich Eggers als Schmierenschauspieler mit grotesker Überzeichnung für surreale Momente sorgt. Hans Gröning rundet das Ensemble mit stilistischer Genauigkeit ab.

Die Musikalische Leitung liegt in den Händen von Andreas Hotz, der mit dem Osnabrücker Symphonieorchester einen klanglich dichten, mitunter schillernden Teppich webt. Schreker verlangt alles: impressionistische Farbigkeit, eruptive Ausbrüche, zarte Linien. Hotz meistert diese Gratwanderung mit großer Umsicht, ohne je ins Schwülstige zu kippen. Sierd Quarré sorgt darüber hinaus für einen präzise einstudierten Chor.

„Der ferne Klang“ in Osnabrück ist eine Inszenierung, die sich nicht nur einem vernachlässigten Komponisten widmet, sondern auch zeigt, dass Oper moderne Seelenzustände erzählen kann: widersprüchlich, vielschichtig, zutiefst menschlich – und immer irgendwo zwischen Rausch und Realität.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".