„The Addams Family“ in Magdeburg (Foto: Andreas Lander)
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Schwarzer Humor auf dem Domplatz: „The Addams Family“ in Magdeburg

In der Dämmerung legt sich eine eigentümliche Spannung über den Domplatz, während sich das Publikum auf der Tribüne versammelt. Der Magdeburger Dom erhebt sich majestätisch im Hintergrund – und doch wirkt er plötzlich wie ein Teil der Bühne, wie die natürliche Kulisse für die exzentrischste Familie des Musical-Universums: „The Addams Family“ ist da – und sie kommt nicht auf leisen Sohlen.

Was Regisseur Felix Seiler in Magdeburg auf die Bühne bringt, ist weit mehr als die Wiederaufnahme einer bewährten Inszenierung. Bereits 2016/17 hatte Seiler das Stück am Theater Osnabrück realisiert. Jetzt steht ihm mit dem Theater Magdeburg und vor allem mit dem Freiluft-Areal des Domplatzes jedoch ein ganz anderer Werkzeugkasten zur Verfügung – und er nutzt ihn mit virtuoser Lust. Aus der charmanten Kammerspiel-Variante ist eine opulente Open-Air-Show geworden, die sich nicht scheut, groß zu denken.

Schon beim ersten Blick auf das Bühnenbild wird klar, dass Darko Petrovic mit dieser Produktion Maßstäbe setzt. In tiefem Schwarz gehalten, mit gezielten roten Akzenten, schafft er eine Szenerie, die sich stilistisch eng an die originalen „Addams Family“-Comics anlehnt und doch eigenständig genug ist, um als Magdeburger Interpretation zu gelten. Eine gewaltige Wand mit dem Addams-Stammbaum dominiert das Bild – sie lässt sich mittig teilen, gibt den Blick frei auf Räume voller bizarrer Details. Außerdem zu sehen: Links erst eine Folterkammer, dann eine Schlafkammer mit Särgen, rechts die dampfende Hexenküche von Grandma – unvergesslich mit Trockeneisnebel inszeniert. Eine Streckbank für Pugsley sorgt nicht nur bei seiner Schwester Wednesday für sadistische Freude, sondern auch beim Publikum für schallendes Gelächter.

Ein weiteres Highlight sind die fantasievollen und detailverliebten Kostüme von Linda Schnabel. Mit sicherem Gespür für Charaktere und Atmosphäre hat Schnabel jedem Ensemblemitglied ein unverwechselbares Erscheinungsbild verliehen, was sich nahtlos in das exzentrisch-komische Gesamtbild einfügt.

„The Addams Family“ in Magdeburg (Foto: Dominik Lapp)

Felix Seilers Stärke liegt im Schaffen großer Bilder genauso wie in der Figurenzeichnung – und das zeigt sich in jeder Szene. Er lässt seine Darstellerinnen und Darsteller glänzen, ohne sie zu Karikaturen ihrer berühmten Vorbilder verkommen zu lassen. Der Humor bleibt schwarz, das Herz jedoch stets spürbar. So umschifft der Regisseur die Längen des Buches von Marshall Brickman und Rick Elice gekonnt.

Enrico De Pieri gibt einen wunderbaren Gomez Addams – charmant, mit herrlich klischeehaftem Akzent, dabei stets warmherzig, ein Vater, der um seine Tochter ringt, ohne jemals ins Pathos abzurutschen. Seine Szenen mit Bettina Mönch als Morticia gehören zu den Highlights des Abends. Mönch brilliert – eine Femme fatale mit eiserner Hand, stimmgewaltig und mit grandioser Bühnenpräsenz. Sie ist Morticia, und doch gibt sie ihr etwas Eigenes, Unerwartetes. Ein Vamp mit Haltung.

Einen besonderen Zauber bringt Mathias Schlung als Onkel Fester auf die Bühne. Mit liebevoll-naivem Charme und einem bizarr-romantischen Solo für den Mond wird er zum emotionalen Anker des Abends – grotesk, aber zutiefst menschlich. Für die größten Lachsalven sorgt April Hailer als Grandma: Ein anarchischer Wildfang mit Riesenspinne im Schlepptau, die mit jedem Auftritt das Publikum zum Toben bringt.

„The Addams Family“ in Magdeburg (Foto: Dominik Lapp)

Und dann ist da Wednesday, die Tochter, die plötzlich die Liebe entdeckt. Sandra Leitner liefert hier die wohl stärkste Leistung des Abends. Optisch erinnert sie an Jenna Ortega in der Netflix-Serie „Wednesday“, aber darstellerisch steht sie ganz für sich. Ihre Mischung aus düsterer Coolness, jugendlichem Trotz und echter Verletzlichkeit ist elektrisierend. Ihr Gesang ist kraftvoll, präzise, voller Gefühl – ein Bühnenauftritt, der den Atem raubt. Ihre Szenen mit dem wie gewohnt großartig aufgelegten Lukas Witzel als Lucas Beineke sind das emotionale Zentrum der Inszenierung.

In der Rolle ihres Bruders Pugsley überzeugt Luisa Meloni in einer mitreißenden Hosenrolle – energiegeladen und frech. Matthias Knaab als Lurch bringt mit minimalstem sprachlichen Einsatz maximale Wirkung: Seine Rollschuh-Einlagen sind skurril und elegant zugleich, sein später Gesangsmoment eine kleine Überraschung.

Die Familie wird ergänzt durch das wohltuend schrullige Ehepaar Beineke – Fehmi Göklü gibt den trockenen Mal mit feinem Understatement, Veronika Hörmann glänzt als Alice mit komödiantischem Timing und großer Stimme. Nicht zu vergessen die kurzen Auftritte von Cousin Itt und dem ferngesteuerten Eiskalten Händchen, die liebevoll in Szene gesetzt sind.

„The Addams Family“ in Magdeburg (Foto: Dominik Lapp)

Unter der Leitung von Pawel Poplawski blüht die – wenn auch oft dahinplätschernde – Partitur von Andrew Lippa (schrieb außerdem die Songtexte, übersetzt von Anja Hauptmann) in voller Klangpracht auf. Mal klingt es schwelgerisch, mal rockig, aber stets auf den Punkt. Das Orchester folgt ihm mit großer Präzision. Danny Costellos Choreografie fließt nahtlos in die Regie ein – das Ballettensemble überzeugt hier ganz wunderbar. Und Ingo Jooß sorgt mit seinem durchdachten Beleuchtungsdesign dafür, dass auch unter freiem Himmel stets die passende Stimmung herrscht – ob düster-romantisch, slapstickhaft grell oder zart und melancholisch.

Felix Seiler gelingt mit seiner Magdeburger „Addams Family“ das Kunststück, einer populären Vorlage gerecht zu werden und ihr doch eine ganz eigene Handschrift zu verleihen. Mit einem herausragenden Ensemble, einem exzellenten Bühnen- und Kostümbild sowie Gespür für Tempo und Timing hebt er das Musical auf eine neue Stufe. Es ist keine bloße Replik seiner Osnabrücker Inszenierung – es ist eine Explosion kreativer Möglichkeiten, die er sich nun endlich leisten darf.

Wer jetzt noch Karten möchte, hat leider Pech: Alle 18 Vorstellungen waren bereits Monate vor der Premiere ausverkauft. Wer ein Ticket ergattert hat, kann sich glücklich schätzen – und wird sich mit einem Grinsen verabschieden, das mindestens so schräg ist wie die Familie Addams selbst.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".