
Interview mit Lukas Witzel: „Manchmal kommt eine Rolle, von der man gar nicht wusste, dass man sie liebt“
Vor sieben Jahren sprach er noch vom Spagat zwischen Bühnenleidenschaft und Lehramtsstudium – heute zählt Lukas Witzel zu den gefragtesten Musicaldarstellern im deutschsprachigen Raum. In zahlreichen Produktionen hat er sich einen Namen gemacht, sich künstlerisch weiterentwickelt und bewiesen, dass Talent, Disziplin und Vielseitigkeit manchmal mehr wiegen als ein klassischer Ausbildungsweg. Im Interview spricht er jetzt darüber, wie er seinen Weg gefunden hat, was ihn antreibt – und warum Stücke wie „Hedwig and the angry Inch“, „Tanz der Vampire“ oder „1648“ für ihn echte Herzensprojekte waren.
Lieber Lukas, ich möchte gern an unser letztes Interview anknüpfen. Das war vor sieben Jahren.
Wow, so lange ist das tatsächlich schon her. Aber stimmt genau, das war in Krefeld, als ich „Otello darf nicht platzen“ gespielt habe.
Genau. Damals hast du gesagt, dass dir das Musical zwar dazwischengekommen ist, du aber noch dein Lehramtsstudium zu Ende bringen willst. Ist das mittlerweile passiert?
Ja, das ist so. Vor fünf Jahren habe ich meinen Masterabschluss gemacht. Es hat dann doch noch zwei Jahre länger gedauert, aber ich habe es durchgezogen. Irgendwann musste ich die Masterarbeit anmelden – dann habe ich es auch einfach gemacht. Ich hatte vorher schon viel gearbeitet, aber es war mühsam, neben dem Job immer wieder Zeit zu finden, sich in die Themen reinzufuchsen, Lücken zu schließen, den roten Faden wiederzufinden. Aber irgendwann war es geschafft – kurz vor der Corona-Pandemie.

Du hast damals im Interview auch gesagt, du lässt alles auf dich zukommen. Seitdem sind nun also sieben Jahre vergangen. Was ist denn in dieser Zeit auf dich zugekommen? Gibt es Engagements oder Rollen, die dich besonders geprägt haben?
Zum Glück ist sehr viel passiert. Kurz nach unserem letzten Interview kam schon mein bis heute größtes Engagement: „Tanz der Vampire“. Das war ein Riesenschritt für mich – Long Run, acht Shows pro Woche, großes Publikum, tolle Rollen. Danach bin ich verstärkt ins Stadt- und Staatstheater gewechselt, was ich sehr genieße, weil es eine andere Vielseitigkeit mit sich bringt. Im Long Run macht man eine Produktion ein ganzes Jahr. Im Stadttheater spiele ich in einem Jahr vielleicht fünf unterschiedliche Produktionen – das ist eine ganz andere Bandbreite, in der man sich ausprobieren kann. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir auch „Next to Normal“ in Magdeburg – eines meiner absoluten Lieblingsstücke. Die Inszenierung war außergewöhnlich gut, mit einer tollen Cast, und die Geschichte hat mich und das Publikum tief berührt.
Eine weitere Herzensproduktion war „Titanic“ in Erfurt – einfach beeindruckend, was ein Stadttheater im Bereich Musical auf die Beine stellen kann. Und dann natürlich „Hedwig and the angry Inch“ in Saarbrücken. Das ist ein für mich sehr wichtiges Stück, auch weil wir es dort geschafft haben, in dieser kleinen, engen Spielstätte etwas wirklich Besonderes auf die Bühne zu bringen. Die Nähe zum Publikum, die Live-Band – das war außergewöhnlich. Ich hatte dort eine viel größere Verantwortung als etwa in „Titanic“, wo ich den Funker Harold Bride gespielt habe. Als Hedwig trage ich die Show über weite Strecken allein – eine riesige künstlerische Herausforderung, an der ich sehr gewachsen bin. Dann war da noch „West Side Story“ in Lüneburg, ebenfalls ein echtes Herzensstück, und natürlich die Uraufführung von „1648“ in Osnabrück. Es ist meine erste Uraufführung gewesen – auch das war etwas ganz Besonderes.
Vor sieben Jahren hast du gesagt, dadurch, dass du nicht den klassischen Weg einer Musicalausbildung gegangen bist, musst du dir vieles hart erarbeiten. Mittlerweile wirkt es so, als würdest du eine Rolle nach der anderen bekommen und fast durchgehend spielen. Ist es für dich tatsächlich einfacher geworden, oder täuscht der Eindruck?
Ich glaube, dass diese fehlende klassische Musicalausbildung mit der Zeit durch Berufserfahrung kompensiert wurde. Anfangs ist natürlich sehr auf die Ausbildung geachtet worden – bei mir steht dann da eben Master of Education. Aber mit der Zeit zählt die Vita, zählen die Produktionen, die ich gemacht hat. Und ich denke, es hilft inzwischen sehr, dass ich viele Leute kennen gelernt und mich an Theatern etabliert habe. Dadurch kommen Einladungen oder Empfehlungen. Das war am Anfang nicht der Fall – da war ich einfach noch unbekannter.

Zuletzt hast du bei der Wiederaufnahme des Musicals „1648“ die Rolle des Rabanus Heistermann gespielt, die du bereits im Jahr 2023 für die Uraufführung kreiert hast. Wie war es, zu dieser Figur zurückzukehren? Hast du etwas verändert?
Große Veränderungen gab es nicht. Aber allein dadurch, dass man mit neuen Leuten spielt, verändert sich etwas – sei es durch andere Körpersprache oder andere Betonungen. Das Grundsetting für meinen Heistermann ist gleich geblieben, und ich habe mich auch damals schon sehr wohl in der Rolle gefühlt. Auch musikalisch wurde einiges auf mich angepasst – da waren wir bei der Uraufführung noch recht frei. Das hat mir sehr geholfen. Es ist eine Rolle, die stark über das Schauspiel funktioniert. Ich habe nur einen Song, bin bei ein paar anderen Szenen dabei, aber verglichen mit anderen Rollen, in denen ich viel mehr singe, ist diese Hymne am Ende einfach ein schöner Knall – das macht Spaß.
Was bedeutet es dir, dass diese Hymne, also der Song „Ein stiller Held“, jetzt auch auf CD veröffentlicht wurde?
Tatsächlich ist es meine erste große Musical-CD. Ich mag den Song sehr, er liegt mir gut in der Stimme. Es ist total cool, ihn produziert zu hören, auf Spotify oder beim Musicalradio zu finden. Ich hoffe sehr, dass ich so etwas noch einmal erleben darf – das ist schon was Besonderes.
Was hat dich an „1648“ gereizt?
Durch meine Ausbildung bin ich sehr geschichtsinteressiert. Ich finde es toll, dass man einen historischen Stoff musikalisch aufbereitet. Klar, man hört manchmal Kommentare wie „Muss man aus allem ein Musical machen?“ Aber wenn man das Stück kennt, merkt man schnell, wie passend das ist. Die Musik ist wahnsinnig gut – modern, vielseitig – und ich freue mich sehr, dass die beiden Autoren, Michael Przewodnik und Florian Albers, das umgesetzt haben. Ich hoffe, es wird noch oft gespielt, auch wenn der regionale Bezug es sicher herausfordernd macht.

Wie war die Zusammenarbeit mit den neuen und alten Kolleginnen und Kollegen bei der Wiederaufnahme?
Es war wie ein Klassentreffen – man kennt sich, mag sich, freut sich. Mit den neuen war es spannend, sie in das Stück zu begleiten. Ich kannte alle schon irgendwie, und menschlich hat es super funktioniert. Als jemand, der das Stück schon gespielt hat, kann man natürlich Tipps geben, Zusammenhänge erklären. Gerade in der kurzen Probenzeit ist das hilfreich. Ich habe selbst dabei noch einmal Neues entdeckt – warum bestimmte Dinge passieren, wie Figuren ticken. Das war spannend. Klar ist es einfacher, wenn man mit dem eingespielten Originalensemble weitermacht, aber auch mit einem neuen Team entstehen tolle neue Momente.
Du bist viel unterwegs und spielst oft Stücke parallel. Wie haushaltest du mit deiner Energie, wie organisierst du dich?
Es hat viel mit guter Kalenderpflege zu tun. Ich war nie besonders gut darin, weil ich mir vieles einfach merken konnte – aber mittlerweile muss ich besser planen. Ich habe am Laptop eine Monatsübersicht, trage Termine ein, markiere eventuelle Anfragen mit Fragezeichen. Mein Agent hilft mir dabei natürlich auch. Man muss schauen, wie sich die Monate finanziell zusammensetzen, wo es Überschneidungen gibt, ob man sich auch mal freie Tage gönnt. Trotz vieler paralleler Produktionen habe ich auch mal unter der Woche frei und spiele am Wochenende. Das ist eine gute Work-Life-Balance. Ich habe Zeit für Familie, Freunde und für mich selbst. Trotzdem: Wenn ein Long Run kommt, bei dem alles passt, bin ich sofort dabei.
Wie hältst du dich stimmlich und körperlich fit? Hast du eine feste Routine?
Ich habe Routinen – aber ich breche sie regelmäßig. (lacht) Gerade in Probenphasen fällt es mir leichter, morgens Sport zu machen. Das gibt mir einen guten Start in den Tag. Zurzeit bin ich etwas raus, aber das kommt wieder. Stimmlich habe ich keine strikte Routine, aber ich achte auf mich. Ich kann nicht gut markieren, also leise proben – ich mache es lieber gleich richtig, damit sich mein Körper an die Belastung gewöhnt. Im Winter habe ich zusätzlich mit Vitaminen angefangen, um Krankheiten vorzubeugen. Und ich meide größere Feiern und trage im Zug auch mal eine Maske, wenn’s sich richtig anfühlt.
Gibt es Traumrollen, die du unbedingt mal spielen möchtest?
Ich liebe „Elisabeth“ – und da ich wohl eher nicht Elisabeth selbst spielen werde, wäre der Tod oder Lucheni ein Traum. Auch „Mozart!“ finde ich toll. Und ich liebe „Kinky Boots“ – Charlie wäre eine großartige Rolle. Aber ich bin auch offen. Manchmal kommt eine Produktion, die man nicht auf dem Schirm hatte. Manchmal kommt eine Rolle, von der man gar nicht wusste, dass man sie liebt. Dann merkt man: Das ist es! So war’s bei „Otello darf nicht platzen“. Davon hatte ich noch nie gehört, aber ich fand das Stück unglaublich lustig und musikalisch stark. Ich würde es sofort wieder spielen.
Interview: Dominik Lapp
