„1648 - Macht. Liebe. Intrige.“ (Foto: Dominik Lapp)
  by

Kurzweiliges Historical: „1648 – Macht. Liebe. Intrige.“ in Osnabrück

Der Dreißigjährige Krieg, der im Jahr 1648 mit dem Westfälischen Frieden beendet wurde, ist nicht nur ein dunkles Kapitel in der Geschichte, sondern auch ein vermeintlich dröges Thema aus dem Geschichtsunterricht. Mit Florian Albers (Musik) und Michael Przewodnik (Buch und Songtexte) haben sich nun allerdings zwei Autoren gefunden, die den 375. Jahrestag des Friedensschlusses zum Anlass nahmen, ihr Musical „1648 – Macht. Liebe. Intrige.“ am Originalschauplatz in der Lagerhalle Osnabrück zur Uraufführung zu bringen, die vom Premierenpublikum frenetisch bejubelt wurde.

Musicals am Originalschauplatz sind nicht neu. Auch nicht, ein Jubiläum als Aufhänger für ein (Musik-)Theaterstück zu nutzen. Mit der heißen Nadel gestrickt und ohne die finanziellen Mittel, hätte dabei ziemlich großer Trash herauskommen können, anlässlich der Feierlichkeiten zum Friedensjubiläum ein neues Musical aus der Taufe zu heben. Doch gefördert mit Geld aus einem Sonderetat der Stadt Osnabrück und durch mehrere Stiftungen, ist es nicht nur gelungen, das Stück zu schreiben und zu produzieren, sondern auch alle Rollen mit einer Profiriege zu besetzen und eine vierköpfige Band zu engagieren.

Für „1648“ hat Michael Przewodnik, der die Idee dazu schon vor fünf Jahren hatte, historische Fakten und viel Lokalkolorit mit einer fiktiven Liebesgeschichte verwoben. Dabei herausgekommen ist eine kurzweilige Storyline, die genug Stoff sowohl fürs Hirn als auch fürs Herz bietet. Die Grausamkeit von Krieg und Kriegsverbrechen wird in Przewodniks Buch genauso deutlich herausgestellt wie Wasserprobe und Hexenverbrennung, die Friedensverhandlungen, die allgemeine damalige Situation Osnabrücks und das Geschacher zwischen Machtverhältnissen, Geld und Besitztum. Wie es im Untertitel des Stücks schon sehr richtig heißt, erlebt das Publikum eine Handlung zwischen Macht, Liebe und Intrige.

„1648 - Macht. Liebe. Intrige.“ (Foto: Dominik Lapp)

Mit der Uraufführung feiert der Autor sogleich ein mehr als passables Debüt als Regisseur. In Zusammenarbeit mit Choreografin Henriette Schreiner ist es Michael Przewodnik gelungen, viele schöne Bilder zu kreieren und die Handlung durch intelligente Regie-Einfälle sowie eine gelungene Tanzschrift voranzutreiben. Lediglich in einigen Dialogen, denen ohnehin ein paar Kürzungen zugutekommen würden, und bei den Szenenübergängen wäre mehr Tempo wünschenswert. Exzellent gelöst wurde jedoch, dass die von den Mitwirkenden im Halbdunkeln vollzogenen Umbauten auf der offenen Bühne durch die Band musikalisch überbrückt werden. Auch dass die vier Musiker sichtbar auf der Spielfläche platziert wurden und Christian Tobias Müller als Musikalischer Leiter zusätzlich drei Rollen übernimmt, ist ein Pluspunkt der Inszenierung – ebenso die szenisch und choreografisch herrlich umgesetzten Friedensverhandlungen.

Das Bühnenbild besteht in erster Linie nur aus wenigen Möbeln und Requisiten: Drei Tische und Hocker stellen genauso den Ratssaal wie die Kirche St. Johann, die Ameldungsche Apotheke oder das Haus des Grafen Oxenstierna dar. Um mehr Lokalkolorit und Farbe in die Szenen zu bekommen, hätte man zusätzlich mit Videoprojektionen der Originalschauplätze im Hintergrund arbeiten können, zumal die Lichttechnik in der auf kleinere Konzert- und Comedy-Formate spezialisierten Lagerhalle sowie die Kreativität des Lichttechnikers schnell an ihre Grenzen stoßen. Doch glücklicherweise sind Story und Musik stark genug und die Rollen so gut ausgearbeitet, dass das Stück auch ohne Projektionen und ausgeklügeltes Lichtkonzept bestehen kann.

Optisch wirklich herausragend sind die Kostüme: Als Leihgabe des Theaters Osnabrück (Sonja Arelmann), umgearbeitet von Svetlana Nähring (Freilichtspiele Tecklenburg), schafft es das Kostümbild, das 17. Jahrhundert zu visualisieren und das Publikum – in Verbindung mit dem Maskenbild von Philip Hager – auf eine entsprechende Zeitreise mitzunehmen. Insbesondere die Kostüme der Gräfin Anna Sture und der Marie von Sternberg sind aufgrund ihrer hochwertigen Stoffe und aufwändigen Details positiv hervorzuheben.

„1648 - Macht. Liebe. Intrige.“ (Foto: Dominik Lapp)

Getragen wird das Stück letzten Endes aber vor allem von einer fantastischen Cast. Obwohl es sich um einen historischen Stoff handelt, bei dem meist die Männerrollen dominierend sind und die Frauenrollen zum netten Beiwerk degradiert werden, haben die Autoren von „1648“ mit Anna Sture und Marie von Sternberg zwei extrem ausgeprägte Charaktere geschaffen. Während Florian Albers als Komponist exzellente Songs für beide Rollen geschrieben hat, steuerte Michael Przewodnik seine vortrefflichen Texte und eine starke Personenregie bei.

Mit Myriam Akhoundov und Henriette Schreiner wurden zudem zwei absolut ebenbürtige Darstellerinnen verpflichtet. Keine von ihnen lässt sich von der jeweils anderen die Butter vom Brot nehmen – im Gegenteil: Ihr Zusammenspiel gipfelt im gemeinsamen Duett in einen echten Höhepunkt. Schreiner gibt im ersten Akt als Anna Sture sehr authentisch eine durchsetzungsstarke und alle Strippen ziehende Gräfin. Im zweiten Akt beweist sie ihre Wandlungsfähigkeit als schwedische Königin Kristina sowie als Herold und Aufseherin. Genial in Schauspiel und Gesang, vermag Henriette Schreiner das Publikum mitzureißen und auch mal zum Lachen zu bringen.

Myriam Akhoundov gelingt der Balanceakt, einerseits das Hals über Kopf verliebte Mädchen aus dem Osnabrücker Umland und andererseits die furchtlose und widerstandsfähige Gegenspielerin der Gräfin Sture darzustellen. Darüber hinaus hat sie mit Abstand die meisten Soli – von der Ballade bis zum Up-Tempo-Song – zu singen, die sie allesamt mit Bravour meistert. Durch ihr frisches Schauspiel und die stimmliche Qualität ist sie definitiv die Neuentdeckung dieser Produktion!

„1648 - Macht. Liebe. Intrige.“ (Foto: Dominik Lapp)

Die Herrenriege muss sich hinter den Damen jedoch nicht verstecken. Patrick Bertels gibt als Johan Oxenstierna einen smarten Grafen und harmoniert sehr gut mit Myriam Akhoundov. Ihm gelingt es, sowohl die schwachen als auch die starken Seiten des Schweden zu zeigen. Weiter lässt er durch seine klare und volltönende Stimme aufhorchen.

Vom Premierenpublikum am stärksten bejubelt wird Lukas Witzel als Rabanus Heistermann. Und ja, was Witzel wieder einmal schauspielerisch wie gesanglich leistet (vor allem vor dem Hintergrund, dass er nie eine klassische Musicalausbildung absolvierte, sondern Geschichte und Musik auf Lehramt studiert hat), darf schlichtweg als sensationell bezeichnet werden. Direkt zu Beginn des Stücks begeistert er mit einem Rap-Part, um sich dann erst einmal gesanglich zurückzunehmen. Durch seine enorme Bühnenpräsenz beherrscht er jede Szene, ist dabei im Schauspiel immerzu überzeugend und zeichnet ein glaubhaftes Bild des katholischen Dechants.

Die Gräfin bezeichnet Heistermann als „Wolf im Schafspelz“ und Lukas Witzel schafft es, genau das zu visualisieren: Erst gibt er den verständnisvollen, vertrauenswürdigen und sympathischen Kirchenmann, später dann den Mörder, Intriganten und „Judas hier im Raum“. Erst in der Mitte des zweiten Akts darf Witzel dann auch stimmlich wieder aus dem Vollen schöpfen, intoniert den stärksten Song des Abends und fesselt mit tenoralem Glanz sowie vielen lang ausgehaltenen und markerschütternden Schlusstönen.

„1648 - Macht. Liebe. Intrige.“ (Foto: Dominik Lapp)

Julian Schier präsentiert sich als Johan Krane als ein wunderbarer Gegenspieler und hat einen starken Auftritt im „Lüge“-Duett mit Patrick Bertels. Ebenso gefällt aber auch Christian Tobias Müller, der nicht nur als Musikalischer Leiter am Piano sitzt, sondern auch noch den Bürgermeister Schepeler, den Apotheker Ameldung und Kaiser Ferdinand spielt. Dabei beweist er große Wandlungsfähigkeit als Stadtoberhaupt, das Frauen noch immer am liebsten als Hexen brennen sieht, als Apotheker mit viel Empathie und als komponierender Kaiser mit Hang zur Komödie.

Die größte Überraschung und gleichzeitig das herausragendste Element des Musicals „1648“ ist die Musik von Florian Albers. Als Komponist ist es ihm gelungen, einen historischen Stoff mit modernen Melodien zu erzählen. Wir erleben hier einen Stilmix aus klassischen Klavierballaden und treibenden Up-Tempo-Nummern, erkennen Anleihen aus „Hamilton“ und „Fack ju Göhte“. Popsongs wechseln sich ab mit Hip-Hop und Rap, Synthie-Klänge mit Gitarre und Klavier, dann erklingt ein Kanon. Doch nicht nur die verschiedenen Stile machen die Partitur so interessant, sondern die Qualität der Songs. So wird man bereits nach dem ersten Akt mit etlichen Ohrwürmern in die Pause entlassen, zu denen sich nach dem zweiten Akt noch mehr hinzugesellen.

Deshalb muss zuletzt noch die vierköpfige Band lobend erwähnt werden, die einen fantastischen Job macht: Christian Tobias Müller beherrscht seine Klaviatur brillant, Jakob Lübke lässt tief brummende Basslines hören, Nils Bölting zeichnet für harte wie sanfte Gitarrenriffs und Tim Richter für die knackigen Drums verantwortlich. Eine wahre Bereicherung im Jubiläumsjahr des Westfälischen Friedens und hoffentlich keine einmalige Aufführungsserie.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".