Pamina Lenn (Foto: Dominik Lapp)
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Interview mit Pamina Lenn: „Magie kennt keine Grenzen“

Die Deutsch-Australierin Pamina Lenn schloss ihre Ausbildung zur Musicaldarstellerin am Wiener Konservatorium ab, nachdem sie zuvor schon Kurse an der NIDA in Sydney und der Joop van den Ende Academy in Hamburg absolviert hatte. Bereits während ihrer Ausbildung stand sie auf der Bühne, später übernahm sie Rollen wie Sarah in „Tanz der Vampire“ oder Janet in der „Rocky Horror Show“ und kreierte im Workshop für das Musical „Ku’damm 56“ die Rolle der Helga. Im Interview spricht Pamina Lenn darüber, was ihre größte Herausforderung als Nessarose in „Wicked“ ist, wie sie die Rolle erarbeitet hat, welchen Bezug sie zum „Zauberer von Oz“ hat und warum Menschen von Hexen fasziniert sind.

Das Musical „Der Zauberer von Oz“ war das erste Musical, das Sie gesehen haben. Zu diesem Anlass haben Sie und Ihre Schwester Glitzerschuhe von Ihrer Oma geschenkt bekommen. Existieren diese Schuhe noch?
Ich glaube, dass meine Mutter die Schuhe noch hat. Meine Schwester und ich haben uns früher total gern verkleidet, und wir haben jedes Jahr unsere Oma und unseren Opa in Australien besucht, wo es einen Kostümladen gab. Da gab es dann jedes Mal ein Kleidungsstück zum Verkleiden für uns aus diesem Laden. Diese Sachen hat meine Mutter alle noch, also existieren die Schuhe sicher auch noch.

Inzwischen sind Sie selbst Musicaldarstellerin und tragen als Nessarose im Musical „Wicked“ allabendlich die berühmten Glitzerschuhe. Was bedeuten Ihnen das?
Das war ein ganz besonderer Moment, als ich das erste Mal die Kostümanprobe hatte und die Strumpfhose mit den Streifen und die Schuhe angezogen habe. Das war wirklich ein schöner Moment, weil ich da an meine Oma denken musste, die leider nicht mehr da ist. Wenn sie das noch hätte sehen können, hätte sie sich bestimmt gefreut.

Die Hamburger Neuinszenierung von „Wicked“ nimmt stärker als die Originalinszenierung Bezug auf „Der Zauberer von Oz“. Wie wichtig ist das für die Handlung?
Die Handlung funktioniert in beiden Inszenierungen sehr gut. Ich glaube aber, dass die Überarbeitung sehr wichtig für das deutsche Publikum ist. Die Geschichte vom „Zauberer von Oz“ ist in Deutschland nicht so bekannt wie in Amerika. Während man in Amerika in Bezug auf die Geschichte viel als selbstverständlich voraussetzen kann, ist es in Deutschland wichtig, dass man das Publikum ein bisschen an die Hand nimmt und den Film „Der Zauberer von Oz“ etwas näherbringt. Man kann ein paar Sachen so einfach besser nachvollziehen. Die Szene mit der Hexenschmelze, die es in der Originalinszenierung von „Wicked“ nicht gibt, ist bei uns nahezu eins zu eins die Szene aus dem Film. Das trägt, glaube ich, zu einem besseren Verständnis bei. Das Original ist natürlich etwas subtiler, aber so wie es bei uns in Hamburg ist, ist es für das deutsche Publikum sicher besser verständlich.

Pamina Lenn (Foto: Dominik Lapp)

Im Fokus der Handlung stehen bei „Wicked“ mit Elphaba und Glinda zwei starke Charaktere. Wie schwer ist es, sich als Nessarose neben diesen beiden Figuren behaupten zu können?
Ich bin überzeugt, dass Winnie Holzman (die Autorin von „Wicked“, Anm. d. Redaktion) fantastische Charaktere schreiben kann. Die Charaktere, auch die Nebencharaktere, hat sie so gut geschrieben, dass man sich offstage noch ganz viel dazu denken kann. Im ersten Akt sieht man Nessa als junges Mädchen, wie sie Elphaba zum Zug bringt. Im zweiten Akt sieht man sie erst wieder, als sie bereits Gouverneurin geworden ist. Dazwischen liegen Jahre, die nicht gezeigt werden, die Nessas Charakter aber sehr verändert haben. Sie ist eine ernste Person geworden. Für mich ist es dabei sehr wichtig, dass ich im ersten Akt ein optimistisches, junges und offenes Mädchen porträtiere, damit der Bruch im zweiten Akt richtig stark ist zu einer Frau, die alle Hoffnungen verloren hat, dass ihr Leben irgendwann noch mal großartig werden könnte. Ich glaube, dass dieser Bruch dabei hilft, dass Nessa in Erinnerung bleibt.

Die Schwestern werden es auch zu Hause beim Vater nicht leicht gehabt haben, oder?
Absolut. Ich glaube zwar, dass Nessarose unter dem Vater nicht so sehr gelitten hat wie Elphaba. Aber sie hat sehr viel Druck aushalten müssen. Für mich ist es ein großer Moment, wenn Nessa die Schuhe von ihrem Vater erhält mit der Aussage, „wie es sich für eine Gouverneurin von Munchkinland gehört!“ Die Schuhe sind also nicht nur ein Geschenk, sondern auch eine Bürde. Der Moment in der Ozkothek ist dagegen sehr befreiend für sie, weil sie da einfach mal nur ein junges Mädchen sein kann, das Spaß hat. Aber im zweiten Akt sieht man dann wiederum, was die väterliche Erziehung und Erwartungshaltung aus ihr gemacht haben. Ich denke, es ist der Schlüssel, dass man die Rolle weiterdenkt, auch wenn sie gerade nicht aktiv auf der Bühne ist.

Nessarose sitzt im Rollstuhl. Wie herausfordernd ist es, als gehender Mensch eine Figur im Rollstuhl zu spielen?
Abgesehen von der ganzen Technik, die in Nessas Rollstühlen verbaut ist, war meine größte Herausforderung, sie so respektvoll wie möglich darzustellen. Darüber habe ich im Probenprozess auch besonders oft mit unserem Choreografen gesprochen, weil der natürlich für die Bewegungsabläufe zuständig war. Deshalb war es uns auch sehr wichtig, Nessarose in der Ozkothek in die Choreografie einzubinden. Ich denke, zu der Zeit, in der „Wicked“ geschrieben wurde, ist man mit dem Thema Inklusion noch anders umgegangen. Das ist immerhin gute 20 Jahre her. Wir wollten heute zeigen, dass sie durch den Rollstuhl nicht eingeschränkt ist. So oft es geht, bewegt sich Nessa selbst fort. Die Leute schieben sie nicht, damit es ein wirklich unangenehmer Moment ist, wenn Elphaba immer wieder Nessas Rollstuhl anfasst. Ungefragt einen Rollstuhl zu schieben, ist wahnsinnig respektlos. Deshalb wollten wir zeigen, dass es ein unglaublicher Eingriff in ihre Privatsphäre ist, wenn Elphaba den Rollstuhl schieben will. Ich finde es gut, dass wir das jetzt zeitgemäßer und respektvoller darstellen.

Und eine weitere Herausforderung ist die Technik in Nessa Rollstühlen?
Ja. Beide Rollstühle sind wahnsinnig tricky, was die Tricks angeht. Der Trick im ersten Akt bringt viele Tücken mit sich, weil mehrere Personen daran beteiligt sind. Das zu koordinieren, dass alle im richtigen Augenblick die richtigen Sachen machen, hat ein paar Anläufe gebraucht. Und der Rollstuhl ist auch ziemlich schwer, was es in der Choreografie-Szene anstrengend macht, wenn man dieses Gewicht bewegen muss. Der Rollstuhl im zweiten Akt ist ein elektrischer Rollstuhl, was ich erst mal als tolles Update empfinde. Aber ein elektrischer Rollstuhl ist auch schwieriger als ein manueller Rollstuhl auf einen genauen Punkt zu bewegen. Es ist nicht so einfach, damit Light-Specials zu erwischen. Deswegen habe ich immer wieder auch für mich allein damit geübt. Aber das Technische ist das eine. Mir war am wichtigsten der respektvolle Umgang mit der Rolle.

Pamina Lenn (Foto: Dominik Lapp)

Mit Hexen auf der Bühne kennen Sie sich aus. Denn Sie spielten auch bereits die Hexe in „Big Fish“. Ein netter Zufall? Oder haben Sie vielleicht sogar ein Faible für Hexen und Fantasy?
Es sieht so aus, als hätte ich ein Faible für Fantasy. Ich war schon ein Vampir, mehrmals eine Hexe und auch eine Fee. Anscheinend passt das zu mir. Aber ich liebe es auch. „Wicked“ und „Tanz der Vampire“ gehören definitiv zu meinen Lieblingsshows. Deshalb bin ich richtig happy, wenn ich solche Figuren spielen kann. Und es ist doch auch total schön, wenn man auf der Bühne etwas sein kann, was man privat nie sein kann. Ich meine, ein Vampir, eine Fee oder eine Hexe kann man privat eben nicht sein. (lacht) Ich schätze mich also sehr glücklich.

Figuren zu spielen und sich dafür zu verkleiden, gehört zu Ihrem Job. Verkleiden Sie sich eigentlich auch gern zu Karneval oder können Sie mit dieser fünften Jahreszeit gar nichts anfangen?
Ich komme ja aus Hessen, wo es Fasching heißt. Und Fasching war für mich cool, solange ich ein Kind war und es eine große Party gewesen ist. Als ich älter wurde und merkte, dass alle Leute um mich herum betrunken sind und es nicht mehr ums Verkleiden geht, hat der Spaß für mich aufgehört. Ich finde es super, sich zu verkleiden. Es aber zu benutzen, um Alkohol zu konsumieren, ist nicht meins. Deshalb bin ich kein großer Karnevals- oder Faschingsfan.

Hexen werden in Geschichten – sei es im Film, auf der Bühne oder in Büchern – ja entweder als Bösewichte oder sehr romantisiert dargestellt. In der Realität wurden Frauen früher als Hexe verurteilt und umgebracht. Die Hexenverfolgung ist ein düsteres Kapitel in der Menschheitsgeschichte. Was aber fasziniert die Menschen noch heute an Hexen und Zauberei?
Ich glaube, dass das in der Gesellschaft getrennt voneinander betrachtet wird. Ich komme aus der Umgebung von Büdingen, und Büdingen war sehr bekannt für Hexenverfolgung. Es gibt bei uns den so genannten Hexenturm, wo die Frauen verbrannt wurden. Somit ist das also bei mir ein sehr präsentes Kapitel in der Geschichte. Das war wirklich schlimm. Aber ich glaube, die Gesellschaft bringt das eine mit dem anderen nicht zusammen. Es herrscht eher die romantisierte Vorstellung von Hexen und Zauberern, was ich nachvollziehen kann, weil Magie so viele Dinge erklären könnte, die wir nicht erklären können, und so viele Dinge möglich machen könnte, die wir nicht möglich machen können. Ich glaube aber, je weiter die Technik voranschreitet, desto weniger Magie würde man brauchen. Für jemanden, der vor 100 Jahren gelebt hat, wäre unser technischer Fortschritt auch Magie. Magie kennt keine Grenzen – das fasziniert die Menschen.

Was ist für Sie das Besondere an Ihrem Beruf? Ist es das Singen, das Spielen anderer Charaktere oder vielleicht auch das Eintauchen in eine andere Welt? Gerade bei einem Stück wie „Wicked“ muss es doch unglaublich spannend sein, sich in diesem Bühnenbild zu bewegen, oder?
Es ist auf jeden Fall das Gesamtpaket. Da spielt alles zusammen. Es ist wahnsinnige befreiend, wenn man an einem Abend so viele Emotionen spielt. Das ist mit keinem anderen Gefühl zu vergleichen. Ein ganz besonderer Moment ist für mich dabei, wenn ich merke, dass wir mit dem, was wir auf der Bühne machen, Menschen berührt haben. Das ist das allerschönste an diesem Beruf.

Eine große Rolle, die Sie bereits aus Ihrer Zeit als Zuschauerin kennen, aus einer Zeit, als Sie noch nicht selbst Musicaldarstellerin waren, ist die Rolle der Sarah in „Tanz der Vampire“. Ist damit ein großer Traum in Erfüllung gegangen, als Sie diese Rolle später spielen durften?
Ja, das war wirklich ein großer Traum von mir. In der Probenzeit konnte ich das noch nicht realisieren, weil ich so unter Strom stand. Auch als ich meine erste Show gespielt habe, war ich zunächst voll im Arbeitsmodus und musste mich konzentrieren. Als ich beim Tanzsaal dann aber die Treppe runterkam, das rote Kleid trug und sah, wie der Graf unten auf mich wartete, war das der Moment, wo ich realisiert habe, dass ich das gerade wirklich mache. Das war unglaublich schön. Es war der erste große Job direkt nach meinem Studium und eine Rolle, die ich unbedingt mal spielen wollte.

Um noch einmal den Bogen zurück zu „Wicked“ zu schlagen: In der Story geht es nicht nur um die Freundschaft zwischen Elphaba und Glinda, sondern auch um die beiden Schwestern Elphaba und Nessarose. Sie selbst haben auch eine Schwester. Wie hilfreich war dieser Umstand bei der Erarbeitung der Rolle?
Ich glaube, dass man dadurch einige Dinge besser nachvollziehen kann. Vor allem die Streitsituationen. (lacht) Wenn Schwestern sich streiten, kann es richtig böse werden. Aber darunter ist trotzdem immer noch so eine Liebe für die andere. Völlig egal, wie böse das wird. Das ist bei Elphaba und Nessa auch so. Es gibt ein unsichtbares Band zwischen Schwestern. Denn niemand hat so früh so viel mit dir durchgemacht wie dein Geschwisterchen.

Interview: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".