
Interview mit Markus Söllner: „Vielleicht bringen wir mal so was Verrücktes wie ‚Hamilton‘ nach Tecklenburg“
Nach 33 Jahren hat Markus Söllner die Nachfolge von Radulf Beuleke angetreten und ist neuer Vorsitzender der Freilichtspiele Tecklenburg. Im Interview erzählt der hauptberufliche IT-Berater, der die renommierte Freilichtbühne wie sein Vorgänger ehrenamtlich leitet, wie es ist, in so große Fußstapfen zu treten, welche Herausforderungen er sieht und welche Stücke er gern einmal zeigen würde.
Du hast nach mehr als drei Jahrzehnten Radulf Beuleke als Vorsitzenden der Freilichtspiele Tecklenburg abgelöst. Wie hat es sich angefühlt, in so große Fußstapfen zu treten?
Das ist wirklich eine große Aufgabe. Man kann gar nicht beschreiben, was Radulf Beuleke hier in den vergangenen Jahren geleistet hat. Er hat es mit seiner Kraft und Vision geschafft, die Freilichtspiele Schritt für Schritt dahin zu führen, wo sie als professionelle Musicalbühne heute stehen. Anfangs war das ja noch gar nicht so klar, dass Musical hier das große Thema wird. Aber er hat den Mut gehabt, genau diesen Weg einzuschlagen – und das immer professioneller. Heute treten hier die großen Namen der Musicalszene auf, die man sonst von den großen Häusern kennt. Das funktioniert aber nur, weil sich der Verein etwas leistet, was ein Profitheater ist – und das, obwohl es zu einem ganz erheblichen Teil ehrenamtlich gestützt ist. Das ist schon eine Leistung, die man kaum hoch genug schätzen kann. Mir war das immer bewusst, und deshalb habe ich auch gar nicht den Anspruch, da noch einen draufzusetzen oder alles neu machen zu wollen. Meine Aufgabe sehe ich eher darin, das, was er aufgebaut hat, wie ein eigenes Kind zu behandeln und in die Zukunft zu tragen. Und das mache ich ja nicht alleine, sondern mit einem großartigen Team, das zu großen Teilen gleichgeblieben ist. Ganz neu bin ich hier ja auch nicht – ich war seit 2019 jeden Sommer schon in verschiedenen Funktionen dabei.
Kann man also sagen, dass du die Ära Beuleke bewahren und dabei eigene Akzente setzen möchtest?
Das trifft es ziemlich gut. Wie gesagt, ich bin seit 2019 hier, zunächst am Stand des Fördervereins. Dann habe ich dessen Vorsitz übernommen. Radulf hat mich von Anfang an Stück für Stück herangeführt, ohne dass es direkt ausgesprochen wurde. Er hat mich mal in eine Probe eingeladen, mal in ein Gespräch eingebunden – so konnte ich nach und nach reinschnuppern. Irgendwann wurde dann auch offen über die Nachfolge gesprochen. Alles, was auf der Bühne passiert, aber auch die Stückauswahl, die Arbeit im Orchestergraben, die Kommunikation mit Verlagen, läuft perfekt. Da etwas ändern zu wollen, wäre Unsinn. Aber die Infrastruktur ringsum hat mit der Entwicklung auf der Bühne nicht Schritt gehalten. Werkstatt, Garderoben, Maske, Geschäftsstelle – das alles ist über Jahre hinweg zu klein geblieben. Die Bühne ist gewachsen, aber das Drumherum nicht. Deshalb sehe ich meine Aufgabe darin, hier Verbesserungen zu schaffen. Das klingt vielleicht nicht glamourös, aber genau das ist wichtig: den Menschen, die hier arbeiten, vieles im Hintergrund zu erleichtern, damit die Energie auf das fließen kann, was man draußen sieht – die Aufführungen.
Wie viele festangestellte Mitarbeiter gibt es eigentlich, die das ganze Jahr über für die Freilichtspiele arbeiten?
Das sind weniger als zehn. In der Geschäftsstelle, in der Schneiderei, wo im Winter ausgeliehene Kostüme zurückgeändert werden oder Maße fürs nächste Jahr genommen werden, und in der Technik, die die Burg instand hält – vom Schneeräumen bis zu Reparaturen. Die Geschäftsstelle ist natürlich dauerhaft besetzt, weil Vorverkauf, Planung und Abrechnung laufen. Aber alles andere, was man auf der Bühne sieht, basiert auf Ehrenamt oder Saisonkräften.

Ehrenamt ist ein gutes Stichwort. Man hätte ja erwartet, dass man nach Radulf Beuleke einen hauptamtlichen Theaterleiter einstellt. Stattdessen machst du das ebenfalls ehrenamtlich, obwohl du noch einen Fulltime-Job hast. Wie bekommst du das unter einen Hut?
Ein Fulltime-Job ist es zum Glück nicht das ganze Jahr über. Ich habe mich schon vor vielen Jahren selbstständig gemacht als IT-Berater. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich zu viel gearbeitet habe – das war auch der Grund, warum ich 2019 überhaupt nach Tecklenburg gekommen bin. Das war für mich so eine Art Sabbatical: ein Sommer, an dem ich etwas ganz anderes machen wollte. Dass ich hier hängenbleiben würde und jetzt als Vorsitzender hier sitze, hätte ich damals nicht gedacht. Aber die Selbstständigkeit gibt mir heute die Freiheit, meine Arbeit zu steuern. Im Winter arbeite ich mehr, im Sommer reduziere ich die Stunden stark. Und den Rest der Zeit bin ich hier. Das Ehrenamt lässt sich also mit meinem Beruf gut kombinieren. Dazu kommt, dass ich meine Erfahrung aus der IT – Prozesse, Strukturen, Abläufe – sehr gut einbringen kann.
Könnte man sagen, dass dich genau diese Kombination antreibt – dein Beruf auf der einen Seite und die Leidenschaft fürs Theater auf der anderen?
Ja, wobei die Leidenschaft sicher die größere Rolle spielt. Ich war viele Jahre einfach Zuschauer hier – für mich war Tecklenburg immer ein Ort, um für ein paar Stunden den Alltag komplett auszublenden. 2019 bin ich dann das erste Mal hinter die Kulissen geraten und habe sofort gespürt, dass das nicht nur ein Theater ist, sondern eine Art Sommerfamilie. Wir treffen uns im Frühjahr, haben gemeinsam eine intensive Zeit mit viel Arbeit, aber auch ein unglaublich großes Miteinander. Diese Atmosphäre, dieses Zusammensein – das treibt mich an. Und ich glaube, das ist auch ein Grund, dass die großen Stars der Musicalszene hierherkommen.
Wie war eigentlich die Übergabe mit Radulf Beuleke – begleitet er dich weiterhin?
Ja, auf jeden Fall. Die Übergabe hat sich über Jahre hinweg angebahnt, weil er mich immer wieder mal einbezogen hat. Dass der Wechsel jetzt kam, lag auch daran, dass er sich im letzten Winter verletzt hat. Die aktuelle Spielzeit hat er noch geplant. Und ich muss sagen: Mit „Priscilla“ hat er den Nerv der Zeit perfekt getroffen. In einer Welt, in der über Regenbogenfahnen diskutiert wird, war das das richtige Stück zur richtigen Zeit. Und „Titanic“ war schlichtweg ein Publikumsmagnet. Fast jede Vorstellung war ausverkauft. Über den Sommer waren wir in engem Austausch, oft täglich. Für die nächste Saison habe ich die Planung übernommen, die Kontakte zu den Verlagen, die Gespräche. Aber ich habe ihn natürlich informiert und seine Meinung eingeholt. Interessanterweise gab es nie einen Punkt, an dem wir uns uneinig waren. Unsere Theatergeschmäcker sind sehr ähnlich.

Du bist selbst leidenschaftlicher Musicalbesucher. Wie beeinflusst diese Begeisterung deine Arbeit?
Sehr stark – und ich glaube, positiv. Ich schaue Produktionen heute natürlich anders an als noch vor zehn Jahren. Ich überlege automatisch: Könnte das in Tecklenburg funktionieren? Ist es geeignet für unsere große Bühne, wo wir 50, 60 oder 70 Leute einsetzen können? Oder ist es vielleicht eher etwas für ein kleineres Haus? Meine Theaterbegeisterung verbindet sich also direkt mit meiner Aufgabe hier. Ich bringe Ideen ein, wir diskutieren sie im Vorstand, hören Meinungen von Musikalischen Leitern, Regisseuren, Choreografen – und am Ende entsteht daraus ein Vorschlag für die Mitgliederversammlung, die darüber abstimmt, was wir spielen.
Dieses Jahr standen „Priscilla“, „Titanic“ und „Shrek“ auf dem Spielplan. Wie zufrieden bist du mit der Resonanz?
Sehr. „Titanic“ war ein Sensationserfolg – nahezu immer ausverkauft und auf dem Niveau von „Mamma Mia“ im Vorjahr. „Priscilla“ war schwieriger, weil der Titel weniger bekannt ist, aber die Rückmeldungen waren sensationell positiv. Viele Zuschauer haben uns Mut bescheinigt, dieses Stück gebracht zu haben, und fanden die Botschaft genau richtig. „Shrek“ hat als Familienmusical gut funktioniert und lag auf dem Niveau von „Madagascar“. Insgesamt hatten wir rund 128.000 Zuschauer – ein minimaler Rückgang zum Vorjahr, aber nur, weil es dieses Jahr weniger Vorstellungen gab. Pro Show lagen wir auf gleichem Niveau.
Bei „Titanic“ zeichnete sich der Erfolg bereits im Vorverkauf ab, „Priscilla“ lag dahinter zurück. Konnte man nach der Premiere feststellen, nachdem die ersten Kritiken raus waren und die Mund-zu-Mund-Propaganda losging, dass der Kartenverkauf ansteigt?
Ja. Man kann sagen, dass die Zuschauerzahlen von Woche zu Woche stetig gestiegen sind. Zu Beginn lagen die Sonntagsvorstellungen noch unter 1.000 Besuchern. Doch nach und nach waren die Freitage und Samstage jeweils stärker besucht als in der Vorwoche, und auch die Sonntage legten kontinuierlich zu. Bei der letzten Vorstellung wurde schließlich sogar die Marke von 2.000 deutlich geknackt.

Ein Punkt, den Zuschauerinnen und Zuschauer manchmal ansprechen, sind die unbequemen Bänke in Tecklenburg. Wird sich daran etwas ändern?
(lacht) Ja, das Thema kenne ich. Schalensitze kann ich mir allerdings in der Burgruine überhaupt nicht vorstellen – das würde das Bild völlig zerstören. Aber natürlich denken wir über die Sitzsituation nach. Es ist ein sehr komplexes Thema mit Bauvorschriften, Denkmalschutz und einer extrem knappen Bauzeit im Winter. In den nächsten drei bis vier Jahren wird sich da wahrscheinlich nichts ändern, aber langfristig ist es zumindest nicht ausgeschlossen.
Wenn du zehn Jahre in die Zukunft blickst: Wo siehst du die Freilichtspiele Tecklenburg?
Größer wird es nicht mehr werden – wir spielen von Mitte Mai bis Mitte September und stoßen bei Spielzeit sowie Zuschauerzahlen an natürliche Grenzen. Die Herausforderung liegt darin, die Qualität zu halten, Prozesse zu verbessern und die Arbeit im Hintergrund zu erleichtern. Technisch wollen wir noch Details optimieren, etwa die Akustik. Eine Vision habe ich aber: Tecklenburg könnte mutig genug sein, eine deutschsprachige Erstaufführung eines Musicals zu wagen.
Radulf Beuleke hatte immer ein paar Favoriten, die er gern nach Tecklenburg geholt hätte, zum Beispiel „Elisabeth“ und „Tanz der Vampire“. Hast du auch Stücke, die du hier gern zeigen möchtest?
Da gibt es einige. Natürlich sind das auch weiterhin „Elisabeth“ und „Tanz der Vampire“ – weil es Stücke sind, die hier viele gern sehen würden. Disney-Musicals wie „Der Glöckner von Notre Dame“, „Die Schöne und das Biest“ oder „Mary Poppins“ gehören auch dazu. Und wenn man träumen darf: Vielleicht bringen wir mal so was Verrücktes wie „Hamilton“ nach Tecklenburg. Momentan sind die Rechte dafür unerreichbar, aber irgendwann – wer weiß?!
Interview: Dominik Lapp