Wenn Maskerade zu Magie wird: „Mrs. Doubtfire“ in Düsseldorf
Basierend auf dem Filmklassiker von 1993, der dank Robin Williams längst Kultstatus besitzt, entfaltet das Musical „Mrs. Doubtfire“ am Capitol Theater Düsseldorf eine ganz eigene Magie: emotionaler, temporeicher und musikalisch funkelnder als die Vorlage. Schon nach wenigen Takten wird klar, dass die Musik von Karey und Wayne Kirkpatrick (bekannt durch „Something Rotten!“) den Kern der Geschichte – Liebe, Verlust, Identität und Neuanfang – nicht nur vertont, sondern intensiviert.
Das Buch von Karey Kirkpatrick und John O‘Farrell bleibt dem Film eng verbunden und hebt sich doch selbstbewusst davon ab. Einige entscheidende Änderungen sorgen dafür, dass die Geschichte in der Gegenwart ankommt, ohne an Charme zu verlieren: WLAN, das Mrs. Doubtfire kurzerhand abschaltet, um die Kinder zu disziplinieren; Smartphones, Tablets und Youtube-Kochvideos inklusive Werbeblock als hinreißend getanzte Showeinlage – alles wirkt organisch, humorvoll und klug integriert.
Selbst ikonische Szenen wurden neu gedacht: Statt beim Stehpinkeln wird Daniel alias Mrs. Doubtfire diesmal mit halb gelüfteter Maske enttarnt, und die finale Maskierung fällt am Ende nicht heroisch, sondern bei einer rasanten Tanznummer. Diese Aktualisierung funktioniert so wunderbar, weil sie den Geist des Originals bewahrt und ihn zugleich frisch atmen lässt.

Dass dies auch sprachlich so stimmig funktioniert, ist der exzellenten deutschen Übersetzung von Ruth und Johannes Deny sowie Kevin Schroeder zu verdanken. Ihr Text ist witzig, poetisch und unmittelbar, trifft die Zwischentöne des Humors ebenso sicher wie die Emotionen. Wenn Daniel in seinen Parodien plötzlich Heidi Klum oder Marcel Reich-Ranicki imitiert, schwappt der Saal vor Lachen über – nicht, weil es vordergründig komisch ist, sondern weil es so genau den Ton trifft, den die Figur braucht: verzweifelte Improvisation als Ventil.
Im Zentrum steht Thomas Hohler als Daniel Hillard beziehungsweise Mrs. Doubtfire – und was dieser Darsteller hier leistet, ist schlicht phänomenal. Er übernimmt eine Rolle, die untrennbar mit Robin Williams verbunden scheint, und schafft dennoch das Unmögliche: Man vergisst den Vergleich nach Sekunden. Hohler spielt, singt, tanzt, steppt, imitiert, verwandelt sich mit blitzschnellen Kostümwechseln und einem Energieeinsatz, der ihn schweißnass macht. Sein Gesang ist kraftvoll und zugleich berührend zart, wenn er Daniels Verzweiflung musikalisch greifbar macht. Jede Geste, jedes Timing sitzt. Es ist eine Glanzleistung par excellence und vermutlich eine der großartigsten Darbietungen, die man auf einer deutschen Musicalbühne gesehen hat.
An Hohlers Seite überzeugt Jessica Kessler als Miranda mit großer Wärme. Sie gestaltet die Rolle der überforderten, aber nicht herzlosen Ehefrau mit beeindruckender Glaubwürdigkeit, gesanglich ohnehin souverän. Alina Simon als Lydia erweist sich als wahrer Shootingstar: Ihr Spiel ist natürlich, ihr Gesang hinreißend, ihre Bühnenpräsenz bemerkenswert. Außerdem hat sie mit „Was für’n Scheiß“ einen der stärksten Songs des Abends zu singen. Auch die Kinder – Mika in der Rolle von Christopher und Greta als Natalie – begeistern mit beeindruckender Professionalität und Charme.

Komödiantisches Gold liefern Nicolas Tenerani als Daniels Bruder Frank und Malick Afocozi als dessen Ehemann Andre. Tenerani lässt mit jeder schreiend komischen Lüge Lachsalven durch den Saal rollen, Afocozi ist sein idealer Gegenpart, gemeinsam sind sie pure Sympathie.
Tamara Wörner bringt als Jugendamtsmitarbeiterin Wanda trotz kurzer Bühnenzeit große Präsenz, Christian Funk verleiht Stuart eine angenehme Stimme sowie eine unaufdringliche, sympathische Note – ganz anders als Pierce Brosnan im Film. Zuletzt aber glänzt Anneka Dacres in der Rolle der Janet Lundy als resolute TV-Produzentin mit klarer Kante.
Unter der Musikalischen Leitung von Joe Schmitz klingt jeder Song rund, energiegeladen und fein abgestimmt. Die Partitur ist ein wohldosiertes und gut ins Ohr gehendes Gemisch aus Pop, Rock und gefühlvollen Balladen – und das Orchester trägt die Handlung federleicht.

Jerry Zaks’ Regie ist ein Musterbeispiel für Timing, Figurenführung und Balance zwischen Witz und Gefühl. Nichts wirkt überzogen, jede Pointe sitzt, jede emotionale Wendung entfaltet ihre Wirkung. Die Choreografie von Lorin Latarro ist mehr als schmückendes Beiwerk: Sie erzählt mit und treibt die Handlung voran. Die getanzte Kochvideo-Sequenz und die Modenschau sind dabei Höhepunkte – und dass in „Mrs. Doubtfire“ tatsächlich gesteppt wird, ist eine Wohltat in Zeiten, in denen Stepptanz in modernen Musicals selten geworden und eher den Klassikern vorbehalten ist.
Auch visuell überzeugt die Produktion auf ganzer Linie. Das Bühnenbild von David Korins ist detailverliebt und wandlungsfähig, lässt mit wenigen Handgriffen Mirandas Haus, Daniels Wohnung, Gerichtssaal, Restaurant und Filmstudio entstehen. Die Kostüme von Catherine Zuber sind erzählerisch klug und stets typgerecht, während Philip S. Rosenbergs Lichtdesign jede Szene mit der passenden Atmosphäre versieht.
„Mrs. Doubtfire“ am Capitol Theater Düsseldorf ist mehr als eine nostalgische Bühnenadaption eines geliebten Films. Es ist ein modernes, bewegendes, unglaublich unterhaltsames Musical, bei dem Humor und Emotionen sehr nah beieinander liegen. In einer Szene weint man vor Lachen, in der nächsten vor Rührung – und später verlässt man das Theater mit dem Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben, weil sich Tempo und Tiefgang in diesem Stück perfekt im Gleichgewicht halten.
Text: Dominik Lapp