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Zwischen Fortschritt und Frustration: Wie geschlechtergerecht ist Kultur wirklich?

In der deutschen Kulturlandschaft ist in Sachen Geschlechtergerechtigkeit ein wenig Bewegung spürbar. Doch es bleibt noch viel zu tun. Zehn Jahre nach der Studie „Frauen in Kultur und Medien“ von 2016 liegt nun mit „Es geht voran – Sachstand Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien“ ein neues umfassendes Werk vor, das Bilanz zieht, Entwicklungen sichtbar macht und neue Herausforderungen benennt. Herausgegeben von Gabriele Schulz und Olaf Zimmermann, zwei prägenden Stimmen des Deutschen Kulturrates, versammelt das Buch 38 Autorinnen und Autoren aus Verbänden, Kulturverwaltung, Förderung und Wissenschaft – ein Kaleidoskop an Perspektiven auf den Stand der Gleichstellung im Kultur- und Mediensektor.

Vom Runden Tisch zum Kulturwandel

Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung liegt im Jahr 2016: Damals sorgte die vom Deutschen Kulturrat initiierte Studie „Frauen in Kultur und Medien“ für Aufsehen. Sie legte erstmals systematisch offen, wie stark Frauen in der Kulturszene unterrepräsentiert, schlechter bezahlt und seltener gefördert waren. Die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters reagierte prompt – mit einem Runden Tisch und einem breit angelegten Dialogprozess, der seither maßgebliche Veränderungen angestoßen hat.

Heute zeigt sich: Der Wandel hat begonnen. Frauen sind in kulturpolitischen Gremien präsenter, Gleichstellungsgesetze werden bei Führungsbesetzungen ernster genommen, Diversität ist ein strategisches Ziel vieler Förderinstitutionen. Der Frauenanteil in Leitungspositionen – von Museen bis Theatern – ist gestiegen, und Programme wie das Mentoring für erfahrene Frauen in Kultur und Medien zeigen messbare Wirkung.

Sachstand Geschlechtergerechtigkeit
Diese Grafik aus dem Buch „Es geht voran“ zeigt, dass es mit der Frauenquote in Führungspositionen am Theater voran geht, im Bereich der Generalmusikdirektion aber noch besonders viel zu tun ist.

Werke von Frauen werden wenig gespielt

Doch der Fortschritt bleibt ungleich verteilt. Während Frauen in Verwaltung und Lehre zunehmend Verantwortung übernehmen, bleiben sie auf den großen Bühnen oft unsichtbar. Dirigentinnen, Intendantinnen oder Generalmusikdirektorinnen sind nach wie vor selten. Der Gender-Show-Gap, die ungleiche Aufführung von Werken männlicher und weiblicher Künstler, besteht weiter. Und der Gender-Pay-Gap, wie der Unterschied im Einkommen von Männern und Frauen bezeichnet wird, ist in den letzten Jahren sogar wieder gewachsen – insbesondere bei freien Kulturschaffenden.

Das Buch beleuchtet diese Ambivalenz mit empirischer Präzision. Es zeigt, wie differenziert Geschlechtergerechtigkeit gedacht werden muss – jenseits binärer Kategorien, mit Blick auf Alter, Herkunft, Behinderung oder soziale Herkunft. Die Autorinnen und Autoren fordern eine kontinuierliche Datenerhebung, mehr Transparenz und eine engere Verzahnung von Gleichstellungs- und Kulturpolitik.

Sachstand Geschlechtergerechtigkeit
Ob Musical, Oper oder Schauspiel: Diese Tabelle aus dem Buch zeigt, dass an deutschen Theatern vor allem Werke von Männern aufgeführt werden.

Kultur des Respekts muss verankert werden

Neben Fragen der Repräsentation rückt zunehmend die Kultur des Miteinanders in den Fokus. Die #metoo-Bewegung hat auch in Deutschland einen tiefgreifenden Reflexionsprozess ausgelöst. 2017 entstand die Themis-Vertrauensstelle, die Betroffenen von sexueller Belästigung oder Gewalt in Kultur und Medien rechtliche und psychologische Hilfe bietet.

In jüngster Zeit hat der Deutsche Kulturrat den Diskurs mit dem Dialogprozess „Respektvoll Arbeiten“ (2023-2024) weitergeführt. Das dazugehörige Positionspapier bekräftigt: Die Würde des Menschen ist unantastbar – auch in Probenräumen, Redaktionen oder auf Filmsets. Leitlinien, Schutzkonzepte und Codes of Conduct sollen keine bürokratischen Hürden schaffen, sondern Orientierung geben, Handlungssicherheit fördern und eine Kultur des Respekts verankern.

Sachstand Geschlechtergerechtigkeit
Auch das zeigt das Buch: Noch immer sind nahezu keine Frauen federführend bei deutschen Orchestern.

Eine Daueraufgabe

Das Fazit des Buches ist klar: Einiges ist erreicht, aber nichts ist abgeschlossen. Das Bewusstsein für Gleichstellung und Diversität ist geschärft, doch es braucht anhaltende Aufmerksamkeit. Verhaltenskodizes und Richtlinien sind erarbeitet, müssen aber gelebt werden – in Betrieben, Hochschulen, Theatern und Orchestern. Fortbildungen werden genutzt, Prävention gestärkt, interne und externe Beschwerdestellen etabliert. Trotzdem bleibt viel zu tun: Dunkelziffern von Diskriminierung, strukturelle Hürden und stereotype Rollenbilder bestehen fort. Geschlechtergerechtigkeit ist kein Zustand, sondern ein Prozess, der stetige Nachjustierung verlangt.

Mit „Es geht voran – Sachstand Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien“ legen Gabriele Schulz und Olaf Zimmermann – sie ist seit 2008 stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates, er ist seit 1997 Geschäftsführer des Kulturrates – ein Kompendium kulturpolitischer Selbstreflexion vor. Es dokumentiert, wie sich Strukturen verändern: langsam, aber spürbar. Die Beiträge verdeutlichen, dass Gleichstellung mehr ist als Quoten oder Förderprogramme. Sie ist eine Frage von Haltung, Verantwortung und gelebter Kultur.

In einer Zeit, in der gesellschaftliche Polarisierung zunimmt, ist diese Arbeit wichtiger denn je. Die zentrale Botschaft des Buches lässt sich schließlich auf einen Satz verdichten: Ohne Geschlechtergerechtigkeit kann es keine gerechte Kultur geben.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".