
Interview mit Mariyama Ebel: „Man darf Rassismus nicht zu nah an sich heranlassen“
Ob im schrillen Musical „SpongeBob“, als Swing in der spektakulären „Harry Potter“-Inszenierung oder zuletzt in der Satire „Familie Braun“ an der Comödie Dresden – Mariyama Ebel sucht die Vielfalt und scheut die Extreme nicht. Die Musicaldarstellerin liebt es, Grenzen zu überschreiten, indem sie auch mal Männer oder groteske Figuren spielt. Im Interview spricht sie über schwarzen Humor, Alltagsrassismus in Dresden und warum sie sich vor allem als Schauspielerin versteht, die singt.
Mariyama, lass uns direkt anfangen mit deinem letzten Engagement in der Satire „Familie Braun“ an der Comödie Dresden. Was hat dich an dem Stück gereizt und wie bist du dazu gekommen?
Das war tatsächlich ein ziemlicher Zufall. Ich war gerade in Dresden, spielte noch „Sister Soul“, da rief mich der Intendant aus Karlsruhe an. Eine Kollegin war abgesprungen, die das Stück schon gespielt hatte. Sie suchten kurzfristig jemanden für die Position, die ich jetzt habe – eine PoC-Frau. Am Telefon hörte sich das schon richtig lustig an, vor allem, weil ich Fan von schwarzem Humor bin. Da dachte ich: Das klingt nach einem spannenden Projekt. Nach vielem Hin und Her, weil es wegen anderer Produktionen nicht ganz klar war, ob ich freigestellt werden kann, hat es dann doch geklappt. Und ich bin sehr froh darüber.
Das Stück ist so absurd. Hattest du Momente bei den Proben, in denen du selbst lachen musstest?
Oh ja. Gerade bei der Wiederaufnahme hatten wir nicht viel Probenzeit. Wenn man neu ins Stück kommt, muss man sich wirklich zusammenreißen. Manche Sätze sind so absurd, dass es schwerfällt, ernst zu bleiben. Gleichzeitig entsteht durch diese Absurdität ein lockerer Vibe auf der Bühne. Wir nehmen uns selbst nicht so ernst, der Spaß steht im Vordergrund. Ohne Humor könnte man „Familie Braun“ nicht spielen. Zum Glück hatte ich immer tolle Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es kurz vor den Vorstellungen Umbesetzungen gab. Das macht das Ganze sehr entspannt.
Im Sommer gab es in Schwäbisch Hall einen homophoben Angriff auf einen PoC-Darsteller. Auch in Dresden, oder insgesamt in Sachsen, gibt es ein ernstes Problem mit Rechtsextremismus. Wie ist es, ein Stück wie „Familie Braun“ ausgerechnet in Dresden zu spielen? Lebst du mit einer gewissen Angst oder versuchst du, das auszublenden?
Ich kann es nicht ausblenden, weil die Leute mich im Osten einfach anders behandeln. Dresden ist zwar groß genug, dass es auch viele nette, weltoffene Leute gibt. Aber ich hatte mir diesmal bewusst eine Wohnung in der Neustadt gesucht – auch wenn es weiter vom Theater entfernt war. Dort ist es offen, alternativ, mit vielen Cafés und veganen Restaurants. Ganz anders ist es in der Altstadt oder in manchen Randbezirken: Da erlebe ich richtig schlimmen Alltagsrassismus. Im Süden Deutschlands starren mich die Leute oft an, als hätten sie noch nie eine Schwarze Person gesehen. Je kleiner die Stadt, desto mehr behandeln sie mich wie eine Attraktion. Im Osten ist es genau umgekehrt: Die Leute schauen weg. Sie tun so, als wäre ich unsichtbar – oder behandeln mich wie jemand, den man besser ignoriert, als wäre ich obdachlos oder würde stören. Diese Abwehrhaltung ist sehr unangenehm. Deshalb war ich froh, dass ich in der Neustadt wohnen konnte. Dort habe ich mich sicherer gefühlt.

Das klingt sehr belastend. Was macht das mit dir?
Es wäre zu heftig, sich das alles zu Herzen zu nehmen. Man darf Rassismus nicht zu nah an sich heranlassen. Sonst würde man irgendwann nur noch zu Hause sitzen und weinen. Das Stück hilft mir, vieles mit Humor zu nehmen. Aber es gibt in „Familie Braun“ auch Sätze, die richtig wehtun. Zum Beispiel: „Wie schläft man mit einer Schwarzen Frau? Mein Kumpel Thomas hat das hingekriegt – mit Saufen.“ Das ist wahnsinnig verletzend, weil man weiß: Manche Menschen denken wirklich so. Im Alltag versuche ich inzwischen, Menschen direkt anzusprechen. Neulich zum Beispiel habe ich mein Fahrrad abgeschlossen, und eine Frau hat extra jemanden rausgeschickt, um zu kontrollieren, ob ich es klaue. In solchen Situationen frage ich ganz bewusst: „Warum hast du das gemacht? Was dachtest du?“ Oft reagieren die Leute abwehrend, aber manchmal entsteht ein Gespräch. Wichtig ist, ruhig zu bleiben. Wenn man zu konfrontativ wird, machen die Leute sofort dicht. Ich versuche es mit einer Mischung aus Humor, Ehrlichkeit und Freundlichkeit.
In „Familie Braun“ hast du mehrere Rollen gespielt, auch Männer. Wie war es, dich da hineinzufinden?
Ich finde es immer spannend, Rollen zu spielen, die weit weg von mir sind. Gerade im Musical wird man oft komplett umgestylt, und das liebe ich. Zu sehen, wie ich als Mann aussehe, wie ich mich bewege, das macht einfach Spaß. Einen meiner Charaktere habe ich quasi aus Frankfurt mitgebracht. Ich komme von dort, und es gibt diesen Typ Mensch mit kurzer Zündschnur, aber offen und konfrontativ – das war fast ein Copy-Paste aus meiner Heimat. Meine andere Männerrolle, Said, war schwieriger. Er ist Palästinenser, lebt seit zwölf Jahren in Deutschland und sollte einen Akzent haben. Akzente finde ich generell schwer, deshalb hat es länger gedauert, bis ich etwas gefunden habe, das funktioniert.
Wenn du an dein Studium am Institut für Musik in Osnabrück zurückdenkst – welche Dinge begleiten dich bis heute?
Es ist eine Mischung. Vieles im Studium war sehr praxisnah, aber die Realität im Beruf ist dann doch anders. Der Feinschliff kommt meiner Meinung nach erst im Job. Was mir aber ein richtiges Fundament gegeben hat, ist die Gesangsausbildung. Auch wenn meine Stimme sich verändert hat: Ich weiß, dass ich mich auf meine Technik verlassen kann. Wir hatten außerdem eine großartige Schauspielausbildung. Das war ein großes Glück. Und: Wir wurden nicht nur als Darsteller, sondern auch als Vokalpädagogen ausgebildet. Das hieß, wir mussten uns mit unterschiedlichen Gesangsschulen auseinandersetzen und lernen, sie zu unterrichten. Das erweitert den Blick enorm, auch wenn es im Studium manchmal nervig war, weil es viel Theorie gab. Heute bin ich sehr dankbar dafür.

Du warst Swing in „Harry Potter und das verwunschene Kind“ in Hamburg. Wie war diese Erfahrung für dich?
Besonders die Stressresistenz habe ich da gelernt. Als Swing musst du ständig flexibel sein. Oft kommt der Anruf morgens: „Heute spielst du statt deiner Ensembleposition die Maulende Myrte.“ Oder man springt für mehrere Rollen gleichzeitig ein, macht Split-Tracks. Andere geraten in Panik – ich habe gelernt, ruhig zu bleiben, die Prioritäten klar zu setzen und effizient zu arbeiten. Gerade während Corona war das extrem. Es kam ständig vor, dass mehrere Leute gleichzeitig ausfielen. Wir hatten dann ein gemeinsames Warm-up, Maskenzeiten, Notes von der Regie – und immer wieder kurzfristige Änderungen. Man musste immer mitdenken, auch auf der Bühne.
Du kommst vom Musical, spielst aber auch viel Sprechtheater. Wie siehst du dich selbst?
Ich bin Musicaldarstellerin, aber meine Basis ist das Schauspiel. Schon als Kind habe ich gespielt, Gesangsunterricht kam erst mit 15 Jahren. Musical habe ich studiert, weil es Schauspiel und Gesang verbindet. Mit dem Tanzen habe ich erst kurz vor dem Studium angefangen. Lustigerweise kannte ich am Anfang nur wenige Musicals, während alle anderen ständig von irgendwelchen Shows sprachen. Insofern: Ich fühle mich als Schauspielerin, die singt.
Du hast auch Sandy in „SpongeBob“ gespielt – eine sehr schräge Figur. Gibt es für dich einen Unterschied zwischen solchen Rollen und klassischen Figuren?
Das ist auch so eine Rolle, die weit weg von mir ist. Das liebe ich wie gesagt sehr. Sandy ist total überdreht und absurd, aber das Stück ist großartig geschrieben. Trotz der Übertreibung hatte ich nie das Gefühl, dass es unglaubwürdig wird. Es sind trotzdem Figuren, mit denen man mitfühlen kann. Das reizt mich – ganz egal, ob der Charakter schräg oder eher klassisch ist.
Hattest du vorher schon Berührungspunkte mit „Harry Potter“ und „SpongeBob“? Bei beiden handelt es sich schließlich um echte Kultmarken.
Ja, hatte ich. „Harry Potter“ habe ich als Kind regelrecht verschlungen. Ich war genau im richtigen Alter, als die Bände rauskamen, und habe mich total damit identifiziert. Den ersten Band habe ich so oft gelesen, dass ich nach dem 23. Mal nicht mehr gezählt habe. In der Theaterproduktion war ich eine derjenigen, die immer wieder Fakten gecheckt haben. „SpongeBob“ habe ich erst später geschaut, aber dann sehr gefeiert. Ich liebe die Mischung aus Absurdität und ernsten Themen. Als Kind lacht man, wenn er zerfließt oder in Stücke gerissen wird. Aber als Erwachsene erkenne ich mich in diesen Situationen wieder – wenn man am liebsten im Boden versinken oder sich zerreißen möchte.
Interview: Dominik Lapp