„Maria Theresia“ in Wien
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Kreativ, mutig – und nicht ohne Makel: „Maria Theresia“ in Wien

Große Habsburger Namen als Musical – das hat in Wien schon immer gezogen. Nach „Elisabeth“ und „Rudolf“ steht jetzt „Maria Theresia“ als Dritte im Bunde in den Startlöchern – eine Regentin und Persönlichkeit, die den anderen beiden um ein Jahrhundert voraus war, und auch ein Musical, das in diesem Vergleich völlig aus dem Rahmen fällt und eigene Wege geht.

Mehrere Jahre hat ein hochkarätiges Kreativteam (Musik: Dieter Falk und Paul Falk, Buch: Thomas Kahry, Liedtexte: Jonathan Zelter, kreative Entwicklung: Christian Struppeck) an neuem Stoff für die Vereinigten Bühnen Wien (VBW) geschrieben, getüftelt, ausprobiert und verworfen, um jetzt endlich den Weg der Welturaufführung zu beschreiten. Doch wer ein großes, düsteres, geschichtsträchtiges Musical unter der Regie von Alex Balga mit vielen klassischen Elementen erwartet, dürfte überrascht werden.

Die Storyline des Musicals spannt den Bogen von der jugendlichen Habsburger Tochter Maria Theresia bis zum Tod ihres Gatten Kaiser Franz Stephan im Jahre 1765. Vier Jahrzehnte war sie Herrscherin eines Weltreiches und ging als mutige Frau, sechzehnfache Mutter und entschlossene Reformerin in die Geschichtsbücher ein.

„Maria Theresia“ in Wien

Bereits im Prolog wird deutlich, dass das Andenken an Maria Theresia bewahrt werden soll. Es wird ihre Geschichte erzählt – allerdings nicht als große historische Rückblende, sondern als Blick auf eine Frau, die für die damalige Zeit in vielen Teilen als sehr modern galt. Früh ist erkennbar, dass Maria Theresia sich nicht in das höfische Prinzessinnen-Korsett zwängen lässt, sondern wissbegierig, interessiert und ehrgeizig ihre kleine Welt zu erobern sucht. Da es keine weiteren männlichen Erben gibt, setzt ihr Vater Kaiser Karl VI. die „Pragmatische Sanktion“ durch, einen Erlass, der im Falle seines Todes die weibliche Thronfolge ermöglicht. Somit macht er seine Tochter zu seiner offiziellen Nachfolgerin – jedoch ohne sie groß auf ihre neue Aufgabe vorzubereiten. Als er überraschend stirbt, ist Maria Theresia von heute auf morgen die wichtigste Frau Europas und sieht sich sowohl in ihrem eigenen Volk als auch europaweit mit Gegnern konfrontiert, die ihr diese neue Stellung anzweifeln und nicht anerkennen wollen. Im Gegenteil – die europäischen Mächte können es gar nicht erwarten, die Vorherrschaft auf dem Kontinent neu aufzuteilen. An ihrer Spitze als politischer Gegner: König Friedrich II. von Preußen. Doch Maria Theresia behauptet sich mit Willensstärke, Herz und sozialer Intelligenz und führt ihr Land in eine Zukunft, die es auf die heutige Zeit vorbereitet.

Mit Nienke Latten als Protagonistin holen die VBW eine mittlerweile alte Bekannte zurück nach Wien. Über 30 Jahre nach Pia Douwes als „Elisabeth“ erhält erneut eine junge Niederländerin die Chance, ein österreichisches Epos zu kreieren und eventuell Musicalgeschichte zu schreiben. Denn ohne Zweifel hat Latten die Fähigkeit, sowohl schauspielerisch als auch vor allem gesanglich den Abend als Leading Lady zu bestreiten. Die Spannbreite der jugendlichen, neugierigen, etwas aufmüpfigen Prinzessin bis hin zur klar denkenden, strukturierten Herrscherin, dazu eine fast dauerhafte Präsenz auf der Bühne, gelingen ihr scheinbar mühelos, und doch mag man erahnen, wie viel Herzblut, Schweiß und Energie in der Erarbeitung dieser Rolle stecken müssen. Ihre Maria Theresia ist alles andere als machthungrig: Sie ist schlau, hat das richtige Gespür und sieht die Chance, mit der ihr auferlegten Stellung im Hier und Jetzt etwas zu bewirken, ihr Reich umfassend zu modernisieren und nach vorne zu bringen.

Im Gegensatz zu den meisten Prinzessinnen in den europäischen Herrschaftshäusern der damaligen Zeit gelang Maria Theresia eine Liebesheirat mit Franz Stephan von Lothringen – und findet daher auch im Musical seinen berechtigten Platz. Ein Partner auf Augenhöhe, der sie unterstützt und bis ans Ende an ihrer Seite bleibt, zudem ein spannender Blick auf das Patriarchat damals und heute – denn wie viele Männer haben insgeheim immer noch Probleme mit starken, erfolgreichen Frauen, vor allem in Beziehungen? Zunächst als kesser Womanizer und später zwischenzeitlich auch als zurückgewiesener Ehemann, der sich von seiner Frau nicht mehr gesehen fühlt, gelingt Fabio Diso ein wunderbarer Spagat und ein smarter, aber auch sehr authentischer und feinfühliger Franz Stephan, der äußerst glaubhaft und stimmstark mit seiner Bühnenpartnerin Nienke Latten harmoniert.

„Maria Theresia“ in Wien

Eingebettet werden die beiden von Annemieke van Dam als Madame Fuchs, Maria Theresias engster Vertrauter am Hof, Annemarie Lauretta als Mutter Kaiserin Elisabeth Christine, Dominik Hees als Vater Kaiser Karl VI. sowie Andreas Wolfram als Kanzler Bartenstein, Berater und Leiter der kaiserlichen Familie. Van Dam kreiert eine liebevolle, herzensgute und moderne Madame Fuchs mit dem Herz am rechten Fleck, immer bereit, ihren Sprössling in die richtige Richtung zu lenken. „Das, was ewig bleibt“, ist ihr großes Solo im zweiten Akt und wird von ihr klangvoll und mit starker Bühnenpräsenz interpretiert. Gemeinsam mit Lauretta und Latten ist sie der Inbegriff von Womenpower und zeigt mit „Wir alle sind MT“ mehr als einmal, wer am Hofe und in der scheinbar von Männern dominierten Welt das Sagen hat. Annemarie Lauretta gibt auf herausragende Art und Weise eine energische Persönlichkeit, die zugeben muss, ihre Tochter unterschätzt zu haben, und am Ende den Weg gemeinsam mit ihr bestreitet. Dagegen fällt Dominik Hees aufgrund der überschaubaren Größe seiner kleinen Rolle als Vater Kaiser Karl VI. ein wenig zurück, und doch gelingt ihm im ersten Akt ein warmherziger und zugleich starker, energischer Vater. „Jeder Mensch muss seine Grenzen kennen“ ist das, was er seiner ungestümen Tochter mit auf den Weg gibt und was diese auch später noch bei sich trägt. Andreas Wolfram als Kanzler Bartenstein verleiht dem Hof mit seiner Wärme und Präsenz einen verlässlichen Rahmen und ist bis zum Schluss ein väterlicher Begleiter und politischer Berater für Maria Theresia.

Friedrich II. von Preußen galt als Maria Theresias stärkster politischer Gegner, nicht zuletzt, da er sich im Österreichischen Erbfolgekrieg direkt das reiche Schlesien krallte und Habsburg ganz schön alt aussehen ließ. Den Machern des Musicals ist es gelungen, Friedrich II. von Preußen als den perfekten Antagonisten zu inszenieren. Hierbei darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich das Buch historische Freiheiten erlaubt, die nicht alle mit der wahren Historie übereinstimmen. Man mag dies kritisieren und sich fragen, ob in so einem Kontext das Buch nicht näher an der geschichtlichen Vorlage sein muss. Man kann das Ganze aber auch als Unterhaltung ansehen. Denn es wird erkennbar, dass die einzelnen Abweichungen dramaturgisch auch Sinn ergeben und letztendlich für mehr Dramatik, Tiefgang und Konflikt sorgen. Dies trifft auch auf Friedrich II. von Preußen zu, der im Stück nicht nur Maria Theresias ärgster Widersacher ist, sondern zudem ihr verschmähter Heiratskandidat.

In der Rolle: ein alter Bekannter auf der Bühne des Ronacher Theaters – Moritz Mausser. Die Besetzung durch ihn für diesen Part lässt sich mit einem Wort beschreiben: perfekt. Komplett in Schwarz gekleidet wirkt er, als sei er dem heutigen Szene-Berlin entsprungen; seine Interpretation und Darstellung sind vom ersten Moment bis in die Tiefe ausgefeilt, glaubhaft gelingt ihm der Spagat zwischen machthungrigem Herrscher und verletzter Persönlichkeit. Denn auch er leidet wie seine Widersacherin unter patriarchalen Strukturen, zugeschriebenen Rollenbildern und politischem Druck. Seine Auftritte zeugen von großem Wiedererkennungswert und werden zu Highlights in der Handlungsabfolge; seine rockigen, zum Teil sehr harten Songs lassen innerlich tief blicken und machen ihn neben seiner Herausforderin zum Star des Abends.

„Maria Theresia“ in Wien

Die 16 Kinder von Maria Theresia, von denen nicht alle das Erwachsenenalter erreichten, werden im Stück ab dem zweiten Akt dargestellt von Aeneas Hollweg (Joseph), Amelie Polak (Marie Christine), Clemens Otto Bauer (Leopold), Petra Ilse Dam (Maria Elisabeth), Elies de Vries (Maria Karolina), Briannajoy Ebunola (Maria Anna), Paula Niederhofer (Maria Amalia), Florine Schnitzel (Maria Josepha), Benedikt Solle (Karl Joseph), Aday Velasco (Maximilian) und Livia Vrede (Marie Antoinette); sie alle komplettieren mit dem Rest der Cast das Ensemble. Doch lediglich Joseph (Aeneas Hollweg), dem Thronfolger, und der Lieblingstochter Marie Christine (Amelie Polak) werden etwas größere Parts zugesprochen; sind sie doch diejenigen, die unter ihrem stringenten Familienoberhaupt zunächst am wenigsten Gehör finden. Beide lassen glaubhaft und authentisch durchscheinen, wie der engste Familienkreis manchmal unter der vielbeschäftigten Mutter und Reformerin zurückstecken muss. Denn es wird auch deutlich, dass für ein heimeliges Familienleben keine Zeit und kein Rahmen vorhanden ist. Die Kinder sind für die Erzherzogin Mittel zum Zweck – geschickt gelingt es ihr, halb Europa dadurch mit ihrem Haus zu verheiraten, was in der Szene „Heiratsroulette“ spöttisch auf die Schippe genommen wird. Doch durch diesen klugen Schachzug sichert sich Maria Theresia die Vorherrschaft auf einem Kontinent, der damals machthungrig durch Kriege auseinandergenommen wurde.

Musikalisch ist „Maria Theresia“ nicht mit seinen Vorgängern „Elisabeth“ oder „Rudolf“ zu vergleichen und sorgt hiermit sicher für am meisten Zündstoff und Kontroverse: Hip-Hop und Rap, Rock und Pop, große, doch etwas kitschige Musicalballaden, Schlagermelodien und sogar elektronische Beats, die im Techno und in der Clubszene ihr Zuhause haben – ein wahres Feuerwerk aus musikalischen Stilrichtungen. Dazu kommt, dass Musicalkennerinnen und -kenner sich an Stücke wie „Hamilton“, „Moulin Rouge“, „Rock me Amadeus“ oder „& Julia“ erinnert fühlen und überrascht sein mögen, wie viele stilistische Ähnlichkeiten, bewusst oder unbewusst, ihren Platz in dieser Inszenierung finden. Doch verderben nicht zu viele Köche den Brei? Ist das Ganze too much? Beim erstmaligen Anhören mag man dem vielleicht zustimmen. Doch beim genaueren Hinsehen wird deutlich, wie geschickt alle musikalischen Elemente miteinander verwoben sind und sowohl der Einsatz von Reprisen als auch die Stilelemente, zugeschnitten auf die jeweiligen Rollen, einen gewissen Wiedererkennungswert haben. Dem Orchester der Vereinigten Bühnen Wien unter der Leitung von Carsten Paap gelingt die Vertonung auf herausragende Art und Weise und sorgt dafür, dass man sich von der Musik abgeholt fühlt und selbst in der stilistischen Vielfalt eine klare Linie und Orientierung finden kann. Dieter und Paul Falk ist ihre Intention gelungen, historische Elemente mit zeitgenössischen Beats zu verbinden und Maria Theresia als moderne Frau ihrer Zeit zu verstehen. Ob es gefällt, ist Geschmackssache.

Lediglich der Rap wirkt, gerade in den Dialogen, manchmal ein wenig holprig; hinzu kommen flache Wortspiele und ungelenke Reime. Hier hätte man sich eher einen Gefallen getan, ins Sprechen überzuwechseln. Überhaupt vermisst man ab und an in der Inszenierung ein paar ruhigere, leise Momente zum Durchatmen und Verarbeiten. Vielmehr fühlt man sich an Videoclips erinnert, die nacheinander abgespielt werden und unsere heutige, schnelllebige Welt nur mehr unterstreichen. Balga hat sein Stück leidenschaftlich, lebendig und cineastisch inszeniert; somit wird ein hohes Tempo vorgelegt, dem es jedoch nicht erlaubt, Langeweile aufkommen zu lassen. Die Handlungsabfolge bleibt hierbei aber stets stark erkennbar und orientiert sich immer am klar erkennbaren roten Faden, der es möglich macht, dem Weg der Charaktere zu folgen und deren Ansichten und Intentionen zu verstehen.

„Maria Theresia“ in Wien

Die Ensembleszenen sind vor allem im ersten Akt ein großer Hingucker, und man könnte sagen, dass den kraftvollen, ins Auge stechenden Choreografien von Jonathan Huor eine heimliche Hauptrolle zugeschrieben wird. Er hinterlässt hier seine prägnante, wiedererkennbare Handschrift auf erfolgreiche Art und Weise und sorgt dafür, dass sie sowohl in den feinen Linien der zwischenmenschlichen Begegnungen als auch in den eindrucksvollen Massenszenen zum Tragen kommen. Die komplette Cast ist fantastisch aufeinander abgestimmt, und jede Bewegung, jeder noch so kleine Schritt zeugt von einer großartigen, ausdrucksstarken Zusammenarbeit. Songs wie „Friedrich von Preußen ist in Wien“, „Sie kann’s nicht“ oder „Working Mum“ dürften hier ganz besonders im Ohr und im Gedächtnis hängen bleiben.

Auch den Kostümen (Aleksandra Kica) bedarf ein besonderes Augenmerk, sind sie doch liebevoll und poppig farbenfroh kombiniert – historische Elemente mit emanzipierten, modernen Elementen vereint. Sneaker-Turnschuhe komplettieren die zum Teil gerafften Röcke, Korsagen voll Glitzer und historische Perücken. Das Ganze wirkt fetzig und keinesfalls fehl am Platz, sondern gut durchdacht und mit viel Liebe zum Detail entworfen. Das Bühnenbild (Morgan Large) ist schlicht, mit einem gewissen Schick, metallisch edel glänzend und ergänzt sich perfekt zu den Kostümen. Der Hintergrund wird mal zu großen Gemälden, mal zu den Fensterläden im Schloss Schönbrunn, mal zum Gedankenkarussell von Maria Theresia selbst. Der geschickte Einsatz von LED-Projektionen (ebenfalls Morgan Large), die fantastische Arbeit mit Licht (Ben Cracknell), Nebel und Sound (Carsten Kümmel), dazu eine Brücke, die von oben herabgelassen wird, fahrbare, drehbare Bühnenteile wie Treppen, Balustraden oder der Schreibtisch der Erzherzogin, vervollständigen das Bild. Hier ist tatsächlich weniger mehr – denn mehr bedarf es nicht.

Nach knapp drei Stunden Feuerwerk bleibt vor allem die Geschichte einer Frau, die zwar dreihundert Jahre zurückliegt, sich aber bis heute in die Gegenwart übertragen lässt. Einer Frau, die sicher nicht unfehlbar war, sich aber gegen das Patriarchat durchsetzte, mutig und entschlossen ihren Weg verfolgte und die erkannt hat, dass sie „im Hier und Jetzt“ mit ihren Möglichkeiten die Welt zu einer besseren machen konnte. Den Vereinigten Bühnen Wien ist es mit diesem unkonventionellen Blick auf die größte Herrscherin des 18. Jahrhunderts gelungen, ein Stück Geschichte mit der Moderne und ihren Fragen der Zeit zu verweben und anschaulich auf die Bühne zu bringen. Ob die vielen musikalischen Richtungen und Stilmixe sowie die kleinen, aber sehr deutlichen historischen Freiheiten von allen angenommen werden können und ob das Musical ebenfalls zum Kassenschlager wird, bleibt abzuwarten. Doch eines ist sicher: So jemanden wie Maria Theresia hat es so schnell nicht wieder gegeben – und es wurde Zeit, dass man dieser bemerkenswerten Frau eine Bühne gibt. Denn: „Der Mann des Jahrhunderts war eine Frau.“

Text: Katharina Karsunke

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Katharina Karsunke ist Sozial- und Theaterpädagogin, hat jahrelang Theater gespielt, aber auch Kindertheaterstücke geschrieben und inszeniert. Ihre Liebe fürs Theater und ihre Leidenschaft fürs Schreiben kombiniert sie bei kulturfeder.de als Autorin.