
Sondheim im Märchenwald: Warum „Into the Woods“ für Regisseur Sascha Wienhausen ein Meisterwerk ist
Wenn sich Rotkäppchen, Rapunzel, Hans im Glück und ein kinderloses Bäckerpaar im Märchenwald begegnen, ist Chaos vorprogrammiert – und große Kunst gleich dazu. Regisseur Sascha Wienhausen hat Stephen Sondheims Musical „Into the Woods“ an das Osnabrücker Institut für Musik (IfM) gebracht, als Abschlussproduktion des diesjährigen Musical-Jahrgangs.
Es ist nicht das erste Mal, dass Wienhausen das Stück inszeniert – und doch fühlte es sich für ihn an wie ein Neubeginn. „Es ist ein ideales Stück für Studierende“, sagt er im Gespräch. „Die vielen großen Rollen sind sehr gut verteilt, so dass alle eine Chance haben, sich auszuprobieren – das ist für eine Ausbildung ungemein wichtig.“
Vor 16 Jahren hatte der Regisseur bereits eine Kammerfassung des Musicals am Osnabrücker emma-theater realisiert. Nun folgt die große Orchesterfassung am IfM – mit neuem Ensemble, neuem Bühnenbild und neuen Einsichten: „Weil ich das Stück nun so gut kenne, konnte ich noch tiefer eintauchen. Mittlerweile gibt es auch mehr Material, Interviews und Aussagen von Sondheim selbst, die spannende neue Perspektiven eröffnen.“

Ein Märchen, aber kein Kinderspiel
Dass „Into the Woods“ trotz seiner bekannten Märchenfiguren kein leichtes Musical ist, erfahren auch die 18 Studierenden auf der Bühne. Neben den Musical-Studierenden stehen diesmal auch Sängerinnen und Sänger aus der Klassik- und Pop-Abteilung auf der Bühne – ein bewusst offenes Konzept. „Wir haben das ausgeschrieben, wer wollte, durfte sich bewerben. Am Ende hat es wunderbar gepasst“, erzählt der Regisseur. Besonders überrascht habe ihn, wie stark sich die Klassik-Studierenden im Tanzbereich zeigen: „Im Tanz sind sie großartig, was ich gar nicht so erwartet hatte.“
Musikalisch verlangt das Werk Präzision, Sprachwitz und schnelles Denken. „Sondheim schreibt keine elegischen Arien, sondern hochpräzise, handlungsgetriebene Songs, in denen Erkenntnisprozesse stattfinden“, so Wienhausen. „Das war für manche eine neue Erfahrung.“
Zusammenarbeit über Genregrenzen hinweg
Unterstützung bekam Sascha Wienhausen von Andrew Chadwick, der die Choreografie verantwortet. Kennen gelernt hatten sich die beiden über eine ehemalige Studentin: „Ich sah ihn auf der Freilichtbühne in Tecklenburg, wir kamen ins Gespräch.“

Das erwies sich als Glücksgriff. Chadwick bringe nicht nur Bewegung, sondern auch dramaturgische Tiefe ein: „Er choreografiert nicht nur, er ergänzt die Regie wunderbar. Es war eine sehr inspirierende Zusammenarbeit.“ Der Brite bleibt der Hochschule übrigens erhalten – im kommenden Semester wird er Jazz-Tanz unterrichten.
Nachhaltigkeit beim Bühnenbild – und Wiedersehen mit einer Kuh
Beim Bühnenbild spielt Nachhaltigkeit eine Rolle: Gemeinsam mit Alexander Kubica entwarf Sascha Wienhausen das szenische Konzept, die Kostüme stammen von ihm selbst. „Wir haben vieles nachhaltig zusammengestellt. Die Bäume stammen etwa vom Theater Osnabrück aus ‚Luisa Miller‘. Die haben wir umgestaltet, so dass ein ganz neues Bühnenbild daraus entstanden ist.“
Und dann ist da noch die Kuh Milchweiß, ein stiller Star aus Wienhausens erster „Into the Woods“-Inszenierung. „Sie hat tatsächlich überlebt“, lacht der Sondheim-Fan. „Sie hatte zwar ein Ohr verloren, aber das hat Janina Steinbach, unsere Darstellerin der Hexe, liebevoll nachmodelliert. Jetzt hat sie wieder zwei Ohren – und darf endlich wieder auf die Bühne.“

Sondheim zwischen Märchen und Menschlichkeit
Für Sascha Wienhausen ist „Into the Woods“ ein Meisterwerk – musikalisch, psychologisch und philosophisch. „Sondheim verwebt hier Märchen mit existenziellen Fragen: Wie funktioniert Erziehung? Welche Verantwortung tragen wir füreinander? Und was passiert, wenn Wünsche wahr werden?“
Besonders fasziniert ihn die Vielschichtigkeit des Stücks. „Es bietet viele Deutungsebenen – man kann es als unterhaltsamen Abend genießen oder als tiefenpsychologische Parabel.“ Der Erzähler fungiere fast als Psychologenfigur, die das Geschehen reflektiere. „Sondheim greift den Geist seiner Zeit auf, die Hochzeit der Psychologie, und verbindet ihn mit uralten Märchenmotiven. Dadurch entsteht etwas Zeitloses.“
Dass er mit seiner Neuinszenierung eine neue Generation von Darstellerinnen und Darstellern an dieses Werk heranführt, ist für Sascha Wienhausen ein besonderes Anliegen – und ein persönlicher Kreis, der sich schließt. „Es geht in diesem Stück letztlich um die Frage: Wie leben wir miteinander? Wo wollen wir als Menschen eigentlich hin? Diese Momente berühren mich jedes Mal aufs Neue.“
Text: Dominik Lapp
