„Into the Woods“ in Osnabrück (Foto: Dominik Lapp)
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Von bezaubernder Ästhetik: „Into the Woods“ in Osnabrück

„Into the Woods“ von Stephen Sondheim (Musik und Songtexte) und James Lapine (Buch) ist kein Musical der einfachen Antworten. Das 1987 uraufgeführte Stück spinnt verschiedene Märchenstränge zusammen, nur um deren heile Oberflächen schon bald aufzubrechen und in Abgründe blicken zu lassen. Am Institut für Musik (IfM) der Hochschule Osnabrück, wo die diesjährigen Absolventinnen und Absolventen ihre Abschlussproduktion präsentieren, entfaltet sich nun ein Abend, der sowohl durch kluge Regie als auch durch hohe musikalische und darstellerische Qualität überzeugt.

Regisseur Sascha Wienhausen, der das Werk schon einmal 2009 in Osnabrück inszeniert hat, führt seine Figuren präzise und mit Gespür für Tempo durch das Geflecht von Geschichten. Die Szenen sind lebendig gebaut, und selbst dort, wo das Buch in seiner verschlungenen Struktur Längen vorgibt, bleibt die Spannung erhalten. Die grandiose Choreografie von Andrew Chadwick ergänzt das szenische Konzept mit geschicktem Blick für Rhythmus und Dynamik. Ob tänzerische Miniaturen oder kraftvolle Ensembleszenen – die Bewegungen wirken nie aufgesetzt, sondern verweben sich organisch mit dem Erzählfluss.

Großen Anteil am Schauwert dieser Produktion haben die fantasievollen Kostüme, die Wienhausen selbst zusammengestellt hat, sowie das atmosphärische Bühnenbild von Alexander Kubica. Auf der Bühne stehen steinerne Säulen, eine Bretterwand, die mal als Rapunzels Turm und mal als Haus von Rotkäppchens Großmutter dient, sowie einige kahle Bäume, die zuvor bereits in der Verdi-Oper „Luisa Miller“ am Theater Osnabrück zum Einsatz kamen. In Kombination mit dem gezielt eingesetzten wabernden Bodennebel und dem stimmigen Lichtdesign (Johnny Ossowitzki, Sascha Wienhausen) entsteht eine geheimnisvolle Waldlandschaft mit zauberhaft verwunschenem Märchensetting.

„Into the Woods“ in Osnabrück (Foto: Dominik Lapp)

Sondheims Musik ist eine Herausforderung für jedes Ensemble – verschachtelte Rhythmen, unerwartete harmonische Wendungen, eine Sprache, die eher das teils wirre Geschehen vorantreibt, als gefällige Melodien auszusingen. Einzelne Passagen erinnern an den düsteren Tonfall von „Sweeney Todd“, doch das Werk lebt vor allem von seiner klanglichen Vielseitigkeit, die zwischen ironischem Märchenzauber und existenzieller Schwere changiert. Unter der Leitung von Christopher Wasmuth spielt das 24-köpfige Orchester des IfM präzise und nuancenreich, die Einstudierung der Sängerinnen und Sänger durch Martin Wessels-Behrens zahlt sich in klarer Textverständlichkeit und sicherem Ensembleklang aus.

Das junge Ensemble trägt den Abend mit bemerkenswerter Geschlossenheit. Jonas Blahowetz als Erzähler führt souverän und pointiert durch die Handlung. Clara Schönberner verleiht ihrem Aschenputtel lyrische Zartheit, während Philipp Faustmann als Hans mit jugendlichem Ungestüm glänzt. Seine Mutter wird von Frida Flohr überzeugend gespielt, während Leo Taubert und Djamila Al-Slaiman als Bäckerpaar mit feinem Zusammenspiel und sängerischer Klarheit positiv in Erinnerung bleiben.

Das familiäre Umfeld Aschenputtels bringt gleich mehrere Farbtupfer: Anina Batz gibt der Stiefmutter die richtige Mischung aus Strenge und Bosheit, Nike Juste und Solveigh Rügamer als Stiefschwestern haben szenisch eine herrlich groteske Präsenz, Tim Herde gestaltet den etwas hilflosen Vater mit sensibler Zurückhaltung. Francesca Mai ist ein quirliges Rotkäppchen, während Maike Weber als Aschenputtels Mutter, Großmutter und Riesin mit Wandelbarkeit punktet. Rinus Render setzt als Wolf auf geschmeidige Bedrohlichkeit.

„Into the Woods“ in Osnabrück (Foto: Dominik Lapp)

Die weiteren Märchenfiguren sind ebenso prägnant besetzt: Johanna Lewitz bringt Rapunzel eine anrührende Verletzlichkeit, auch Lukas Sima Löbner als Rapunzels Prinz ist sehr gut besetzt. Christoph Gründinger trumpft als Aschenputtels untreuer Prinz mit Charme und Selbstironie auf, Valentin Thunig setzt als Kammerdiener pointierte Akzente.

Der Höhepunkt des Abends aber ist Janina Steinbach als Hexe. Sie verbindet vokale Kraft mit einer darstellerischen Intensität, die in jedem Moment fesselt. Mit Mimik, Gestik und einem sicheren Gespür für Sondheims ambivalente Figurenzeichnung gelingt ihr ein Porträt, das gleichermaßen dämonisch, verletzlich und menschlich wirkt.

Am Ende dieser verschlungenen Reise durch den Märchenwald bleibt der Eindruck einer Abschlussproduktion von bezaubernder Ästhetik, die weit über studentisches Theater hinausgeht. Das Osnabrücker Publikum erlebt eine Aufführung, die klug durchdacht, musikalisch hochwertig umgesetzt und mit Leidenschaft gespielt ist. „Into the Woods“ erweist sich dabei als ideales Prüfungsstück – komplex, fordernd und voller Möglichkeiten, sich als Ensemble wie einzeln zu zeigen. Die Studierenden des IfM nutzen diese Chance auf eindrucksvolle Weise.

Text: Dominik Lapp

„Into the Woods“ in Osnabrück (Foto: Dominik Lapp)
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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".