
Haarige Angelegenheiten: Von Eigenhaar, teuren und billigen Perücken auf der Musicalbühne
In der Oper ging der Trend schon vor Jahren in Richtung Natürlichkeit: Immer häufiger wird mit dem eigenen Haar der Sängerinnen und Sänger gearbeitet, Perücken sind häufig aus dem Repertoire verschwunden. Das wirkt modern und authentisch. Ganz anders sieht es im Musical aus. Hier gehören Perücken nach wie vor zur Standardausstattung – selbst bei modernen Stücken. Wenn es die Show erfordert, soll natürlich nicht auf barocke Puderlocken verzichtet werden. Aber warum setzt man selbst bei Stücken wie „Footloose“, „Frühlings Erwachen“ oder „Mamma Mia!“ auf Perücken?
Vertraglich nur mit Perücke
„Wenn du jeden Tag frisiert, geglättet, gelockt oder gestylt wirst, gehen deine eigenen Haare einfach kaputt“, sagt eine erfahrene Musicaldarstellerin, die anonym bleiben möchte, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Ich habe selbst die Erfahrung gemacht und inzwischen sogar vertraglich festgehalten, dass ich nur mit Perücke spiele – aus Selbstschutz.“ Eine Perücke kann also nicht nur einen ästhetischen, sondern auch einen ganz praktischen Grund haben. „Der Hauptgrund, warum heutzutage so gerne ohne Perücken gespielt wird, ist schlicht und einfach: Sie sind ein enormer Kostenfaktor“, erklärt die Darstellerin. „Billige Perücken sehen unnatürlich aus, und hochwertige, natürlich wirkende Perücken sind extrem teuer.“
Tatsächlich sind handgeknüpfte Echthaarperücken nicht nur aufwändig und teuer in der Herstellung, sondern auch in der Pflege – doch sie bieten den einzigen zuverlässigen Schutz vor den Strapazen, denen das Haar bei einem Musicaleinsatz ausgesetzt ist. Denn Musical ist Hochleistungssport. Bis zu acht Shows pro Woche, über Monate hinweg – und das nicht im statischen Gesang wie in der Oper, sondern mit intensiver körperlicher Bewegung, Tanz, Schweiß und permanenter Wiederholung. Das alles macht das eigene Haar der Darstellerinnen und Darsteller zur Verschleißware.
Dass Perücken eine Investition sind, lässt sich besonders eindrucksvoll an großen Ensuite-Produktionen beobachten. „Wenn man sich lizenzierte Produktionen wie ‚Wicked‘ oder ‚Tanz der Vampire‘ ansieht, erkennt man sofort: Da wurde viel Geld in gutes Perückendesign investiert“, sagt die Musicaldarstellerin. Heute sei dagegen oft zu beobachten, dass Produktionen versuchen, genau diesen Kostenpunkt einzusparen.
Verantwortung wird abgewälzt
Die Folgen treffen vor allem das Ensemble. „Stattdessen wird die Verantwortung an die Darstellerinnen und Darsteller weitergegeben. Sie müssen ihre eigenen Haare hergeben – Tag für Tag, Woche für Woche.“ Nicht selten bleibe das Haar auf der Strecke, wie ein drastisches Beispiel zeigt: „Bei einer Produktion haben die männlichen Darsteller mit ihren eigenen Haaren gespielt. Täglich wurden ihnen Röllchen reingebrannt, damit sie die passende Frisur für die Show hatten. Das Ergebnis? Nach wenigen Monaten mussten sich viele die Haare komplett abrasieren, weil sie völlig zerstört waren.“

Dabei geht es nicht nur um Ästhetik oder Wohlbefinden. Die Arbeit mit dem Eigenhaar wirft auch Fragen der Identität auf. „Viele Musicalschaffende müssen privat so aussehen wie ihre Bühnenfigur – zumindest was Frisur und Haarfarbe betrifft. Das führt dazu, dass man sich selbst irgendwann gar nicht mehr wiedererkennt. Die Identifikation mit sich selbst geht verloren, weil man immer nur die Rolle trägt, auch außerhalb der Bühne.“
All das geschieht vor dem Hintergrund eines oft falschen Bildes: „Es gibt das Vorurteil, weil wir auf der Bühne stehen, wären wir alle reich. Völliger Unsinn. Wir verdienen in der Regel nicht mehr als Menschen mit einem ganz normalen Job.“ Und für diesen Lohn, so die Darstellerin, könne man schlicht nicht erwarten, dass sie dauerhaft ihre Gesundheit und ihr Aussehen opfere.
In gute Perücken muss man investieren (wollen)
In der Oper, wo Sängerinnen und Sänger oft nur wenige Male im Monat auf der Bühne stehen und deutlich weniger körperlich gefordert sind, mag das Spiel mit dem Naturhaar praktikabel sein. Im Musical sieht das anders aus. „Acht Shows pro Woche mit vollem Körpereinsatz erfordern einfach andere Lösungen als Auftritte mit wenig Bewegung“, sagt die Darstellerin, die seit vielen Jahren im Geschäft ist. „Gerade bei Tanzmusicals sind die Frisuren der Mädels nach einer Nummer hinüber. Man müsste sie zwischen den Szenen ständig neu frisieren, würden sie mit ihrem eigenen Haar spielen. Das ist nicht praktikabel.“ Deshalb seien Perücken die bessere Wahl – für das Wohlbefinden der Künstlerinnen und Künstler, aber auch für die Ästhetik der Show.
Weil die Perücken jedoch so teuer sind, setzen einige Produzenten, zum Beispiel bei Tourproduktionen, auf qualitativ minderwertigere Modelle. Das sieht dann weder schön noch authentisch aus, sondern einfach nur: billig.
Eine professionelle Maskengestaltung benötigt den Mut zur Investition. „Natürlich wirken billige Perücken für das Publikum oft störend auf der Bühne – das verstehe ich“, sagt die Darstellerin. „Aber gute Perücken würden das Problem lösen. Sie kosten eben Geld, das viele Produktionen nicht investieren wollen.“ Ein starker Auftritt beginnt eben nicht erst auf der Bühne – sondern davor, in der Maske.
Text: Dominik Lapp