„Tarzan“ (Foto: Johan Persson)
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Dschungel auf Sparflamme: „Tarzan“ in Stuttgart

Es war von Stage Entertainment als „das Comeback des Jahres“ angekündigt. 2018 hat sich das Disney-Musical „Tarzan“ aus Deutschland verabschiedet, nachdem es zuvor zehn Jahre lang an wechselnden Spielorten in Hamburg, Stuttgart und Oberhausen zu sehen war. Nun ist der nur mit einem Lendenschurz bekleidete Titelheld zurück, um sich im Palladium Theater Stuttgart von Liane zu Liane durch den Dschungel zu schwingen.

Phil Collins lieferte bereits die Musik zum 1999 erschienenen gleichnamigen Disney-Film. Diese ergänzte er um weitere Lieder, die im Musical die Figuren bedienen, während David Henry Hwang das Buch dazu schrieb, das von Frank Lenart ins Deutsche übersetzt wurde. „Tarzan“ liefert neben der bekannten Ballade „Dir gehört mein Herz (You‘ll be in my Heart“) vor allem flotte Rhythmen mit einer ordentlichen Portion Dschungel-Percussion, also den charakteristischen Trommelklängen.

Immer häufiger wollen Long-Run-Musicals neben dem Bühnenstück als solches auch ein immersives Gesamterlebnis bieten und das Publikum mit dem Betreten des Theatersaals vollständig in eine neue Welt eintauchen lassen. Die passend eingespielte Geräuschkulisse, projizierte Logbuch-Einträge der Expeditionsgruppe an den Seiten des Auditoriums und ein sich bis weit darin hineinziehendes Dschungelgrün, das von Affen bespielt wird, sollen dies bewirken.

„Tarzan“ (Foto: Johan Persson)

In der wahrhaft spektakulären Eröffnungsnummer „Zwei Welten“ wird man in gut fünf Minuten inhaltlich in die Geschichte eingeführt. Man erleidet Schiffbruch mit einer jungen Familie, welche sich mit letzter Kraft ans Ufer der afrikanischen Küste retten kann und dort mitten im Dschungel eine Baumhütte erbaut. Die Erwachsenen fallen als Beute einem Leoparden zum Opfer, genauso wie auch das Junge der Affenmutter Kala. Diese hört die Schreie des Menschenbabys, rettet es und entschließt sich dafür, als Mutter für das Menschenkind da zu sein und es in der Sippe der Gorillas aufzuziehen – sehr zum Missfallen des Gorillaanführers Kerchak.

Nach diesem temporeichen Auftakt wirkt es fast ein bisschen so, als sei das Pulver der Bühnentechnik verschossen. Die Bühnenseiten rundherum stellen das immerwährende Grün des Dschungels dar und werden ergänzt durch eine rückwärtige Leinwand, welche durch entsprechende Licht- und Videoprojektionen die jeweiligen Wetterstimmungen wiedergibt. Manche Projektionen und auch der geschickte Einsatz von Schwarzlicht, welche Bühne und die farbenprächtigen Kostüme der Pflanzenwelt plötzlich aufleuchten lassen, sorgen für sehenswerte Effekte, die vor allem in den hinteren Zuschauerreihen gut wirken. Manche Lichtszene wirkt dahingehend zu künstlich aufgesetzt, beispielsweise wenn die gesamte Bühne in einem satten Rosarot während eines Leopardenkampfes erscheint. Das Bühnenbild lässt auch bei einigen Szenen etwas die Tiefe eines satten grünen Dschungeldickichts vermissen, und leider sind auch die sich immer bewegenden Lianen, die das Bühnenbild der deutschen Erstaufführung in Hamburg darstellten, endgültig Geschichte.

Das Ensemble, das überwiegend die Gorilla-Sippe darstellt und zwischenzeitlich nur noch aus zwölf Personen besteht, bespielt die Bühne und tummelt sich auch über den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal. Dafür hat das Ensemble monatelang trainiert, sich wie Affen auf den Fingerknöcheln sowie mit speziellem Hüftgang zu bewegen und an Seilen zu fliegen. Die Flugszenen erfordern enorme Sicherheitsvorkehrungen und ein hohes Maß an körperlicher Präzision, was jedoch nach wie vor für ein beeindruckendes Gesamterlebnis sorgt.

„Tarzan“ (Foto: Johan Persson)

Während der kleine Tarzan, bei der Premiere großartig von Kinderdarsteller Tino gemeistert, inmitten der Affen-Sippe heranwächst, wird er von seiner Affenmutter Kala, die von Sidonie Smith außerordentlich gefühlvoll dargestellt wird, behütet. Sie macht die Vielzahl an Emotionen, die sie ob ihres Ziehsohns im Verlauf des Stückes durchlebt, fast greifbar. Ebenfalls harmoniert sie selbstbewusst mit Daniel Rákász, der als Silberrücken Kerchak eine beeindruckende optische Erscheinung gibt, welcher er ebenso stimmlich Nachdruck verleiht.

Elindo Avastia spielt Tarzans Affenkumpel Terk und dürfte sich mit dem Schalk im Nacken und großer Spielfreude zu Stuttgart neuestem Lieblingsäffle mausern, der jeden Ton auch kopfüber und egal in welcher Position am Seil absolut sicher trifft. Terence van der Loo ist der neue und rein optisch äußerst ansprechende Tarzan. Das mag auch an seiner neuen Perücke liegen, die nun deutlich gepflegter wirkt als die verfilzte Mähne der Vorproduktionen. Leider gelingt es van der Loo nicht, das passende Gesamtpaket auch durch seine Stimme zu vermitteln, da diese vor allem in den höheren Lagen dünn und kraftlos wirkt. Er schafft es nicht, ein ansprechendes Gleichgewicht zu Vajèn van den Bosch als Jane zu setzen. Diese beweist Talent zum komödiantischen Timing – die stetig plappernde englische Professorentochter, die eine Expedition in den Urwald führt, nimmt man ihr ohne Zweifel ab.

Geradezu hingebungsvoll besingt Jane die Fauna und Flora des Urwaldes, in dem sie auch auf Tarzan trifft. Das gegenseitige Interesse wächst spürbar, während sich die beiden ihre jeweiligen Lebenswelten näherbringen. Jane bezwingt die Expedition gemeinsam mit Clayton. In dieser Rolle könnte Ludo van der Winkel als machohafter Gorillajäger dem Fiesling des Stücks noch etwas mehr Präsenz verleihen. Wer jedoch gar nicht mehr präsent ist: Professor Porter, Janes Vater. Die Rolle wurde gestrichen und kommt, abgesehen von gelegentlichen Anspielungen auf seine wissenschaftlichen Verdienste, nicht mehr vor.

„Tarzan“ (Foto: Nathalie Kroj)

Mühsam kann man nun interpretieren, dass das Rollenbild von Jane als selbstbewusste unabhängige Frau gestärkt wurde, aber der einzige triftige Grund für den Wegfall der Rolle dürfte die finanzielle Ersparnis der Gagen für Erst- und Zweibesetzung gewesen sein. Die dadurch veränderte Schlussszene, in der Jane nun in Gedanken mit ihrem verstorbenen Vater spricht und mit sich selbst abwägt, ob sie mit dem Schiff zurück nach London fährt oder bei Tarzan bleibt, erscheint nun überhastet und frei von Emotionen.

Schade, dass sich der eigentliche Qualitätsgarant Disney darauf eingelassen hat, eine äußerst liebenswerte Figur des Films und des Musicals mitsamt dem Lied „Wie kein Mann auf dieser Welt“ zu streichen. Neben den bei Stage Entertainment traurigen wie mittlerweile üblichen Einsparungen bei Bühnenausstattung und Orchester ist nun eine neue Stufe des Sparkurses erreicht.

Das Musical „Tarzan“ bietet weiterhin ein aufwändiges und spektakuläres Bühnenerlebnis, das nicht auf jeder Bühne einfach umzusetzen ist. Allerdings bleibt auch ein bitterer Nachgeschmack, da einige Szenen durch die Sparversion deutlich unter ihrem Potenzial bleiben, beispielsweise wenn Jane nicht mehr in einem gigantischen Spinnennetz hängen bleibt, sondern in den klebrigen Armen einer fleischfressenden Pflanze, die recht spärlich in der Bühnenmitte baumelt.

Text: Nathalie Kroj

Nathalie Kroj sammelte Erfahrungen bei thatsMusical und Musical1, bevor sie als Autorin zu kulturfeder.de kam, um hier ihre Leidenschaft für Musicals mit dem Schreiben zu verbinden.