„Tarzan“ (Foto: Jan Potente)
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Magie des Fliegens: Hinter den Kulissen von „Tarzan“ in Stuttgart

Das Disney-Musical „Tarzan“ ist bekannt für seine spektakulären Flugsequenzen. Eine dieser ikonischen und äußerst beeindruckenden Szenen zeigt den Titelhelden, wie er sich meterhoch durch den Saal schwingt. Zu sehen ist das wieder ab 16. November 2023 im Stuttgarter Palladium Theater, wo zurzeit die Bühnentechnik eingerichtet wird und die Proben auf Hochtouren laufen.

Für die Produktion hat Pichón Baldinu spezielle Fluggurte entwickelt, die in Argentinien produziert werden und individuell auf die Darstellerinnen und Darsteller zugeschnitten sind. Alle Ensemblemitglieder um den Tarzan-Darsteller Terence van der Loo können sich damit frei in der Luft bewegen und um 360 Grad drehen. Baldinu erzählt: „Meine Vision war es, einen Flugmechanismus zu entwickeln, der es ermöglicht, sich auf natürliche Weise in der Luft zu bewegen. Mir ging es immer um Charisma, Ausdruck und Emotion. Die Herausforderung bestand darin, die Dynamik und Gesten in die Luft zu übertragen.“ Das gehe über reine Akrobatik hinaus, da es schauspielerischer und choreografischer Ausdruck der jeweiligen Rolle sei.

Viel Aufwand hinter Flugmechanismen und Technik

Um sicherzustellen, dass jeder Flug nicht nur spektakulär aussieht, sondern auch sicher und realistisch wirkt, arbeitet das Technikpersonal monatelang eng mit dem Choreografie-Team zusammen. Wie viel Aufwand hinter den Flugmechanismen und der Technik steckt, erklärt Technical Supervisor Clemens Weissenburger: „Wir haben ‚Tarzan‘ bereits 2016 in Stuttgart aufgeführt. Seitdem hat sich die Produktion und die Technik, also Maschinen wie Software, weiterentwickelt. Die Automatisierung ist komplexer geworden, während der maschinelle Teil einfacher wurde. Zum Beispiel werden die Flugwerke, die früher Seilzüge verwendeten, heutzutage vor allem von Software gesteuert.“ Derzeit befinde man sich im Prozess des Technikchecks. „Das bedeutet, dass wir die gesamte Technik, das Flugwerk und die dazugehörigen Komponenten wie Bungees, Seile und Schienen in Betrieb nehmen, testen und programmieren“, so Weissenburger.

„Tarzan“ (Foto: Jan Potente)

Bis alle Flüge und Abläufe perfektioniert sind, verstreichen mehrere Wochen. Während der Flugszenen werden Bergsteigerseile verwendet, die etwas dicker als gewöhnliche Seile sind. Diese sind ein sichtbarer Teil der Inszenierung und repräsentieren die Lianen, an denen sich Tarzan und die Affen durch den Dschungel bewegen. Weissenburger betont: „Was besonders beeindruckend ist, ist die Tatsache, dass wir während eines Flugs sechs Meter pro Sekunde mit einem Seil zurücklegen können. Das ist wirklich extrem!“

Videowand für 3D-Animationen

Aber nicht nur die Flugtechnik macht das Musical aus dem Hause Disney so einzigartig. „Das Stück begeistert das Publikum, weil es die Zuschauerinnen und Zuschauer in die Handlung integriert. Um diesen einzigartigen Effekt auch im Jahr 2023 zu erreichen, haben wir das Bühnenbild vollständig überarbeitet“, erklärt der Technical Supervisor. So befinde sich jetzt hinter dem statischen Bühnenbild eine 16 Meter breite und 10 Meter hohe Videowand, die durch die Kulissen scheint. „Mit dieser Videowand können wir verschiedene Lichtverhältnisse und Atmosphären erzeugen sowie verschiedene Räume und Orte kreieren, die wie eine 3D-Animation wirken und das Publikum direkt in den Dschungel hineinziehen.“

„Tarzan“ (Foto: Jan Potente)

Tarzan legt 231 Meter in der Luft zurück

Der Stage Manager gibt während der Vorstellung rund 300 Einsätze, die man als Cues bezeichnet, um so insgesamt 2.000 Einzelbewegungen zu steuern. Das muss so schnell geschehen, dass es teilweise nur über Lichtimpulse auf einer Lichtzeichenanlage weitergegeben werden kann. Beeindruckend ist auch die Strecke, die der Tarzan-Darsteller fliegend zurücklegt: Entlang eines etwa 30 Meter langen Flugwerks im Saal ist der Titelheld 231 Meter in der Luft unterwegs. Bei diesen Flugszenen, für die mehr als 7.000 Meter Seil benötigt wird, überwinden Tarzan und die Affen Höhenunterschiede von bis zu 17 Metern.

Insgesamt gibt es im Bühnenbereich 18 so genannte Drop Points, wie man die Abflugpunkte nennt, von denen die Darstellerinnen und Darsteller springen, um sich an ihren Seilen über die Bühne zu schwingen. Zwei weitere Drop Points sind im Zuschauerraum über den Köpfen des Publikums eingerichtet worden. Eine Besonderheit gibt es außerdem: Weil viele der Mitwirkenden barfuß spielen und sich auf den Knien fortbewegen, ist der Bühnenboden komplett mit Schaumstoff und Teppich gepolstert.

Text: Christoph Doerner

Nach seinem Studium der Musiktheaterwissenschaft, einem Volontariat sowie mehreren journalistischen Stationen im In- und Ausland, ist Christoph Doerner seit einigen Jahren als freier Journalist, Texter und Berater tätig.