„Tarzan“ in Hamburg (Foto: Katharina Karsunke)
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Fulminante Rückkehr: „Tarzan“ in Hamburg

Rund 17 Jahre ist es her, dass sich Tarzan erstmalig in der Neuen Flora Hamburg von Liane zu Liane schwang. Bis 2013 blieb das Musical (Musik: Phil Collins, Buch: David Henry Hwang, deutsche Übersetzung: Frank Lenart, Ruth Deny) dem Norden erhalten und ebnete den Berufsweg für viele mittlerweile renommierte Darstellerinnen und Darsteller. Nach weiteren Stationen in Oberhausen und Stuttgart hat man den Dschungelhelden jetzt nach Hamburg zurückgebracht, wo die Inszenierung von Bob Crowley durch Marcel Landgebe neu einstudiert wurde.

Ein Teil der Stuttgarter Cast ist dem Ruf des Dschungels nach Hamburg gefolgt; mit ihnen komplettieren neue, frische Gesichter das Ensemble. Philipp Büttner hat das große Glück, die Titelrolle zu übernehmen und in berühmte Fußstapfen zu treten. Mit Bob van der Weijdeven wird er sich die Rolle teilen, aufgrund seines parallelen Engagements als Danny in „Grease“ an der Oper Dortmund. Als kleines Schmankerl setzt man hier zudem auf Alexander Klaws, der sich von 2010 bis 2013 dank dieser Rolle im Musicalbusiness mehr als erfolgreich etablierte und auch jetzt wieder einige Shows übernehmen wird – wie auch am Abend der besuchten Medienpremiere. Bewundernswerterweise muss man ehrlich sagen: Es ist, als wäre keine Zeit vergangen. Klaws ist dieser vor allem körperlich sehr herausfordernden Rolle weiterhin stets gewachsen und füllt den Charakter mit allen Facetten bis ins kleinste Detail aus. Viel mehr: Er spielt Tarzan nicht, er lebt ihn. Gesanglich sicher, schauspielerisch authentisch und mitfühlend, technisch versiert in allen Bewegungen, gelingt ihm der Spagat zwischen den zwei Welten perfekt – getrieben von erwartungsvoller Neugier, tiefgehender Liebe und innerer Zerrissenheit. Jubel und Zwischenapplaus zeigen, dass auch das Publikum von Klaws‘ Titelhelden noch nicht genug hat – im Gegenteil. Unbedingt erwähnt werden muss an dieser Stelle der kleine Tarzan, an diesem Abend dargestellt von Ivo, der sicherlich nicht zum ersten Mal auf der großen Bühne steht und mit seinem authentischen Spiel und seiner hellen, schönen Stimme zu begeistern und vor allem zu berühren weiß.

Die neue Jane an Tarzans Seite ist keine Unbekannte in Hamburg: Abla Alaoui, bis vor kurzem noch mit großem Erfolg an der Seite von Willemijn Verkaik als Anna in „Die Eiskönigin“, ist für die junge, quirlige Forscherin nahezu eine Idealbesetzung. Ununterbrochen plappernd, neugierig, mit großen, wissbegierigen Augen, weiß sich ihre Jane für die atemberaubende Tierwelt und die zerbrechliche Schönheit der Natur zu begeistern. Nachdem bereits in der vergangenen Stuttgarter Version Janes Vater, Mr. Porter, aus dem Buch gestrichen wurde, erlebt man auch in Hamburg eine emanzipierte, mutige, entschlossene junge Frau, die sich Ende des 19. Jahrhunderts nicht damit abfindet, an der Seite eines Mannes durchs Leben zu gehen, sondern dieses am eigenen Leibe, mit allen eigenen Sinnen, zu erfahren sucht. Besonders hervorzuheben ist hier Alaouis erster Auftritt mit der Nummer „Auf diesen Tag hab‘ ich gewartet“, die aufgrund der farblichen Schönheit aller Pflanzen ein wahrlich ein Hingucker ist. Auch harmonieren Alaoui und Klaws mit ihren Stimmfarben erstaunlich gut, was sich besonders im gemeinsamen Duett „Auf einmal“ zeigt – als hätten die beiden schon vor 17 Jahren die Bühne miteinander geteilt.

„Tarzan“ in Hamburg (Foto: Katharina Karsunke)

Mit großem Herz und fantastischer Präsenz gelingt es Cast-Neuling Kerry Jean als Affenmutter Kala für Söhnchen Tarzan da zu sein und ihre Sippe beisammenzuhalten. Ihre Darstellung zeugt von tiefgehender Empathie und Einfühlungsvermögen; die warme Klangfarbe ihrer Stimme lässt zudem besonders aufhorchen. Auch demonstriert sie ihrem Mann Kerchak (Dániel Rákász), Oberboss der Affenfamilie, mehr als einmal, wo der Hammer hängt. Rákász, ebenfalls von Stuttgart nach Hamburg umgezogen, gelingt ein autoritärer, starker, kämpferischer Familienanführer, dessen Fassade allerdings immer wieder bröckelt und eine innere Zerrissenheit und letztendlich sein Herz am rechten Fleck zum Vorschein bringt. Der Song „Wie Sonne und Mond“ lädt zum Schmunzeln ein, als Kala ihrem Mann die Termiten aus dem struppigen Fell pflückt und Kerchak wie ein kleines, geläutertes Kind neben ihr sitzt.

Den Hamburger Zuschauern ebenfalls kein Unbekannter ist Elindo Avastia als Tarzans bester Freund Terk, der ihm mit Rat und Tat, aber auch mit der ein oder anderen unüberlegten Idee zur Seite steht. Avastia weiß in dieser Rolle definitiv zu begeistern und avanciert schnell zum Publikumsliebling des Abends, als er schmollend in der großen roten Pflanze sitzt oder bei „Krach im Lager“ mit den anderen Gorillas neugierig die Utensilien der Forschenden auseinandernimmt. Auch immer wieder äußerst bewundernswert, wie es ihm gelingt, kopfüber, von der Decke baumelnd, stimmlich stark und eindrucksvoll, zu singen. Luciano Mercoli ist der Bösewicht der Riege – als Expeditionsführer Clayton buhlt er um Janes Gunst – und überschreitet hierbei auf der Suche nach den Gorillas jede erdenkliche Grenze. Leider eine Rolle, die immer ein wenig zu klein scheint – und doch gelingt es Mercoli, sie bestens auszufüllen, mit der nötigen Prise fiesem Humor, List und Hinterhältigkeit.

Die Musik aus der Feder von Phil Collins ist nach wie vor zeitlos, poppig und dürfte nach Ende der Show mit Sicherheit noch einige Momente im Ohr verbleiben. Berühmte Songs wie „Dir gehört mein Herz“, „Zwei Welten“ oder „Fremde wie ich“ machen Tarzan praktisch unsterblich und werden mittlerweile von mehreren Generationen geliebt und gefeiert. Das doch sehr kleine Orchester, bestehend aus sieben Personen, versteht es unter der Leitung von Hannes Schauz, mit allen vorhandenen Mitteln die Inszenierung fantastisch und punktgenau zu vertonen und allzeit für die richtige Untermalung in jeglicher Szenerie zu sorgen.

„Tarzan“ in Hamburg (Foto: Katharina Karsunke)

Eine Szenerie, für die mehrere hundert Arbeitsstunden benötigt wurden, um das Stück und sein Interieur in Hamburg neu aufzubauen. Auch das stets schlichte, aber passende Bühnenbild (Bob Crowley) hat sich zur damaligen Spielzeit gewandelt, wurde angepasst und schmiegt sich perfekt in das großzügige Auditorium der Neuen Flora ein; zudem wirkt es frischer, lichtdurchfluteter, moderner. Vor allem die riesigen grünen Grashalme und Lianen prägen das Bild, dazu der sattgrüne, weich gepolsterte Boden – ideal, um barfuß darauf zu singen und zu tanzen.  Besonders hervorzuheben sind der wunderbare Einsatz von Sound (John Shivers, David Patridge) und Licht (Natasha Katz), so dass die wenigen Kulissen immer wieder passend hervorgehoben und in Szene gesetzt werden. Der Mond im Hintergrund, die Lianen im Affennest, der Regen aus Glühwürmchen oder die großen Blüten und Schmetterlinge auf Janes Expeditionstour, als sie in der fleischfressenden Pflanze zu verschwinden droht.

Generell wirkt das ganze Stück keinesfalls wie aus der Mottenkiste hervorgeholt – im Gegenteil: Es ist kurzweilig, hat das passende Tempo und lässt das Publikum immer wieder zwischen all dem Spektakel genug Zeit, um Luft zu holen und zu genießen. Die Kostüme (Bob Crowley) sind angepasst und doch haben sie ihren Charme von damals nicht verloren und halten sich weiterhin eng an der Originalinszenierung. Lediglich die Dreadlocks von Tarzan (Hair Design: David Brian Brown) sind einer gewöhnlichen Haar-Perücke gewichen – so will man den Vorwurf der kulturellen Aneignung entkräften. Bereits seit 2020 gibt es dafür bei Veranstalter Stage Entertainment eine entsprechende Arbeitsgruppe.

Das Ensemble – egal ob als Affensippe oder als farbenprächtige Blüten und Tiere von der Decke herabschwebend, ist energiegeladen und äußerst motiviert, den Dschungel für das Publikum zum Leben zu erwecken.

So begeistert das Musical „Tarzan“ seit jeher mit überraschenden Momenten und sorgt nicht nur bei Kindern für große Augen: Mal weiß man im Publikum kaum, wohin man zuerst schauen soll, dann wiederum schweben Tarzan und Jane direkt über die eigenen Köpfe hinweg. Die Flugtechnik (Pichón Baldinu), Bühnenakrobatik (Rick Sordelet) und die Choreografie (Sergio Trujillo) haben auch nach all den Jahren nichts von ihrer Faszination eingebüßt und verloren. Dazu sorgen die magische, unterhaltsame und doch so berührende Geschichte mit all ihren Protagonistinnen und Protagonisten, sowie die wunderschöne Musik von Phil Collins dafür, dass Alltag und unsere ständige Erreichbarkeit heutzutage ganz weit weg und unwichtig erscheinen. Da bleibt nur eins: Handy aus – Disney-Magie an.

Text: Katharina Karsunke

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Katharina Karsunke ist Sozial- und Theaterpädagogin, hat jahrelang Theater gespielt, aber auch Kindertheaterstücke geschrieben und inszeniert. Ihre Liebe fürs Theater und ihre Leidenschaft fürs Schreiben kombiniert sie bei kulturfeder.de als Autorin.