Stimmgewaltig: „Porgy & Bess“ auf Tour
George Gershwin soll bekanntlich sehr großen Wert darauf gelegt haben, mit „Porgy & Bess“ kein Musical, sondern eine Oper geschaffen zu haben. Doch bewegt sich seine American Folk Opera stark stark an der Grenze zwischen Musical und Oper. Für die Oper sprechen insbesondere der klassische Gesang der Solisten und die durchkomponierte Partitur. Doch es gibt auch Ansätze, die sehr musicaltypisch sind, wie beim Tour-Gastspiel des New York Harlem Theatres in der Staatsoper Hamburg zu erkennen ist. So sieht man zum Beispiel das gesamte Ensemble in einigen Szenen tanzen, was für die Oper eher untypisch ist. Auch die Musik geht fließend von klassischen Klängen in Gospel, Swing und Jazz über. Für Musicalfreunde ist „Porgy & Bess“ deshalb vielleicht eine gute Möglichkeit, sich auch an das klassische Musiktheater heranzutasten.
Das Stück schildert das Leben der Afroamerikaner in der Schwarzensiedlung Catfish Row in Charleston um 1870. Im Mittelpunkt der Handlung steht der körperlich behinderte Porgy, der die schöne Bess bei sich aufnimmt, nachdem ihr Mann Crown einen Mord begangen hat und auf der Flucht ist. Im weiteren Verlauf der Handlung verlieben sich Porgy und Bess ineinander, doch Crown fordert seine Frau mit Gewalt zurück, zieht jedoch im Kampf mit Porgy letztendlich den Kürzeren.
Das Bühnenbild, in der die Story spielt, ist sehr detailliert und doch einfach gehalten. Es zeigt ein malerisches Fischerdorf mit Holzhäusern, die mit vielen Blumenkästen und Wäscheleinen ausgestattet sind. Durch das Aufklappen eines Hauses entsteht ganz schnell ein neuer Handlungsort wie eine Kirche oder ein Keller. Etwas Abwechslung in der Einheitskulisse gibt es zu Beginn des zweiten Akts, wenn sich die Dorfgemeinschaft in einem frisch-grünen Wald zum Picknick trifft. Das Lichtdesign unterstützt die Szenerie sehr gut, wobei hier vor allem die Farben Blau und Orange dominieren.
Ein Stück wie „Porgy & Bess“ steht und fällt mit seinen Hauptprotagonisten. Mit Kevin Short und Morenike Fadayomi hat Regisseurin Baayork Lee zwei Solisten besetzt, die schauspielerisch auf ganzer Linie überzeugen und auch den gesanglichen Anforderungen ihrer Rollen gerecht werden. Während Bassbariton Short seine Solopartien mit herrlich tief brummender Stimme gibt, bildet Fadayomi mit ihrem strahlenden Sopran das perfekte Gegenstück. Ihr stark interpretiertes “Summertime” berührt und ist ein Highlight des Abends.
Stimmlich überzeugend und schauspielerisch sehr Respekt einflößend zeigt sich zudem Stephen Finch als Crown. Auch das Schauspiel zwischen Finch und Fadayomi ist sehr eindringlich und findet in der in Zeitlupe dargestellten Vergewaltigung ihren unmoralischen Höhepunkt. Ebenso überzeugend ist Jermaine Smith, der eine ordentliche Stimme hat und auch tänzerische Qualitäten zeigt. Den Drogendealer Sportin’ Life gibt er als zwielichtiges Schlitzohr, das – trotz seines fiesen Charakters – sogar Sympathie zu erwecken vermag.
Wie viele Musiker im Orchestergraben sitzen, ist nicht ganz geklärt, doch laut Ankündigung des Veranstalters sollen es je nach Abend bis zu 50 Musiker sein – und danach klingt es auch: Gershwins Musik wird von dem riesigen Orchesterapparat voluminös und mit sattem Klang intoniert, eine gewaltige Welle musikalischer Brillanz schwappt aus dem Graben und erfüllt das Auditorium ganz wunderbar. Einzig in den Chornummern geht das Orchester manchmal ein wenig unter, weil es gegen das stimmgewaltige und für Gänsehaut sorgende Gesangsensemble kaum anspielen kann.
Eine Vorgabe von George Gershwin ist es, dass „Porgy & Bess“ nur von schwarzen Künstlern aufgeführt werden darf. Das dürfte also auch den Umstand erklären, warum das Stück in Europa recht selten gespielt wird. Doch diesen Klassiker des amerikanischen Musiktheaters in dieser eindrucksvollen Inszenierung mit diesem stimmstarken Ensemble sollte man auf keinen Fall verpassen.
Text: Dominik Lapp