„Master Class“ in Amsterdam (Foto: Katharina Karsunke)
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Herausragend intensiv: „Master Class“ in den Niederlanden

„Keinen Applaus, bitte. Wir sind hier, um zu arbeiten.“ Maria Callas, La Divina oder auch La Primadonna assoluta, ist ohne Zweifel eine der berühmtesten Opernkoryphäen des letzten Jahrhunderts. Sie inszenierte sich selbst gern als Diva, war an den Opernhäusern gleich geliebt wie gefürchtet, gilt heute sogar als Mythos – und dennoch gibt es nach ihrem frühen Tod mit Sicherheit nur noch wenige, die sie wirklich persönlich kannten. Voller Bewunderung, Ehrfurcht, aber auch aus starkem Interesse und Neugier heraus, widmete sich Terrence McNally 1995 ihrem Leben, ihrer Kunst und Leidenschaft und formte ihre legendären Unterrichtsstunden an der Juilliard School New York zu Beginn der 1970er Jahre zu seinem bekanntesten, preisgekrönten Werk „Master Class“. Auch in Deutschland unter dem Titel „Meisterklasse“ gern gespielt, fand das Stück – übersetzt von Allard Blom, Hans Lebouille und Saskia Pessy – jetzt mit einer namhaften Besetzung unter der Regie von Frank van Laecke den Weg auf die niederländische Tourbühne.

Doch wer war sie eigentlich, Maria Callas? Gibt man ihren Namen bei Google ein, findet man wahrlich viel. Eine Künstlerin mit unermesslicher Ehrfurcht vor der Kunst und Hingabe für die Musik, die alle anderen mit ihrer Disziplin, Leidenschaft, Ehrgeiz und Talent in den Schatten stellte. Eine Sängerin, die in der Opernwelt aufgrund ihres Stimmrepertoires neue Maßstäbe setzte und die Konkurrenz weit hinter sich ließ. Ein Charakter, der viel durchleben und ertragen musste und am Ende zerbrach. Ein Mensch, dessen früher Tod bis heute nicht recht geklärt ist – man sagt, sie starb an gebrochenem Herzen. Für viele ist sie jedoch unsterblich.

„Master Class“ (Foto: Annemieke van der Togt)

Terrence McNallys schwarze Komödie zeigt die mittlerweile gealterte Künstlerin in einer ihrer schwierigsten Lebensphasen: Anfang der 1970er Jahre, verlassen durch ihre große Liebe Aristoteles Onassis, im Kampf mit körperlichen und stimmlichen Gebrechen am Ende ihrer eigentlichen Bühnenkarriere. Während ihrer berühmten Meisterklassen an der Juilliard School in New York sieht sie es als ihre verpflichtende Aufgabe und verspürt den Drang, die Liebe und den Respekt für Musik und Theater weiter zu vermitteln – so sehr, dass sie beinahe über Leichen geht. Als Perfektionistin durch und durch hat sie keine Geduld für Mittelmäßigkeit und hält den drei anwesenden Opernstudierenden schonungs- und gnadenlos deren musikalische Defizite und Persönlichkeiten vor. Ihre Kritik ist knallhart, geprägt von bissigem Humor, ihre Ansichten zu Text, Interpretation und Auftreten harsch und überlegen.

Das Setting ist das einer Meisterklasse, einer Unterrichtsstunde für Studierende in Gesang und Schauspiel. Auf der Bühne finden sich ein Flügel für die musikalische Begleitung, ein schwarzer, umschmeichelnder Vorhang ziert den Hintergrund, davor seitlich ein Stehtisch inklusive Hocker, auf dem Maria Callas Platz nehmen wird. Äußerst charmant ist, dass man Techniker und Pianist alles vorbereiten sieht, während sich der Theatersaal füllt. Das Gemurmel verstummt jedoch abrupt, als Madame energisch die Bühne betritt, jeglichen Applaus verbietet und von der ersten Sekunde an mit durchdringendem Blick Kontakt zum Publikum aufnimmt. Ihre Art ist forsch und sehr direkt, beinahe unerbittlich – man weiß sofort, wer hier das Sagen hat.

Es bedarf größten Talentes und Mutes, diesen vielschichtigen Charakter, der wahrlich Operngeschichte geschrieben hat, glaubhaft und treffsicher zu verkörpern. In den Niederlanden wurde nun bereits zum zweiten Mal die Grande Dame des Musicals, Pia Douwes, für die Rolle der Primadonna assoluta verpflichtet. Wie auch schon während der Tourproduktion 2011 gibt Douwes der Callas erneut ihre Stimme – und wird ihr damit mehr als gerecht, vielleicht aufgrund von Reife und Lebenserfahrung sogar besser als jemals zuvor.

„Master Class“ (Foto: Annemieke van der Togt)

Die niederländische Ausnahmekünstlerin nennt wahrlich nicht nur das Musicalfach ihr Zuhause, wenn auch sicherlich die meisten vor allem ihre charakterstarke Gesangsstimme seit vielen Jahren im Ohr haben. Eine spannende Beobachtung, die Musicaldarstellerin im reinen Schauspiel zu erleben. Es ist hier nicht die Musik, die sie trägt, sondern die Darstellung einer messerscharfen Persönlichkeit, die wahrlich mit einer wahnsinnigen Fülle an Text und Emotionen den Abend stemmt.

Was Douwes und Callas sicher gemeinsam haben, ist die grenzenlose Disziplin für ihren Beruf sowie die unendliche Liebe für Theater und Musik. Glaubhaft verkörpert die Niederländerin, komplett in Schwarz gekleidet als griechische Lady, in ihrer ausdrucksstarken Körpersprache die Besessenheit, Härte und Strenge Callas‘, während sie mühelos die Bühne beherrscht. Immer wieder wendet sich ihre Protagonistin zum Publikum, um die Meisterklasse mit ihren eigenen Lebenserfahrungen zu unterstreichen. Dabei ist sie schonungslos ehrlich, beinahe schon rabiat und nimmt auch kein Blatt vor den Mund, wenn sie den ein oder anderen Zuschauenden anspricht. Auch dass Pia Douwes Meisterin der Mimik ist, dürfte kein Geheimnis sein. So gelingt es ihr in Sekunden, mit ihrem trockenen, bissigen Humor einerseits für peinlich berührte Lacher zu sorgen und dann zugleich nur mit Blicken und Gestiken die Stimmung komplett gefrieren zu lassen.

Der restliche Teil der Cast muss sich neben Pia Douwes allerdings keinesfalls verstecken. Michelle van de Ven, Amy Egbers und Mark Roy Luykx sind als Sophie de Palma, Sharon Graham und Anthony Candolino, genannt Tony, die Teilnehmenden der Meisterklasse. Alle drei formen ein passgenaues Gespann und überzeugen beeindruckend und höchst talentiert.

„Master Class“ (Foto: Annemieke van der Togt)

Van de Ven gehört beinahe der komplette erste Akt. Ihre Sopranistin Sophie ist beflissen, verunsichert, aufgeregt und sehr ambitioniert – und doch rennt sie scheinbar gegen eine steinharte Wand, die sie immer wieder zurückprallen lässt. Maria Callas hat kein Erbarmen mit ihr, auf dem Weg, das Beste aus ihrer Schülerin herauszuholen: Sie demütigt und tadelt, so dass Sophie mehr als einmal in Tränen ausbricht. Michelle van de Ven gelingt ihre Darstellung im Zusammenspiel mit Pia Douwes äußert präzise und setzt punktgenau Akzente in Spiel und Gesang, Ausdruck, Körperhaltung und Mimik. Am Ende möchte man die junge Sängerin mit ihrer Hornbrille und dem viel zu kurzen Rock am liebsten mehrmals in den Arm nehmen.

Im zweiten Akt ändern sich die Teilnehmenden, die Szenerie bleibt dieselbe. Alle wollen sie nur eines: Vor der berühmten Madame Callas singen und von ihr lernen. Wohingegen Sharon (Amy Egbers) in ihrer ausladenden roten Robe und dem glitzernden, viel zu auffallenden Schmuck für einige Lacher sorgt, strotzt Tony (Mark Roy Luykx) nur so vor Selbstbewusstsein, als er mit seiner wunderschönen Tenorstimme zu singen beginnt. Diese erstaunt und berührt sogar la Divina selbst, so dass sie völlig überwältigt von ihren Gefühlen Tonys Darbietung folgt. Die Begegnung von Sharon und Maria Callas hingegen ist geprägt von überladener Spannung. Callas kitzelt und triezt Sharon so lange, bis zwischen beiden, Auge um Auge – manche mag das an einen Stierkampf erinnern – das Feuer lodert. Sowohl Sharon als auch Tony verstehen es, der Primadonna assoluta Paroli zu bieten. Sie konfrontieren sie mit ihren eigenen Wünschen und Lebensvorstellungen, die nicht unbedingt geprägt sind von dem Wunsch nach dem ganz großen Erfolg. Das wirft Callas völlig zurück, und mehr als einmal muss Pia Douwes sich hierbei in ihrer Darstellung sammeln und die Contenance bewahren.

Kees van Zantwijk als Pianist gibt der ganzen Szenerie einen gemütlichen, väterlichen, ja beinahe schon beschützenden Rahmen, ist er doch immer wieder der liebevolle Seelentröster für die Studierenden. Äußerst sympathisch versucht er sich als Manny Weinstock mit dem roten Pullover in Maria Callas‘ Gedächtnis zu brennen, die der Meinung ist, dass nur ganz wenige Menschen auf der Welt das gewisse Etwas besitzen und Farbe in die langweilige Gesellschaft bringen. Florus van Rooijen als Techniker unterbricht den Ablauf immer wieder herrlich schlurfend an den passend unpassendsten Stellen, zum Beispiel, wenn er der Callas viel zu spät den geforderten Fußhocker bringt oder mehr als gemütlich das zerbrochene Glas zusammenfegt – nicht ohne die Stille gekonnt mit dem Klirren der Scherben zu unterbrechen. Hierbei muss die Regieführung unter Frank van Laecke ganz besonders hervorgehoben werden, schafft es doch jede Künstlerin und jeder Künstler, im exakten Moment das Richtige zu sagen oder eine treffende, schneidende Pause einzuläuten. Dies sorgt mit dem cleveren Buch von Terrence McNally dafür, dass das Stück trotz einer einzigen Szenerie (Bühne und Kostüme: Arno Bremers) keineswegs langatmig ist – im Gegenteil: Es ist ein hochexplosiver Ritt.

„Master Class“ (Foto: Annemieke van der Togt)

Fast schon selbstzerstörerisch durchlebt Maria Callas während ihrer Unterrichtsstunden in der Konfrontation mit den Studierenden prägende Stationen und Erfahrungen ihres eigenen Lebens. Es sind Rückblicke, die sie deutlicher treffen, als sie sich wahrscheinlich eingestehen möchte: Der harte Aufstieg zur Primadonna assoluta, ihr Durchbruch an der Mailänder Scala, der sie letztendlich an die berühmtesten Häuser der Welt führte, aber auch ihre schwierige Kindheit oder der Kampf gegen – ihrer Meinung nach – beliebtere Konkurrentinnen, gegen die reißerische Boulevardpresse, gegen Lügen, Affären, Erniedrigungen. Ein wahres Meisterwerk auf zwei Zeitebenen. Das Besondere hierbei an Buch und Inszenierung ist, dass Douwes als Callas immer wieder im Monolog in deren Vergangenheit abtaucht. Man erhält als Zuschauer ein Gespür dafür, was Maria Callas in ihrem Leben alles erfahren musste und warum sie letztendlich so wurde, wie sie nach außen wirkte.

Während sich das Licht verändert, der Spot auf Pia Douwes gerichtet ist und Pianist und Teilnehmende im Freeze verstummen, erkennt man im Hintergrund als Projektion die Mailänder Scala und hört die Originalstimme der Callas, sowie den aufbrandenden Applaus (Licht: Marc Heinz), der sich allerdings nur in Marias eigenem Gedächtnis abspielt. Wahrlich beeindruckend führt Pia Douwes durch die Monologe – getrieben von den Erinnerungen der Künstlerin, die ihr mehr als einmal Tränen in die Augen treiben oder voller leidenschaftlicher Zerrissenheit auf die Knie sinken lassen. Hierbei gelingt ihr eine Bühnenpräsenz ohne gleichen, und sie kreiert eine fast schon zu intime, schmerzliche Atmosphäre, so dass man am Ende die berühmte Stecknadel fallen hören könnte und sich wirklich niemand traut zu klatschen. Ganz genau so, wie die Callas es zu Beginn auch verboten hat.

„Master Class“ in den Niederlanden ist herausragend intensiv. Es ist ein Theaterstück der ganz großen Klasse, dass uns eine Künstlerin (wieder) näherbringt, die die Welt vor allem mit ihrer Stimme, ihrer Passion für die Kunst und ihrem unvergleichlichen Talent um einiges reicher gemacht hat. Die niederländische Inszenierung wird ihr absolut gerecht. Am Ende kann man nur erahnen, welch leidenschaftliche, aber auch gnadenlose Frau und Künstlerin Maria Callas war und schlussendlich wurde. Dies geschieht nicht zuletzt dank Pia Douwes‘ unvergleichlicher Leistung. „I will always be as difficult as necessary to achieve the best.“ – Maria Callas.

Text: Katharina Karsunke

Katharina Karsunke ist Sozial- und Theaterpädagogin, hat jahrelang Theater gespielt, aber auch Kindertheaterstücke geschrieben und inszeniert. Ihre Liebe fürs Theater und ihre Leidenschaft fürs Schreiben kombiniert sie bei kulturfeder.de als Autorin.