„Flush“ in Berlin (Foto: Marco Sommer)
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Wunderbar kreativ: „Flush – Ein Club-Musical“ in Berlin

Wie sagt man so schön: In Berlin gibt es nichts, das es nicht gibt. Verrückte Ideen, kreative Storys, Menschen, die sich etwas trauen, und eine Kunst- und Partyszene, wie man sie anderswo kaum findet. Warum also nicht auch ein Musical schreiben, das den unkonventionellen Weg nimmt und nicht in einem Theater stattfindet, sondern im Safe Space eines Queer-Clubs? Dazu eine Musik im Elektro-Style und in Gesellschaft einer Partynacht, die in den angrenzenden Räumen wummert? Gibt’s nicht? In Berlin schon. Das SchwuZ, ein queerer Club in Berlin-Neukölln, bietet mit seinen Veranstaltungsmöglichkeiten den perfekten Rahmen dafür, und nach einer Idee von Robin Kulisch (Konzept, Buch, Songtexte), Felix Heller (Mitarbeit Konzept, Songtexte) und Mikael „Leakim“ Johansson (Musik) findet jetzt „Flush – Ein Club-Musical“ unter der Regie von Marco Krämer-Eis seinen Weg auf die (Club-)Bühne.

„Flush“ kommt von Spülen – und genau hier befinden wir uns: Samstagnacht auf der Toilette eines Gay-Clubs, einem Ort voller Geschichten, die das Leben schreibt. Im Mittelpunkt der Story stehen Paul (Felix Heller) und Robert (Robin Kadeh), zwei junge Feiernde, die hier während der rauschenden Party, zwischen Pissoirs und schützenden Klo-Kabinen, aufeinandertreffen. Beide könnten unterschiedlicher nicht sein, und doch verspüren sie eine tiefe Verbindung in dieser besonderen Atmosphäre, die nur eine Clubnacht mit sich bringen kann. Wenn Zeit und Raum keine Rolle mehr spielen, wenn sämtliche Grenzen aufbrechen und verschwimmen, und wenn ein Ort zu einem Safe Space für Sehnsüchte und Verlangen werden kann.

Während dieser Nacht lernt das Publikum insgesamt 18 Charaktere kennen, die alle immer wieder – parallel oder hintereinander – Zuflucht auf der Toilette suchen. Mit dabei: Putzsternchen Ramona und gute Seele des Hauses, die ihren vor allem jungen Gästen nicht nur einmal ein tröstendes Ohr leiht. Und was bleibt am Ende? Eine unverbindliche Nacht? Ein Morgen danach? Und sind manche Geschichten bereit, weitergeschrieben zu werden?

Während unterschwellig der Beat wummert, ist die Bühne in einem offenen rechten Winkel angeordnet. Man sieht drei verschlossene Klokabinen, rechts davon Pissoirs, Spiegel und ein Waschbecken, das immer wieder durch den passenden Sound angedeutet wird. Um die 18 vorhandenen Charaktere zum Leben zu erwecken, wird sich eines simplen und umso genialeren Effekts bedient: Tür auf, Tür zu. Sie verschwinden in der Kabine und betreten gleichzeitig als neue Personen den Raum. So lässt sich vermuten, dass zum Beispiel der sich übergebende Gast vom Anfang die ganze Zeit Kabine Nummer eins blockiert und Kabine Nummer drei nicht nur einmal Ort eines schnellen Schäferstündchens wird. Felix Heller und Robin Cadet gelingt die Darstellung ihrer 16 Persönlichkeiten auf außergewöhnlich liebevolle Art und Weise, wenn sie diese mit Witz und viel Tempo zum Leben erwecken.

Hier bedient sich das Buch von Robin Kulisch nicht plump irgendwelcher Klischees, sondern einer wunderbaren Mischung aus Authentizität, Selbstironie und dem richtigen Fünkchen Wahrheit: Der Schüchterne und Neue in der großen, wilden Stadt, der Draufgänger, stets die Hand in der Hose, mit dem Verlangen nach dem nächsten Lustobjekt, das glitzernde, nervige Influencer-Pärchen, der vermeintliche Hetero auf der Suche nach (s)einer Freundin, der Fetisch-Liebhaber, der Kotzende. Beinahe kein Stereotyp wird hier vergessen. Sobald die Zuschauerinnen und Zuschauer ein wenig Zeit hatten, alle nach und nach kennen zu lernen und einzuordnen, entsteht so etwas wie Verbindung.

„Flush“ in Berlin (Foto: Katharina Karsunke)

Das Schauspiel, das sich auf die Sekunde genau der neuen Charakterdarstellung anpasst, ist bei Heller und Cadet so ausgefeilt, dass man direkt mit dem schüchternen Neuling mitleidet oder die Influencer Lucy und Lucy feiert, wenn diese auf der Toilette ihre ganz eigene Party steigen lassen – natürlich alles live auf Social Media. Bei aller Liebe zum Detail darf natürlich auch der kritische Blick auf die Gesellschaft, Generationenkonflikte und die Szene an sich nicht fehlen: Bodyaging und Außendarstellung sind nur eines von vielen Themen, die durchleuchtet werden und dem Publikum den Spiegel vorhalten.

Putzsternchen Ramona wird ganz wunderbar dargestellt durch die Berliner Entertainerin und Drag Queen Jurassica Parka. Sie kreiert eine herzensgute, warme und doch schonungslos ehrliche Atmosphäre, wenn ihre Schäfchen für fünf Minuten Trost bei ihr suchen oder sich im wahrsten Sinne des Wortes auskotzen möchten. Unumstritten ist sie der Boss mit dem Herz am rechten Fleck. Dabei ist sie selbst, wie der Club auch, eine gescheiterte Künstler-Existenz, kurz vor dem Abriss und dennoch weiterhin den eigenen Träumen nah. Als kleines Highlight verwandelt sich Parka zudem noch in den koddrigen Hausmeister Ulf, der mitten in der Nacht die beim Quickie zerstörte Klobrille auswechseln muss. Mehr Berlin geht eigentlich nicht.

Daniel Unger sorgt mit seiner Ausstattung für den perfekten, intimen Rahmen, den eine Club-Toilette und ihre Besuchenden mit sich bringen. Das Outfit der Gäste, von Lack und Leder über den sportlichen Sneaker-Look bis hin zu Glitzer und Glamour, die Choreografie von Robin Rohrmann und das ausgefeilte Lichtdesign mit seinen harten Scheinwerferstrahlen, abgestimmt auf den Beat, unterstreichen bis ins Kleinste perfekt die Charaktere und die Szenerie.

Auch musikalisch ist „Flush“ definitiv eine Entdeckung, bietet aber hierbei noch viel Luft nach oben. Die Idee, Gesang mit eingespielten Club-Beats und somit Elektrosound verschmelzen zu lassen, ist innovativ und kreativ. Die Songtexte zeugen von Liebe, Freiheit und Selbstbestimmung, wenn die beiden Protagonisten Robert und Paul im Gefühlschaos schwimmen und die Leidenschaft und Sehnsüchte kochen. Hier wäre dennoch ein erkennbarer roter Faden besser gewesen. Die Nummer „Spiegel“ bietet Wiedererkennungswert und bleibt im Ohr, wohingegen die anderen Lieder ein wenig untergehen und verschwimmen. Auch entstehen zwischen den Songs oftmals so lange Pausen, dass man fast vergisst, sich in einem Musical zu befinden. Hier würde dem Ganzen – sowohl dem Buch als auch musikalisch – ein wenig Anpassung und Verdichtung guttun, um dann aber viel Potenzial für eine ganz besondere Storyline zu haben. Denn die Idee, für ein Musical Gesang und Elektro in Verbindung zu bringen, passt ausgesprochen gut in diesen Rahmen und ist einzigartig.

Am Ende bleibt die Möglichkeit, die Clubnacht nebenan selbst zu erleben. Regisseur Marco Krämer-Eis hat mit viel Witz und Liebe zum Detail die perfekte Vorlage dafür geschaffen. Dank Felix Heller, Robin Cadet und Jurassica Parka werden seine Ideen gekonnt realisiert. Und wer nur einmal in einem (Berliner) Club nachts auf der Toilette unterwegs war, wird sicher das eine oder andere – auch in sich selbst – wiedererkennen. An einem Ort, an dem Geschichten des Lebens geschrieben werden. Manche werden direkt „hinuntergespült“, andere sind bereit, fortgesetzt zu werden.

Text: Katharina Karsunke

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Katharina Karsunke ist Sozial- und Theaterpädagogin, hat jahrelang Theater gespielt, aber auch Kindertheaterstücke geschrieben und inszeniert. Ihre Liebe fürs Theater und ihre Leidenschaft fürs Schreiben kombiniert sie bei kulturfeder.de als Autorin.