Robin Kulisch (Foto: Sven Serkis)
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Interview mit Robin Kulisch: „Es ist sinnvoll, Musicals zu übersetzen“

Autor, Übersetzer und Musikalischer Leiter – das alles ist Robin Kulisch. Zuvor absolvierte Kulisch allerdings eine Ausbildung zum Bühnendarsteller, wirkte in Musical- und Theaterproduktionen mit und stand vor der Kamera. Im Interview spricht der vielseitige Kreativschaffende darüber, wie es zum Wechsel kam, wie er jetzt an Jobs kommt und warum Übersetzungen von Musicals Sinn ergeben.

Sie sind Autor, Übersetzer und Musikalischer Leiter. Zuvor haben Sie aber eine Ausbildung zum Bühnendarsteller gemacht. Wie kam es zum Wechsel auf – nennen wir es mal so – die andere Seite?
Das war ein fließender Übergang und nicht wirklich geplant. Ich hatte meine Ausbildung an der Stage School in Hamburg absolviert, ein paar Sachen gespielt und schon während der Ausbildung hier und da mal einen Song übersetzt oder für unser Abschlussprojekt etwas übersetzt und geschrieben. Ich fand das immer schon spannend. Aber ich habe das immer so nebenbei gemacht. Als Musikalischer Leiter habe ich bei Aida Cruises angefangen, weil Freunde und Kollegen von mir dort als Solisten engagiert waren und zu mir meinten, das könnte genau mein Ding sein. Also Sachen arrangieren, mit Sängern Songs einstudieren und all diese Dinge, die ich schon während meiner Ausbildung gemacht habe. Also habe ich mich beworben und wurde genommen. Da habe ich an Bord von Schiffen, aber auch an Land für Aida gearbeitet. So kam ich zur Musikalischen Leitung.

Und eine richtige Ausbildung zum Autor und Übersetzer gibt es hierzulande ja nicht.
Genau. Das läuft über Learning by Doing und funktioniert so, dass man viel ausprobiert, viel wegschmeißt und viel neu macht. (lacht) Das fand ich immer spannend, wäre aber nie auf die Idee gekommen, dass es das ist, was ich mal beruflich machen würde. Aber es ergab sich einfach. Mal brauchte hier jemand einen Songtext, mal dort. Und offenbar bin ich Nerd genug, um an Songübersetzungen zu arbeiten. Ich bin da dann tatsächlich mehr oder weniger reingerutscht. Vor allem habe ich irgendwann gemerkt, dass mir diese Arbeit genauso viel Spaß macht wie selbst auf der Bühne zu stehen. Ich finde die äußeren Umstände sogar fast angenehmer.

Wie meinen Sie das genau?
Punkt eins: Ich muss nicht zu Auditions gehen. (lacht) Punkt zwei: Ich muss nicht dem Job hinterherziehen und bin mal sechs Monate in Stuttgart, über den Sommer drei Monate in Tecklenburg und im Herbst in Berlin. Ich habe meine Homebase, mein soziales Umfeld und meinen Freundeskreis und bin einfach an einem Ort, ohne viermal im Jahr quer durchs Land ziehen zu müssen.

Die Konstellation bei Ihnen – Autor, Übersetzer und Musikalischer Leiter – ist sehr interessant. Man kennt es häufig, dass man einen Autor und Übersetzer hat und einen Musikalischen Leiter. Dass jemand aber alle drei Bereiche in Personalunion abdeckt, ist eher ungewöhnlich. Kommt Ihnen die musikalische Erfahrung bei Ihrer Autoren- und Übersetzungsarbeit zugute? Gerade in Bezug auf Dinge wie Singbarkeit?
Ich glaube schon. Genau aus diesem Grund: Ich habe Gesang studiert. Ist es singbar? Passen die Vokale und Betonungen? Passt es gesangstechnisch? Diese Fragen muss ich mir beim Übersetzen ja stellen. Und das ist mir wahnsinnig wichtig, weshalb ich mir auch immer Feedback von Leuten einhole, während ich an Übersetzungen arbeite. Für den Arbeitsprozess kommt mir meine Ausbildung unheimlich zugute. Auch, weil ich es kenne, auf der Bühne zu stehen. Ich versuche immer beim Schreiben, egal ob Übersetzungen oder eigene Stücke, das Stück zu Hause durchzuspielen und durchzusingen. Dabei dürfte mich niemand sehen. (lacht) Wenn sich da etwas für mich komisch anfühlt, dann ändere ich es. Gerade beim Musical ist ja die Singbarkeit unheimlich wichtig. Das muss funktionieren. Sonst macht es den Leuten auf der Bühne ihren Job unnötig schwer.

Werden Sie von Verlagen eigentlich gezielt angefragt für Übersetzungen oder bewerben Sie sich dort?
Sowohl als auch. Anfangs habe ich natürlich die Initiative ergriffen, aber jetzt, nachdem ich schon das eine oder andere übersetzt habe, werde ich auch angefragt. So war es eine große Ehre, dass ich mit „Sunday in the Park with George“ ein Sondheim-Stück übersetzen durfte. Sondheim ist ein großes Idol von mir. Und eigentlich alle Stücke von ihm gibt es bereits auf Deutsch. Als dann das Angebot kam, „Sunday in the Park with George“ neu zu übersetzen, war das der Wahnsinn. Ebenso jetzt die Anfrage für die Neuübersetzung von „Kinky Boots“. Aktuell arbeite ich unter anderem an einer neuen Übersetzung von „A Chorus Line“. Da war ich aber auch sehr hinterher, weil ich das Stück liebe.

Nun haben Sie „Kinky Boots“ schon angesprochen. Das Stück lief bislang einmal in Deutschland, nämlich mit der Übersetzung von Kevin Schroeder und Ruth Deny in Hamburg. Warum hat der Verlag für „Kinky Boots“ eine neue Übersetzung beauftragt? Andere Stücke werden seit Jahrzehnten mit derselben Übersetzung gespielt, aber „Kinky Boots“ wurde nach nur einer Produktion innerhalb weniger Jahre neu übersetzt und ist jetzt mit Ihrer Übersetzung in Hildesheim zu sehen.
Bevor ich explizit auf „Kinky Boots“ eingehe, erst einmal generell: Ich glaube, die Gründe sind ganz unterschiedlich. Bei älteren Stücken stellt sich oft die Frage, wie es urheberrechtlich aussieht und ob eine neue Übersetzung überhaupt beauftragt werden darf. Ich glaube, das ist bei vielen Stücken der Fall. Aber Sprache entwickelt sich eben. Und die Dinge, die man vor 30 Jahren gesagt hat, würde man heute vielleicht anders formulieren. So kann eine alte Übersetzung schnell mal altbacken wirken. Das heißt nicht, dass die alte Übersetzung schlecht war. Aber manchmal ist sie vielleicht nicht mehr zeitgemäß und muss entstaubt werden.

Robin Kulisch (Foto: Sven Serkis)

Bei „Kinky Boots“ trifft das ja nicht zu, die alte Übersetzung war noch gar nicht alt.
Richtig. Im Fall von „Kinky Boots“ ist es so, dass ich die Frage gar nicht wirklich beantworten kann. Ich kann nur sagen, dass ich vom Verlag „Musik und Bühne“ angefragt wurde, kurz nachdem „Sunday in the Park with George“ aufgeführt wurde. Der Verlag hält jetzt die Aufführungsrechte, nachdem Stage Entertainment entschieden hat, „Kinky Boots“ nicht mehr zu spielen. Man fragte mich also, ob ich Interesse hätte, das Stück neu zu übersetzen. Das hat mich auch gewundert, weil das Stück gerade erst lief und übersetzt wurde. Das ist relativ ungewöhnlich. Die Hintergründe dazu kenne ich nicht, aber ich habe mich gefreut, dass ich dieses fantastische Stück übersetzen durfte. Ich liebe das Stück, denn es hat eine wichtige Botschaft und viel Potenzial, um in Deutschland gespielt zu werden und gut zu laufen. Es wäre einfach zu schade, wenn die Show in der Versenkung verschwindet, nur weil es in Hamburg nicht wie erhofft funktioniert hat.

In Hamburg haben zwei Personen an der Übersetzung gearbeitet, Ruth Deny an den Dialogen und Kevin Schroeder an den Liedtexten. Bei Ihrer Übersetzung stammen sowohl Dialoge als auch Liedtexte aus Ihrer Feder. Ist es eher von Vor- oder Nachteil, im Team zu übersetzen?
Der Vorteil liegt auf der Hand: Wenn es mehrere Leute machen, hat jeder einzelne weniger Arbeit. (lacht) Ich habe tatsächlich noch nie im Team übersetzt. Alles, was ich bisher übersetzt habe, habe ich allein gemacht. Diesen Teamprozess kann ich somit gar nicht wirklich beurteilen. Man kann natürlich einerseits argumentieren: Wenn es eine Person macht, ist es eher aus einem Guss. Andererseits ist es auch so, dass Stücke oft nicht nur von einer Person geschrieben wurden. „Kinky Boots“ hat ja auch einen Buchautor und eine Komponistin und Liedtexterin. Ich glaube, es hängt immer von der jeweiligen Produktion, vom Auftraggeber und von der vorhandenen Zeit ab. Allein braucht man eben länger, als wenn sich zwei Leute die Arbeit teilen. Da gibt es sicher mehrere Beweggründe. Ich kenne bisher nur die Arbeit allein, fände es aber durchaus spannend, mal im Team zu übersetzen.

Um noch weiter bei „Kinky Boots“ zu bleiben: Das Stück behandelt ein durchaus sensibles Thema. Was war dabei die größte Herausforderung für Sie?
Es gab die Vorgabe, dass in der Neuübersetzung kein Satz wie in der Hamburger Fassung sein durfte. Das war definitiv schon mal eine Herausforderung. Dazu habe ich die Hamburger Fassung bekommen, um sicherzustellen, dass das, was ich schreibe, nicht damit übereinstimmt. Natürlich war mein Anspruch aber sowieso, nicht einfach abzuschreiben. Im Endeffekt gab es tatsächlich aber erstaunlich wenig Passagen, in denen es ähnlich gewesen wäre. Das fand ich wirklich spannend. Also lass fünf Leute einen Text übersetzen und du hast fünf komplett unterschiedliche Versionen. Natürlich gab es hier und da mal die Situation, wo ich einen Satz nicht verwenden konnte, weil er in der Hamburger Fassung schon so ähnlich stand. Aber das war eher in den Dialogen als in den Liedtexten. Und solche Überschneidungen waren erstaunlich selten.

Der Übersetzer Timothy Roller hat im Interview gesagt, dass eine Übersetzung immer ein Kompromiss ist. Teilen Sie diese Ansicht?
Das ist eine endlose Diskussion. Ich finde es echt witzig, dass ich heute als Übersetzer arbeite. Denn in meiner jugendlichen Naivität war ich total auf englische Texte fixiert. Es gibt doch einen tollen englischen Text, warum sollte ich den dann nicht singen? Mittlerweile sehe ich das ein wenig anders. Ich denke schon, dass es Sinn ergibt, ein Stück in die Sprache des jeweiligen Landes zu übersetzen. Im Gegensatz zur Oper werden im Musical die Songtexte ja in der Regel benutzt, um die Handlung voranzubringen und die Charaktere weiterzuentwickeln. In der Oper geht es oftmals nur um Schöngesang, wo dann der Gesang im Vordergrund steht und nicht der Text. Das ist im Musical meist anders. Und das Publikum hat nur eine Chance, den Text zu hören und zu verstehen. Man kann nicht zurückspulen. Deswegen glaube ich, dass es sinnvoll ist, Texte zu übersetzen – zumindest in den allermeisten Fällen. Natürlich gibt es Shows, die ich im Leben nicht übersetzen wollen würde.

Sollte man „Hamilton“ übersetzen?
Gute Frage! Dazu habe ich ehrlich gesagt noch keine feste Meinung. Ich glaube, dass „Hamilton“ sowieso eine große Herausforderung in Deutschland wird – also ganz unabhängig von der Sprache, weil es thematisch und von der Machart her eine Herausforderung wird. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass ein Teil des Publikums ein Stück über einen Motorsportler erwartet. (lacht) Das Thema ist außerdem uramerikanisch. Natürlich funktioniert aber „Das Phantom der Oper“ auch nicht nur in Paris. Grundsätzlich denke ich jedoch, dass „Hamilton“ in Deutschland nicht automatisch besser liefe, wenn es auf Englisch gemacht würde. Zumindest nicht als Long Run. Mit einer Tourproduktion für ein paar Wochen könnte man die Fans des Stücks erreichen, das würde auf jeden Fall funktionieren. Aber als Long Run stelle ich es mir auf Englisch hierzulande schwierig vor. Es ist eine mutige Entscheidung, das Stück überhaupt nach Deutschland zu bringen. Das begrüße ich. Und für das Verständnis der Story ergibt es eigentlich immer Sinn, die Show zu übersetzen. Klar, ein Teil des Publikums möchte ein Stück lieber im Original sehen. Zumindest wenn es auf Englisch ist. Aber wie sieht das aus, wenn man beispielsweise in einem französischen oder russischen Stück sitzt? Möchte man das dann auch lieber auf Französisch oder Russisch hören? Ich würde vermuten, wahrscheinlich eher nicht. Da würde man dann schätzungsweise doch eher sagen: Also das muss man aber schon auf Deutsch machen, weil ein großer Teil der Zuschauer kein Russisch oder Französisch spricht. Klar, viele Leute sprechen Englisch. Aber eben auch nicht alle so nuanciert und detailliert wie ein Muttersprachler, um alle Aspekte und Details mitzubekommen. Und wie gesagt: Es gibt bei einer Live-Aufführung immer nur eine Chance, den Text zu verstehen. Es ist also sinnvoll, Musicals zu übersetzen. Sonst verpasst man unter Umständen zu viel.

Wie wichtig ist Ihnen als Übersetzer eigentlich das Selbstmarketing, also Ihr Personal Branding? Es ist auffällig, dass Sie eine sehr informative und vor allem aktuelle Webseite haben, dass Sie regelmäßig in einem eigenen Newsletter über Ihre Arbeit informieren, in den sozialen Medien aktiv sind. Zumindest aktiver als manch andere Musicalautoren und -übersetzer.
Das freut mich erst mal, dass das wahrgenommen wird. Dann bringt das ja sogar was. (lacht) Es geht mir dabei ja nicht um meine Person, sondern darum, meine Arbeit möglichst gut zu präsentieren. Als Freelancer ist man ja ein Stück weit sein eigenes Produkt – wenn man es so nennen möchte. Und da ich fast ausschließlich freiberuflich arbeite, finde ich es umso wichtiger, die Sachen, an denen man arbeitet, irgendwo gut zu präsentieren. Privat bin ich überhaupt kein Fan von Social Media. Aber für jobbezogene Sachen ist es ein wahnsinnig guter Weg, um relativ einfach relativ viele Leute zu erreichen. Und mal den Selbstvermarktungscharakter außen vor: Vielleicht gibt es da draußen auch einfach ein paar Leute, die es interessiert, was ich mache. Und die sich vielleicht freuen, wenn sie von dem einen oder anderen Projekt etwas mitbekommen.

Interview: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".