Opernabend der Extraklasse: „Don Giovanni“ in Detmold
Es muss nicht die Mailänder Scala, die New Yorker Met oder die Berliner Staatsoper sein, um herausragende Opern zu erleben. Im beschaulichen Ostwestfalen-Lippe wird das einmal mehr deutlich mit einer Neuinszenierung von Mozarts „Don Giovanni“ am Landestheater Detmold. Unter der Federführung von Aron Stiehl (Inszenierung) und György Mészáros (Musikalische Leitung) ist ein dreieinhalbstündiger Opernabend der Extraklasse entstanden, dessen Premiere zu Recht mit stehenden Ovationen bejubelt wird.
Stiehls ästhetische Inszenierung legt den Fokus auf die Personenregie der acht Charaktere und ist eine gelungene Mischung aus Drama und Komödie, bei der immer wieder die vierte Wand durchbrochen und der Theatersaal mitbespielt wird. Mal ist es Leporello (Seungweon Lee), der vom Auditorium aus das Treiben auf der Bühne beobachtet und kommentiert, dabei auch mal im Publikum Platz nimmt. Dann ist es Don Giovanni (Jakob Knuath) höchstselbst, der zwischen den Zuschauerinnen und Zuschauern singt, sich seinen Weg durch die Reihen bahnt.
Opernsänger zum Anfassen – das ist nicht alltäglich und verspricht eine herrliche Abwechslung. Auch dass die Rezitative nicht auf Italientisch, sondern auf Deutsch zu Gehör kommen, ist durchaus positiv zu bewerten und dient der Verständlichkeit. Warum allerdings bei den Arien und Duetten immer wieder zwischen beiden Sprachen gewechselt wird, mag sich gar nicht erschließen und ist der einzige Kritikpunkt an einer ansonsten durchweg überzeugenden Operninszenierung.
Visuell ist dieser „Don Giovanni“ ein Genuss. Das sparsame Bühnenbild von Jule Dohrn-van Rossum zeigt einen überdimensionalen Bilderrahmen, der an den Stil des Bühnenportals angepasst wurde. Darin zu sehen ist eine leere Spielfläche, auf der Kronleuchter und wenige barocke Möbel durch Carsten-Alexander Lenauer ins passende Licht gerückt werden und den Sängerinnen und Sängern ausreichend Platz lassen, eine Geschichte zu erzählen und ihre Charaktere zu zeichnen, die von Dietlind Konold in geschmackvolle Kostüme gehüllt wurden.
So trägt Don Giovanni goldene Hosen, eine bestickte Weste und einen dunkelroten Samtmantel, sein Diener Leporello kommt im ockerfarbenen Mantel mit dunklem Fischerhut daher und Zerlina ist mit einem traditionell angehauchten Kleid ausgestattet, während Donna Anna und Donna Elvira wunderhübsche Kleider aus Satin und Tüll tragen.
Musikalisch knüpft „Don Giovanni“ – bekanntermaßen die zweite Zusammenarbeit Mozarts mit dem Librettisten Lorenzo Da Ponte – durch die konzentrierte und eindringliche Musiksprache, die raffinierte Instrumentation und die psychologisch-dramaturgische Charakterzeichnung an „Die Hochzeit des Figaro“ an. Der größte Unterschied zwischen den beiden Opern ist jedoch ein, dem Stoff geschuldeter, düster-dramatischer Grundton, was bereits bei der Ouvertüre deutlich wird, bei der das Symphonische Orchester des Landestheaters bedrohliche D-Moll-Akkorde aus dem Graben donnern lässt. György Mészáros leitet seine Musikerinnen und Musiker exzellent durch die Partitur, findet das richtige Tempo und lässt keine Note unterbelichtet. Dabei versteht er sich im dramatisch zupackenden Vorwärtsdrang genauso wie in den langsameren lyrischen Arien.
Doch nicht nur aus dem Orchestergraben erklingen Spitzentöne, sondern auch auf der Bühne, weil man die richtigen Sängerinnen und Sänger für die jeweiligen Partien besetzt hat, die mit Lust und Leidenschaft bei der Sache sind, die Rezitative lebendig und die Arien wie Duette saftig gestalten.
Jakob Kunath liefert in der Titelrolle einen auftrumpfenden, testosterongeladenen und kernigen Frauenhelden, der allein in Spanien 1.003 Frauen verführt haben soll. Wie ein aufblitzender baritonaler Diamant präsentiert sich Kunath gesanglich und überzeugt mit prächtigem Timbre. Völlig zu Recht vom Premierenpublikum gefeiert wird außerdem Seungweon Lee als Leporello, der mit fundiertem Bass begeistert und sich als ein auf den Punkt genauer Komödiant erweist.
Bei den Damen kommt man aus dem Jubeln ohnehin nicht mehr heraus. Adréana Kraschewski bietet als Donna Anna eine hinreißende Mischung aus virtuoser Trittfestigkeit und dramatischem Biss. Als Donna Elvira gelingt Emily Dorn mit ihrer Ausnahmestimme und leidenschaftlicher Hingabe ein hochdramatisches Rollenporträt, wohingegen Stephanie Hershaw als Zerlina mit ihrem glasklaren Sopran und jugendlich-frischem Spiel das Sahnehäubchen auf der Operntorte bildet.
Mit kraftvollem Bass intoniert Irakli Atanelishvili den Komtur, der am Ende des zweiten Akts einen markerschütternd guten Auftritt als steinerne Statue hinlegt, bei der seine Stimme allerdings tontechnisch unterstützt wird. Exzellent sind außerdem Stephen Chambers, der seinen Don Ottavio mit tenoraler Strahlkraft glänzen lässt, und Franco Oportus Vergara, der als Masetto gesanglich ebenfalls sehr gut gefällt – so wie auch der von Francesco Damiani einstudierte Chor. Ganz große Oper in Detmold!
Text: Dominik Lapp