Jeannine Michèle Wacker (Foto: Dominik Lapp)
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Interview mit Jeannine Michèle Wacker: „Jede Rolle fühlt sich anders an“

Jeannine Michèle Wacker ist Schauspielerin, Sängerin, Tänzerin und Songwriterin. Nach ihrer Ausbildung in New York stand die gebürtige Schweizerin in zahlreichen Musicals auf der Bühne und drehte für Film und Fernsehen. Auf dem Magdeburger Domplatz ist sie aktuell im Musical „Catch me if you can“ in der Rolle der Brenda Strong zu sehen. Im Interview spricht sie über dieses Engagement, die Probenzeit und starke Frauenrollen.

Man kennt dich aus dem TV und Kino, vor allem aber aus zahlreichen Musicals. Ist die Bühne dein Zuhause?
Die Bühne ist definitiv mein Zuhause und mein Wohlfühlort. Ich hatte jedoch immer das Ziel, möglichst vielfältig zu arbeiten und verschiedene Sachen auszuprobieren. Deshalb bin ich total dankbar, dass das geklappt hat, ich drehen durfte, Podcasts und eigene Songs aufgenommen habe.

In Magdeburg spielst du gerade Brenda Strong im Musical „Catch me if you can“. Wer ist Brenda und was hat dich an der Rolle interessiert?
Brenda ist diplomierte Krankenschwester und die große Liebe des Hauptcharakters Frank. Beide haben ein paar Gemeinsamkeiten. Brenda ist wie Frank von zu Hause ausgerissen, weil sie verheiratet werden sollte. Wenn man die Zeit und Umstände bedenkt, in denen sie aufgewachsen ist – nämlich in den Sechzigerjahren in einer sehr konservativen, lutheranischen Familie – ist sie eine wahnsinnig mutige Frau, die für sich selbst gesorgt hat. Am Ende verrät sie Frank auch nicht ans FBI, wozu eine Menge Mut gehört. An der Rolle gefällt mir sehr gut, dass sie diesen stillen Mut hat. Sie ist keine laute Person, sondern hat Unsicherheiten und Ängste. Aber sie hat auch ein Gefühl für Gerechtigkeit, eine riesige Integrität, ein starkes Rückgrat und ist die loyalste Person, die man an seiner Seite haben kann, wenn es darauf ankommt. Das finde ich sehr anziehend und faszinierend an der Rolle.

Das Musical basiert auf einer wahren Begebenheit, die vor mehr als 20 Jahren von Steven Spielberg verfilmt wurde. Kanntest du den Streifen bereits oder hast ihn dir vielleicht sogar noch mal angesehen zur Vorbereitung?
Ich habe ihn damals gesehen und war jetzt echt schockiert, dass es 20 Jahre her ist. (lacht) Das kommt einem nicht so vor. Ich habe ihn mir aber noch mal angeschaut, sehr auf Brenda geachtet und wusste gar nicht mehr, wer die Rolle im Film gespielt hat. Das ist ja Amy Adams! Sie ist eine meiner Lieblingsschauspielerinnen. Ich fand es auf jeden Fall sehr spannend zu sehen, wie sich Brenda vom Film zum Musical verändert hat. Ich bin jemand, der sehr gern recherchiert, habe mir eine Pre-Broadway-Version des Stücks im Internet angesehen und festgestellt, dass Brenda da noch sehr ähnlich war wie im Film. Sie ist ein weinendes Häufchen Elend mit Zahnspange und macht alles falsch im Krankenhaus, ist die schlechteste Krankenschwester und wird von Frank gerettet wie ein kleines Vogelbaby. Auch ihre Hintergrundgeschichte ist anders. Da ist sie nicht ausgerissen, sondern wurde von ihren Eltern rausgeschmissen, weil sie eine Abtreibung hatte. Ich weiß nicht, wie es dazu gekommen ist, aber zwischen Pre-Broadway und Broadway gab es eine große Veränderung für die Rolle. Wie wir Brenda jetzt im Stück antreffen, ist sie die beste Schwester auf der Station, hat ein großes Selbstbewusstsein, keine Zahnspange. Das ist total schön, weil es sie mit Frank auf eine Augenhöhe stellt und die Beziehung der beiden glaubhafter macht.

Es ist schön, dass sie somit nicht mehr in die Kategorie des klassischen Dummchens gehört. Starke Frauenrollen braucht es doch im Musical.
Absolut! Ich liebe es total, dass sie stärker und weniger naiv gemacht wurde. Daran merkt man, dass der Film 20 Jahre alt ist. Das Bewusstsein hat sich geändert. Ich bin dankbar dafür, dass wir in Magdeburg ein Team haben, das auch ein Gespür dafür hat und dass wir am Ende noch eine kleine Änderung vorgenommen haben, die Brenda ins Jahr 2023 und ein ganz anderes Frauenbild holt.

Um noch einmal auf Amy Adams zurückzukommen: Ist es schwierig, in ihre Fußstapfen zu treten oder musstest du Film und Musical klar voneinander trennen?
Natürlich möchte man der Rolle gerecht werden. Aber gerade in diesem Fall war es leicht, weil die Rolle im Musical so anders ist als im Film. Klar, es kann einen einschüchtern. Aber das gilt auch für eine Glinda in „Wicked“, die von einer Kristin Chenoweth gespielt wurde. Gleichzeitig finde ich es inspirierend und schaue mir bei meiner Recherche gern andere Interpretationen an, entwickle damit meine eigenen Gedanken weiter, wie ich die Rolle sehe. Das gibt mir einen neuen Anstoß. Ich sehe es als Chance und Quelle.

„Wicked“ (Foto: Dominik Lapp)

Real versus fiktiv: Inwiefern spielt sich eine Rolle wie Brenda anders als zum Beispiel Glinda?
Brenda und Glinda sind natürlich erst mal komplett verschieden. Ich glaube, was Brenda noch in Sachen Selbstvertrauen fehlt, hat Glinda mitgenommen. (lacht) Letztere ist eine fiktive Figur und „larger than Life“, weil sie – besonders im ersten Akt – eine Comedy-Figur ist, die auch Wörter benutzt, die es nicht gibt. Es ist ein anderer Modus. Aber jede Rolle fühlt sich anders an und hat ein anderes Energielevel. Brenda ist definitiv mehr auf dem Boden als Glinda.

Was ist die größte Herausforderung bei „Catch me if you can“?
Die Szenen sind oft sehr filmisch, also relativ kurz, so dass man sofort eintauchen und mit der Linie mitgehen muss, weil man keine Fünf-Minuten-Szene hat, in der man langsam etwas aufbaut. Ich muss im Kopf scharf und innerlich in einem beweglichen Zustand sein, um mich in die entsprechenden Stimmungszustände mittragen lassen zu können.

Wie war die Probenzeit mit Regisseur Felix Seiler? Ist er jemand, der starre Vorgaben macht oder mit dir gemeinsam etwas entwickelt?
Es war eine sehr schöne Zusammenarbeit, die ich wirklich genossen habe. Er bringt die richtige Mischung mit, hat also einerseits eine klare Vision und ist andererseits offen zu proben und zu spielen. So entwickeln sich die coolsten Sachen. Für mich als Darstellerin ist es immer super, wenn ich nicht nur wie eine Puppe agieren und eine Vision umsetzen muss, sondern selbst etwas anbieten darf. Das macht sehr viel Spaß.

In deinem Repertoire findet man die unterschiedlichsten Frauen. Suchst du dir die Rollen aus oder suchen sie dich aus?
Ich würde gern sagen, dass ich mir meine Rollen aussuche. Natürlich gehe ich nicht auf eine Audition für eine Rolle, die mich nicht interessiert. Wobei das auch ein Luxus ist. Manchmal braucht man einfach einen Job, macht alle Auditions und hofft, dass es davon etwas wird. Bislang hatte ich das Glück, dass sich einige Traumrollen ergeben haben. Die habe ich mir in gewisser Weise ausgesucht, aber sie haben auch mich ausgesucht, dadurch, dass es geklappt hat. Glinda in „Wicked“, Lauren in „Kinky Boots“ und Scaramouche in „We Will Rock You“ gehören auf jeden Fall dazu.

Das waren alles Rollen in großen Long-Run-Produktionen. Du hast aber auch schon in ganz kleinen, intimen Musicalproduktionen mitgewirkt wie „Daddy Langbein“, das im Loft des Bielefelder Theaters gezeigt wurde. Das muss doch eine wahnsinnige Erfahrung gewesen sein, so ein kleines Zwei-Personen-Stück ohne Mikrofon jeden Abend vor etwa 50 Menschen zu spielen.
Ja, ich habe das Stück total geliebt und fand es wunderschön, Theater mit so einfachen Mitteln zu machen und eine Geschichte zu erzählen. Ich schätze und genieße große Produktionen mit der technischen Einrichtung. Aber gerade nach „Kinky Boots“ war es cool, in einem kleinen Team mit ganz wenig Requisiten so ein Stück wie „Daddy Langbein“ zu spielen und mit dem Kern meines Berufs in Berührung zu kommen. Vor einem kleinen Publikum zu spielen, hilft mir außerdem dabei, wenn in einem großen Saal nur wenige Leute sitzen. Dann stelle ich mir nämlich vor, wie die alle im Bielefelder Loft sitzen, was gar nicht passen würde. Das wäre bis auf den letzten Platz ausverkauft. Und dass man gerade nicht so happy ist, liegt nur daran, dass sie in einem Saal sitzen, in dem normalerweise 2.000 Menschen Platz finden.

Interview: Dominik Lapp

Jeannine Michèle Wacker (Foto: Dominik Lapp)

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".