Im Schatten der Effekte: „Die Zauberflöte“ in Hamburg
Wer seit mehr als neun Jahren Mozarts „Zauberflöte“ an der Staatsoper Hamburg besucht, begegnet einer Inszenierung von Jette Steckel, die sich trotz ihrer langen Laufzeit merkwürdig unentwickelt anfühlt. Auch jetzt, kurz bevor das Werk im kommenden Jahr abgesetzt wird, zeigt sich erneut das Grundproblem: Eine blasse, dramaturgisch ausgedünnte Erzählung, die sich unter der Last ihrer eigenen Multimedia-Ideen verbeugt.
Schon der Auftakt gerät zum Fremdkörper. Während die Ouvertüre beginnt, sitzt Tamino, gesungen von Matthew Newlin, in der ersten Reihe des Parketts und erleidet einen Schwächeanfall. Obwohl die Übertitelanlage darauf hinweist, dass es sich um eine gespielte Szene handelt, rauscht beunruhigtes Gemurmel durch den Saal, das die Musik überlagert. Es ist eine Rahmung, die Taminos Biografie rückblickend erzählen will – der Held wächst als Kind in einem Kloster bei Nonnen auf. Aber dieser Ansatz bleibt skizzenhaft. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Steckel große Teile der originalen Schikaneder-Dialoge streicht. Was in dieser Oper nun einmal nicht in der Musik steckt, geht verloren, und so bröckelt die narrative Substanz an entscheidenden Stellen.
Florian Lösches Bühnenbild beschränkt sich auf hintereinander gehängte Lichtervorhänge, die zwar schön funkeln, aber selten atmosphärisch vertiefen. Pauline Hüners Kostüme halten sich an moderne Alltagskleidung, die Figuren erden, aber ihnen jeden Hauch von Fantasie nehmen. Alexander Bunges Videoästhetik verfremdet die in den Orchestergraben verlegten Auftritte der Königin der Nacht und Sarastros in grelle, überdimensionierte Projektionen, die eher distanzieren als faszinieren.
Dass der Abend dennoch trägt, liegt an der musikalischen Seite. Keren Kagarlitsky dirigiert das Philharmonische Staatsorchester Hamburg lebhaft und ausdrucksstark, mit präzisem Gespür für das pulsierende Wechselspiel zwischen heiterem Singspiel und ernster Prüfungsdramaturgie. Unter ihrer Leitung fließt alles wie selbstverständlich: die zarten lyrischen Momente atmen frei, die dramatischen Höhepunkte erhalten klare Konturen.
Sängerisch zeigt die Staatsoper ein homogen starkes Ensemble. Matthew Newlin gestaltet Tamino mit warmem, flexiblem Tenor und sensibler Linienführung. Liv Redpath als Pamina besticht durch strahlende Höhe. Diana Schnürpel meistert die halsbrecherischen Koloraturen der Königin der Nacht souverän, während Hubert Kowalczyk einen würdevollen, wohlklingenden Sarastro formt. Die Drei Damen – Narea Son, Kady Evanyshyn und Michal Doron – überzeugen mit wunderbar ausbalanciertem Zusammenspiel. Peter Galliard gibt einen schlanken, präzise akzentuierten Monostatos.
Für die heiteren Farbtupfer sorgt Andrew Hamiltons Papageno, dessen natürliche Bühnenpräsenz und angenehmer Bariton mühelos Sympathien gewinnen. Marie Maidowski ergänzt als Papagena mit frischer, spielerischer Energie. Die Drei Knaben des Hamburger Knabenchors singen sauber und klar, der Chor der Staatsoper, einstudiert von Christian Günther, agiert ebenfalls auf hohem Niveau – herrlich witzig der Moment, in dem der Herrenchor gemeinsam mit dem Publikum singt.
So bleibt dieser Abend in Hamburg eine paradoxe Erfahrung: musikalisch hochklassig, szenisch blass. Eine „Zauberflöte“, der das Orchester und die Sängerinnen und Sänger zu Glanzpunkten verhelfen, während die Inszenierung im Schatten der Effekte zurückbleibt.
Text: Dominik Lapp

