„Die Zauberflöte“ in Dortmund (Foto: Dominik Lapp)
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Ohne Kulisse, doch voller Magie: „Die Zauberflöte“ in Dortmund

Das Konzerthaus Dortmund ist in die neue Spielzeit gestartet. Auf dem Programm: Mozarts „Zauberflöte“. Offiziell heißt es konzertant, tatsächlich entsteht aber ein halbszenisches Opernereignis, das vielen voll ausstaffierten Produktionen den Rang abläuft. Regisseur Romain Gilbert verwandelt den Saal, wie schon zuvor in der Bremer Glocke und der Hamburger Elbphilharmonie, in eine Spielfläche, die atmet. Da wird die Chorempore auch schon mal zum Tempel Sarastros. Wege, Hierarchien und Blickachsen sind klug modelliert. Was fehlt, ist bloß ein Bühnenbild – und genau das macht die Fantasie frei. Hervé Gary formt mit seinem Licht Räume, Temperaturen und Kontraste: kaltes, schneidendes Strahlen bei der Königin der Nacht, goldenes, ruhendes Leuchten bei Sarastro.

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen trägt diesen Abend mit souveräner Klasse. Die Ouvertüre perlt transparent und federnd, die Streichinstrumente klingen genauso scharf wie elastisch, die Holzblasinstrumente antworten mit sprechendem Ton, das Blech setzt Glanzlichter, ohne zu protzen, die Pauken rahmen mit nobler Attacke. Im Verlauf bleibt das Orchester gleichermaßen Theatermaschine und Seelenkommentator: So schimmert die Flöte in Taminos Pfad wie ein guter Geist, das Glockenspiel umspielt Papagenos Eskapaden mit feiner Ironie.

Dirigent Tarmo Peltokoski bündelt das alles großartig – wendig in den Tempi, nah am Text, hellhörig für die Sängerinnen und Sänger. Er atmet mit, hält die Architektur, wo der Geist der Zahl Mozart führt. Und weil das Konzept es will, wird er Teil der Handlung: Peltokoski versucht einmal, den ohnmächtigen Tamino zu wecken, später überlässt er das Dirigentenpult Papageno – und die Musik lächelt mit, genauso wie das Publikum.

Der Star des Abends heißt Äneas Humm. Sein Papageno ist mehr als ein Publikumsliebling: Er ist frisch, witzig, augenzwinkernd – und vor allem vollkommen präsent. Humm durchbricht beherzt die vierte Wand, flirtet charmant mit einer Dame in der ersten Reihe, spielt mit seiner Schweizer Herkunft, mit Gestus und Körper, ohne die Linie zu verlieren. Sein Bariton sitzt kernig und biegsam, die Stimme ist glasklar, die Pointen fallen mit einer Natürlichkeit, als wären sie im Moment erfunden. Die Arie „Der Vogelfänger bin ich ja“ gerät zur Visitenkarte eines Künstlers, der Musik und Szene zur Deckung bringt. „Ein Mädchen oder Weibchen“ schwingt sich mit scheinbar beiläufigem Legato zur kleinen Lebensphilosophie. Wenn der Papageno mir nichts, dir nichts den Taktstock übernimmt, führt Humm die Komödie nie ins Clowneske – er macht sich die Rolle zu eigen, ohne sie zu verschlucken. Im „Pa-Pa-Pa“-Finale mit Papagena knistert die Chemie, Timing und Textfeuerwerk sitzen.

Elsa Dreisig gibt eine Pamina von betörender Klasse. Ihre Stimme leuchtet silbrig im Kern, trägt mühelos über den Saal, ihr Piano ist elastisch, nie dünn, ihr Forte edel, nie scharf. Die Arie „Ach, ich fühl’s“ entsteht aus dem Atem, die Phrasen sind weich verschattet, die Registerwechsel geschmeidig, die Schmerzfarben selbstverständlich. Schauspielerisch überzeugt sie ebenso: In der Rache-Szene, wenn die Mutter der Tochter „Star Wars“-machtmäßig aus der Distanz die Kehle zudrückt, spielt Dreisig die erstarrte Angst und die Atemnot ohne theatralisches Übermaß und erzählt mit dem Körper. Im Duett „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ funkt es zwischen ihr und Äneas Humm: zwei Bühnenwesen, die einander zuhören, steuern, anspornen.

„Die Zauberflöte“ in Dortmund (Foto: Dominik Lapp)

Mauro Peter, der Star im Bregenzer „Freischütz“, ist ein Tamino mit strahlendem Tenor, dessen Bronze in der Mittellage und Blüte in der Höhe ideal mischen. „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ trägt er mit federndem Legato und kultiviertem Portamento, auch die ausgeschmückten Linien gestaltet er sicher und geschmackvoll, ohne sie ins Bravouröse zu überhöhen. Das Pathos bleibt nobel.

Kathryn Lewek, weltweit als Königin der Nacht unterwegs (sozusagen von der New Yorker Met abwärts), liefert Spitzentöne wie Laserstrahlen: radikal fokussiert, gestochen akkurat, rhythmisch messerscharf. „O zittre nicht“ modelliert sie mit geschmeidiger Lyrik, die Rache-Arie feuert sie mit stupender Sicherheit, ohne den Ton zum reinen Effekt zu verengen – die Furie bekommt Charakter.

Miriam Kutrowatz holt aus ihrer kleinen Rolle alles heraus: Zunächst erscheint sie als krummes altes Weib mit Maske und Mantel, die Stimme schmal und vibrierend eingefärbt, später entfaltet sie als bezaubernde Papagena helle, zupackende Frische – die Spiellust trägt den „Pa-Pa-Pa“-Rausch. Sarastro wird bei Manuel Winckhler zur Autorität aus Klang: ein erdiger Bass, der Respekt einflößt, ohne Kälte. „O Isis und Osiris“ ruht auf breitem Atem, „In diesen heil’gen Hallen“ entfaltet warme Güte. Andreas Conrad zeichnet einen rollendeckenden Monostatos, treffend in Farbe und Haltung, mit klarer Diktion und präzisem Zugriff.

Die drei Damen – Silja Aalto, Iris van Wijnen und Marie Seidler – agieren als funkelndes Ensemble, das attackensicher phrasiert und die Balance klug hält. Die beiden Geharnischten, Martin Logar und Marcell Bakonyi, verleihen der Feuer- und Wasserprüfung mit wunderbarer Stimmkulisse und Würde Gewicht, während Maximilian Fieth als Zweiter Priester mit souveräner Präsenz überzeugt.

Das Chorwerk Ruhr steuert stimmstarke Geschlossenheit bei, artikuliert prägnant, bleibt in den großen Tutti durchsichtig. Die St. Florianer Sängerknaben schicken mit Frederick Derwein, David Platzer und Laurenz Oberfichtner drei Knaben ins Spiel, die sauber intonieren, herrlich agieren und die delikaten Linien mit gelassener Selbstverständlichkeit tragen.

Die szenische Handschrift des Abends ist frisch und mutig. Romain Gilbert nutzt den Raum, als sei er dafür gebaut: Wege erzählen, Abstände bedeuten Macht oder Nähe, kleine Gesten tragen über die Rampe – und die Personenführung bleibt immer musikalisch begründet. Die Komik entsteht aus der Situation, nicht aus Gags. Und der Ernst bekommt Luft, bevor er Gewicht fordert.

Am Ende bleibt der Eindruck einer „Zauberflöte“, die genau das erfüllt, was der Titel verspricht: Magie – und zwar aus den Mitteln der Musik, der Fantasie und der Gegenwart der Künstlerinnen und Künstler. Das Publikum im Konzerthaus Dortmund erlebt einen Abend, der als konzertante Ankündigung kommt und als halbszenische Offenbarung endet. Der Jubel ist nicht nur dem Werk geschuldet, sondern einer Truppe, die weiß, was sie tut: Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen glänzt, Tarmo Peltokoski bündelt, Romain Gilbert denkt Theater, Hervé Gary malt Räume – und vorneweg eine Riege aus Sängerinnen und Sängern, wie sie besser kaum sein kann.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".