Musikalisch opulent: „Sunset Boulevard“ in Heidelberg
Immer wieder taucht Andrew Lloyd Webbers „Sunset Boulevard“ auf den Spielplänen deutscher Stadt- und Staatstheater auf – doch nicht immer so frisch und düster inszeniert wie von Felix Seiler am Theater Heidelberg. Ein starkes Duo in den Hauptrollen, ein großartiges Orchester und die eine oder andere inszenatorische Überraschung garantieren ein Theatererlebnis par excellence.
Eine dieser schönen Überraschungen ist zum Beispiel der düster-melancholische Grundton der Inszenierung, der alles andere als Hollywood-Glanz ausstrahlt. Die Fliesen des Swimmingpools, in den der erschossene Joe Gillis stürzt, werden immer als Hintergrund wieder eingesetzt – ob nun im Filmstudio oder in Schwab’s Drug Store, wo sich die Filmschaffenden treffen. Generell hat Felix Seiler das Musical im Stil eines Schwarzweiß-Films der Fünfzigerjahre in Szene gesetzt, was exzellent passt. So prasseln immer mal wieder graue Regentropfen über Gaze-Vorhänge oder auf Norma Desmonds Villa, die Fahrt der Filmdiva in ihrem Oldtimer wird mittels Schwarzweiß-Video dargestellt, genauso wie der Eingang des Filmstudios Paramount oder der titelgebende Sunset Boulevard. Auch die hübschen Kostüme von Linda Schnabel sind zeitgemäß im Fifties-Stil gehalten.
Eine andere Überraschung ist Normas zum Teil offene Villa (Bühnenbild: Nikolaus Webern), die sich um 360 Grad drehen kann und so den Blick auf immer neue Räume freigibt. Im Inneren dominieren Rottöne, die Holztreppe, die auch zu einer Dachkammer führen könnte, und ein abgebrochenes Sofa visualisieren den Verfall eines alternden Filmstars, der von seinen Fans längst vergessen wurde. Glanz und Glamour sind Düsterheit und Tristesse gewichen.
Auch in Heidelberg steht und fällt „Sunset Boulevard“ mit der Darstellerin der Norma Desmond – und Carolyn Frank spielt und singt die Rolle hervorragend. Sie gibt ihre Norma als zutiefst verletzte Stummfilmdiva, die in ihrer eigenen Welt nahe dem Wahnsinn lebt und die wenigen Menschen um sich herum für sich vereinnahmt. Dabei wechselt ihre Stimmung aber gar nicht so stark zwischen cholerisch und wahnsinnig, wie die Diva in anderen Inszenierungen dargestellt wird. Vielmehr gibt Carolyn Frank eine eher in sich gekehrte und fast schon ein wenig resignierende Frau, wodurch ihr der Bruch am Ende umso stärker gelingt, wenn Norma vollends dem Wahnsinn verfällt und die Kameras der Presse für Filmkameras hält. Mit ihren intensiven Interpretationen von Songs wie „Nur ein Blick“ und „Als hätten wir uns nie Goodbye gesagt“ sorgt Frank mehrfach für Gänsehaut.
Neben einer starken Hauptdarstellerin haben es die weiteren Darstellerinnen und Darsteller oftmals schwer. Doch Daniel Eckert ist ein fantastisch starker Joe Gillis und damit ein hervorragender Spielpartner. Mit differenziertem Schauspiel und strahlendem Gesang – vor allem beim Titelsong – zeichnet Eckert ein glaubwürdiges Porträt des erfolglosen, aber smarten Drehbuchautors. Das Zusammenspiel zwischen ihm und Carolyn Frank ist perfekt und authentisch.
Charlotte Katzer holt aus der kleinen Rolle der Betty Schaefer alles heraus, ist darin äußerst präsent und gefällt stimmlich im Duett „Viel zu sehr“ mit Daniel Eckert. Ein starkes Rollenprofil entwickelt auch Dirk Weiler als Max von Mayerling, der zunächst zurückhaltend den Butler gibt und sich erst zum Ende hin als einst erfolgreicher Filmregisseur und Ex-Mann der Desmond zu erkennen gibt, der ebenso in seiner eigenen Welt zu leben scheint wie Norma. Wer in einer winzigen Rolle außerdem positiv hervorsticht, ist Wilfried Staber mit seinem sonoren Bass als Regisseur und Produzent Cecil D. DeMille.
Darsteller und Szenerie werden durch das stimmige Lichtdesign von Ralph Schanz perfekt unterstützt, während die Choreografie von Kati Farkas unauffällig bleibt. Ein großer Pluspunkt ist dagegen aber das Orchester unter der Leitung von Hanna Klose, die ihre Musikerinnen und Musiker zu Höchstleistungen antreibt. Die Musik, die Andrew Lloyd Webber für dieses Stück geschrieben hat, zählt mit zu seinen komplexesten und schönsten Kompositionen – und das Orchester meistert jede Note der Partitur mit Bravour. Ausladende Streicherklänge wechseln sich ab mit martialisch knatternden Blechbläsern, auf melancholische Balladen folgen große Ensemblenummern.
So ist „Sunset Boulevard“ am Theater Heidelberg musikalisch opulent und inszenatorisch äußerst gelungen, der Genuss wird aber durch den teilweise wirklich miserablen Ton getrübt – neben zu spät geöffneten Mikrofonen ist vor allem die schlechte Abmischung ein Ärgernis, da der Gesang im mächtigen Orchestersound untergeht, was der Textverständlichkeit wenig dienlich ist.
Text: Dominik Lapp