Theater Osnabrück (Foto: Dominik Lapp)
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Kontrastreich: „Spieltriebe 6“ in Osnabrück

Mittlerweile zum sechsten Mal veranstaltete das Theater Osnabrück das Festival „Spieltriebe 6“. Dabei ging es am vergangenen Wochenende, ausgehend vom Theater am Domhof, auf fünf unterschiedlichen Routen kreuz und quer durch Osnabrück, wo an verschiedenen Spielorten Theater gespielt wurde. Die Zuschauer erlebten pro Route drei bis vier Stücke aus Sprech-, Musik- und Tanztheater. Insgesamt neun Uraufführungen, zwei deutschsprachige Erstaufführungen und zwei neu inszenierte zeitgenössische Stücke standen auf dem Programm. Auf der roten Route von „Spieltriebe 6“, die unter dem Motto „Mit gezücktem Revolver“ stand, waren „paradies fluten“, „Der finstere Plan der Vintila Radulezcu“ und „Alice im Wunderland“ zu sehen

„paradies fluten“ von Thomas Köck

Bei „paradies fluten“ handelt es sich um ein Auftragswerk des Theaters Osnabrück, das als Tanztheater von Mauro de Candia inszeniert und choreografiert wurde. Der Stücktext des Autors Thomas Köck wird dabei nur auszugsweise verwendet. Als Koproduktion von Schauspiel- und Tanzsparte beginnt der Abend mit zwei Erzählsträngen. In Manaus, Brasilien, im Jahr 1890 boomt der Kautschuk und ein Opernhaus für die Gummibarone soll gebaut werden. Bei der European Homecare im Jahr 2017 hingegen verkauft eine Tänzerin das Haus ihrer Eltern, um mit dem Erlös ihr Tänzerinnenleben für die nächsten sieben Jahre querfinanzieren zu können.

Die moderne Dichtung von Thomas Köck wird von Marie Bauer, Anne Hoffmann, Stefan Haschke und Orlando Klaus mitreißend dargeboten. Dabei integrieren sich die vier Schauspieler exzellent in das Tanzensemble, das ganz ohne Musik auskommt und immer wieder auch als Sprechchor fungiert. So verschmelzen Schauspiel- und Tanzensemble zu einer Symbiose und tragen die Botschaft des Stücks mit ihrem aktuellen Zeitbezug über die schwarze leere Bühne mit ihren weißen Versatzstücken raus ins Auditorium.

„Der finstere Plan der Vintila Radulezcu“ von Martín Zapata

Im Anschluss an die Vorstellung von „paradies fluten“ geht es auf der roten Route mit dem Busshuttle in den Osnabrücker Hafen, wo einer der drei Speicher als Spielort für „Spieltriebe 6“ genutzt wird. Die Speicher wurden in den 1930er Jahren von den Nationalsozialisten als Heeresverpflegungslager gebaut und waren bis 2008 ein Teil der britischen Winkelhausen-Kaserne. Regisseur Ron Zimmering hat hier mit „Der finstere Plan der Vintila Radulezcu“ ein herrliches Kammerspiel inszeniert, das in diesen leer stehenden Speicher so wunderbar passt wie wohl kaum ein anderes Stück. In der puristischen Location minimalistisch inszeniert, lässt Zimmering seinem Schauspielerpaar Anne Hoffmann und Thomas Kienast viel Raum, um sich ein immer schneller aufbauendes Wortgefecht zu liefern und dabei zu Höchstform aufzulaufen.

Beide Schauspieler geben ihre Rollen sehr vielschichtig und verstehen es hervorragend, die Handlung genauso witzig wie spannend voranzutreiben und immer wieder neue Seiten an ihren Charakteren zu offenbaren, so dass es für den Zuschauer bis zum Schluss kaum einzuordnen ist, wer nun der Gute und wer der Böse ist. In einem in Zeitlupe dargestellten Kampf überzeugen Hoffmann und Kienast außerdem mit grandioser Mimik. Auch weil es keine räumliche Trennung zwischen Bühne und Auditorium gibt und die Zuschauer inmitten der Handlungsfläche sitzen, entsteht eine sehr intime Atmosphäre bei dieser spannenden Agentengeschichte, die wie ein überzeichneter Krimi inszeniert wurde. Großartig!

„Alice im Wunderland“ von Thomas Zaufke (Musik) und Henry Mason (Text)

Nach der Vorstellung von „Der finstere Plan der Vintila Radulezcu“ geht es mit dem Bus weiter zur ehemaligen Turnhalle der Winkelhausen-Kaserne, die inzwischen unter dem Namen Hoppla-Spielarena als Indoor-Spielplatz dient und beim Spieltriebe-Festival als Spielort für das Musical „Alice im Wunderland“ dient. Doch fällt dieses Stück ein wenig aus dem Rahmen und mag so gar nicht zum Routenmotto „Mit gezücktem Revolver“ passen – vor allem nicht, wenn man weiß, dass für die rote Route bei „Spieltriebe 6“ ursprünglich Stephen Sondheims Musical „Assassins“ („Attentäter“) geplant war.

Doch nun, wo die Wahl auf „Alice im Wunderland“ gefallen ist, hat man mit der Hoppla-Spielarena den perfekten Aufführungsort für dieses Stück gefunden. Hier werden Trampoline zum Zuhause des verrückten Hutmachers oder eine Wellenrutsche zum Eingang ins Wunderland – und die Linie der skurrilen Kulisse wird in den ausgefallenen Kostümen gelungen fortgeführt. Durch die abstruse Handlung, die sich recht nah an der Buchvorlage von Lewis Carroll orientiert, führen neun Darsteller vom Institut für Musik der Hochschule Osnabrück, die wiederum von drei bestens aufgelegten Musikern (Klavier, Kontrabass, Schlagzeug) begleitet werden.

Nach den starken Stücken „paradies fluten“ und „Der finstere Plan der Vintilia Radulezcu“ fällt „Alice im Wunderland“ insgesamt jedoch ab – zu albern, zu entbehrlich, zu unpassend für diese Route. Die Musik von Thomas Zaufke klingt zwar recht gefällig und geht gut ins Ohr, bleibt aber doch zu belanglos und bietet kaum Ohrwurmpotenzial. Den schönsten Song des Abends darf dann aber immerhin Hauptdarstellerin Lasarah Sattler singen, die als Alice durch ihre schauspielerische Authentizität glänzt. Auch alle anderen Protagonisten haben ihre Rollen sehr gut verinnerlicht und bringen eine mehr als solide Leistung. Das schwache Stück selbst vermögen sie aber nicht zu retten.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".