„Rebecca“ (Foto: Deen van Meer)
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Äußerst hochkarätig: „Rebecca“ in Wien

Seit seiner Uraufführung hat das Musical „Rebecca“ aus der Feder von Michael Kunze (Buch und Liedtexte) und Sylvester Levay (Musik und Orchestrierung), basierend auf dem gleichnamigen Roman von Daphne du Maurier, einen Siegeszug durch viele Länder weltweit erlebt und Kritikerinnen und Kritiker sowie Fans gleichermaßen begeistert, fasziniert und in seinen Bann gezogen. Jetzt kehrt der weltberühmte Thriller unter der Regie von Francesca Zambello zurück an den Ort seiner Geburtsstätte. Es ist der Ort, an dem einst alles begann: Das Raimund Theater in Wien, wo sich jetzt, nach knapp 16 Jahren, erneut der Premierenvorhang hob.

Es ist die Geschichte einer Erinnerung. Eine junge, schüchterne Frau, die im Musical nur „Ich“ (Nienke Latten) genannt wird, verliebt sich während ihrer Arbeit als Gesellschafterin für die reiche Amerikanerin Mrs. Van Hopper (Ana Milva Gomes) im Monte Carlo der 1920er Jahre in den wohlhabenden, charmanten, gut aussehenden Witwer Maxim de Winter (Mark Seibert). Die beiden heiraten nach wenigen Tagen, so dass „Ich“ ihrem Gatten auf seinen Landsitz in Cornwall, Manderley, folgt. Doch das Leben auf Manderley ist für die junge Frau alles andere als einfach, regiert dort immer noch der Schatten von de Winters verstorbener Ehefrau Rebecca, der vor allem von der Haushälterin Mrs. Danvers (Willemijn Verkaik) krampfhaft am Leben gehalten wird.

Nienke Latten gibt in der Rolle der „Ich“ ihr Wien-Debut. Ihre Protagonistin ist eine schöne und schüchterne, aber zugleich unwahrscheinlich neugierige, offene, sympathische und an das Gute im Menschen glaubende Frau, die im Laufe des Stücks die für sie nötige Entwicklung, Reife und Tiefe erfährt. Erfolgreich mausert sich „Ich“ von dem kleinen, unscheinbaren Mädchen, das in Maxim de Winter seinen starken Helden sieht, zu einer eigenständigen, selbstbewussten Persönlichkeit, die den Geheimnissen auf Manderley auf den Grund geht und letztendlich ihrem Ehemann in seiner dunkelsten Stunde kameradschaftlich und schützend zur Seite steht. Auch stimmlich besticht Latten auf den Punkt von Anfang bis Ende und überzeugt mit wunderbarem, überraschend starkem Sopran, der von der ersten Minute aufhorchen lässt. Eine wahre Glanzleistung.

Mark Seibert kreiert den Herrenhausbesitzer klassisch sowie sehr stilvoll und erfüllt hierbei alle Erwartungen. Äußerst charmant lässt er als Witwer das Herz der jungen Frau höherschlagen – und dennoch wird sehr früh deutlich, dass de Winter ein großes Päckchen mit sich zu tragen hat. Was geschah wirklich mit ihm und Rebecca? Was hat er mit ihrem Tod zu tun? Und was sorgte dafür, dass die Liebe zwischen den beiden nicht das war, was das Publikum vorerst annimmt? Seibert gelingt es äußerst zeitnah, authentisch durchscheinen zu lassen, was tatsächlich in seiner Figur vorgeht. Impulsiv und verzweifelt reagiert er, als seine junge Gattin immer mehr Einblicke in das Leben auf Manderley erhält, was nicht zuletzt im dramatischen Ende des Maskenballs gipfelt. Mark Seibert, der gefühlt alle großen Rollen des Musicalgenres bereits gespielt hat, schafft es auch als Maxim de Winter, schauspielerisch wie gesanglich mühelos und nachdrücklich zu überzeugen. Sein entscheidender Zusammenbruch in „Kein Lächeln war je so kalt“ holt letztendlich alle versteckten Gefühle und Geheimnisse kraftvoll und ungeschönt ans Tageslicht und ist zugleich der nötige Wendepunkt in der dramatischen Storyline.

Die berühmten Fäden laufen allerdings bei jemand anderem zusammen: Es ist die Haushälterin Mrs. Danvers, die die Geschicke auf Manderley lenkt und den Geist der verstorbenen Rebecca in jeder Ecke am Leben erhält. Auch für Willemijn Verkaik hat nach einer grandiosen Erfolgsserie in den Niederlanden, Deutschland und sogar am West End und Broadway der Weg ihrer Karriere erstmalig nach Wien geführt. Und man kann sagen, zu Recht: Haben die Vereinigten Bühnen Wien mit ihr doch eine Mrs. Danvers der Extraklasse gewonnen. Man spürt mit den ersten, sehr intensiv angelegten Tönen, dass Rebecca für Mrs. Danvers eine entscheidende, emotionale Bedeutung hatte. Es sind die ganz tiefen Gefühle und die überwältigende Trauer um ihre ehemalige Hausherrin, sowie die sich immer stärker aufbauende Ablehnung gegenüber der neuen Mrs. de Winter, die Verkaik, nicht zuletzt dank ihrer äußerst schönen Stimmfarbe und dem zugleich kräftigen gesanglichen Volumen beeindruckend darstellt und verkörpert. Zudem überzeugt sie in Ausdruck und Spiel mit einer Präsenz, die einen einerseits tief mitfühlen lässt und zugleich beinahe den Atem nimmt. Es entsteht eine spannende Beziehung zwischen Pro- und Antagonistin, die man zu Beginn nicht so recht einordnen kann. Wohin führt Verkaik ihre kontrollierte und zugleich sehr leidenschaftliche Mrs Danvers in der Beziehung zu der jungen Mrs de Winter? Die „Rebecca“-Reprise, die weltberühmte Balkon-Szene, ist auch in Wien im Jahre 2022 ohne Zweifel der vom Publikum sehnlichst erwartete Höhepunkt des Abends und wird gefühlt minutenlang frenetisch mit Applaus gefeiert und belohnt.

Mit Ana Milva Gomes wurde eine elegante, divenhafte und zugleich sehr amüsante Mrs. Van Hopper verpflichtet. Gomes gelingt es hervorragend, den vergleichsweise kleinen Rollenpart der reichen Amerikanerin authentisch und charmant auszufüllen. Ihr Auftritt beim Maskenball zum Ende des ersten Aktes wird nicht zuletzt dank ihrer fantastischen Stimme und ihrer großartigen Mimik in der doch immer bedrohlicher werdenden Handlung ein funkelnder Höhepunkt.

Als ein weiterer starker und sehr dankbarer Frauencharakter darf Maxims Schwester Beatrice, genannt Bee, neben ihrem liebenswürdigen Mann Giles (Florian Fetterle), in der Riege der Damen nicht fehlen. Dem Wiener Publikum ist Annemieke van Dam spätestens seit „Elisabeth“ und „Mary Poppins“ bestens bekannt und hat hier die erleichternde Aufgabe, einen Charakter zu kreieren, der sowohl für „Ich“, aber auch für Maxim, als ein Fels in der Brandung gilt. Wie gewohnt stimmlich klangvoll und stark sowie schauspielerisch leidenschaftlich und wunderbar authentisch, wird ihre Beatrice zu einem kleinen, aber feinen Mittelpunkt.

Dennoch könnten all die kraftvollen Frauenrollen, die „Rebecca“ letztendlich ausmachen, ohne die Unterstützung der Vielzahl an Herrencharakteren nicht bestehen. Boris Pfeifer gelingt ein düsterer, verschlagener, ironischer und schmieriger Jack Favell meisterhaft, James Park ist nach seinem Erfolg bei „Miss Saigon“ in der vergangenen Wiener Spielzeit ein dankbarer, sehr verlässlicher und standhafter Verwalter Frank Crawley und nicht zuletzt Aris Sas als Strandbewohner Ben, der letztendlich das Licht ins Dunkel bringt, zeichnet seinen Charakter authentisch und sehr gefühlvoll. Ensembleszenen der Hotelgäste in Monte Carlo, der Dienstboten auf Manderley oder der Küstenbewohner am Strand, werden dank der wunderbaren, sehr ausdrucksstarken und spielfreudigen Cast und den exzellent ausgefeilten Choreografien von Simon Eichenberger zu einem wahren Hingucker und Genuss.

Zudem wäre „Rebecca“ in Wien nichts ohne das fantastische Orchester der Vereinigten Bühnen unter der Leitung von Herbert Pichler. Äußerst klangvoll vertonen die Musikerinnen und Musiker den Musicalthriller leidenschaftlich sowie präzise und lassen das Publikum bereits mit der Ouvertüre in die Handlung eintauchen. Große Melodien, allen voran die tragende Titelnummer, lebendige Untermalungen und wiederkehrende eindrückliche Reprisen wechseln sich ab – es ist die von Sylvester Levay so erfolgreich komponierte Musik, die den Bühnencharakteren auf den Leib geschrieben wurde und somit jedem seine eigene nachdrückliche Note gibt.

Nachdem im deutschsprachigen Raum auch spannende Freilichtinszenierungen von „Rebecca“ das Licht der Welt erblickten (Tecklenburg, Regie: Andreas Gergen; Magdeburg, Regie: Erik Petersen), ist das Stück in Wien eine gelungene Neuinszenierung der Originalproduktion und erinnert in der Arbeit von Francesca Zambello stark an die Wiener (2006) und Stuttgarter (2011) Fassung, wo die Amerikanerin bereits erfolgreich Regie führte. Es ist das bombastische Bühnenbild (Peter J. Davison), das vor allem den zugleich pompösen als auch dunklen, mysteriösen Landsitz Manderley hervorragend aufleben lässt, zugleich aber auch die Storyline mit Details, wie dem Bootshaus oder der Stube von Beatrice und Giles, liebevoll unterstreicht. Frische Kostüme im Stil der 1920er Jahre (Birgit Hutter) geben der Handlung sowohl zu Beginn in Monte Carlo also auch im späteren Verlauf auf Manderley eine authentische Note.

Neu ist ein präziserer Einsatz an Projektionen (Licht: Mark McCullough, Videodesign: Katy Tucker, Sound: Thomas Strebel), welche die Übergänge noch greifbarer und realistischer werden lassen. Äußerst gelungen ist hierbei der fließende Wechsel zum großen Showdown, als bereits die Flammen höher schlagen und man nur erahnen kann, welche Katastrophe die de Winters bei ihrer Rückkehr auf den Landsitz erwarten lässt. Der Brand auf Manderley und das jedes Mal vom Publikum sehnlichst erwartete, feurige Finale zieht in Wien alle Register. Dank exzellenter Pyrotechnik erreicht Willemijn Verkaik als letztendlich verzweifelte Haushälterin ihr Ziel, löscht alles Lebendige aus und lässt das Schloss im lodernden Feuer untergehen. Es ist ein von Jubel begleiteter Showdown der Extraklasse.

Hochkarätig besetzt und bis ins kleinste Detail ausgeschöpft, ist den Vereinigten Bühnen Wien ein äußerst nachdrücklicher Premierenabend auf sehr hohem Niveau gelungen. „Rebecca“ hat definitiv seinen Weg nach Hause gefunden und wird sicher auch zukünftig das Publikum in seinen Bann ziehen. Es ist eine Erfolgsgeschichte, die bereit ist, fortgeführt zu werden.

Text: Katharina Karsunke

Katharina Karsunke ist Sozial- und Theaterpädagogin, hat jahrelang Theater gespielt, aber auch Kindertheaterstücke geschrieben und inszeniert. Ihre Liebe fürs Theater und ihre Leidenschaft fürs Schreiben kombiniert sie bei kulturfeder.de als Autorin.