„Mord im Orientexpress“ auf Tour (Foto: Dominik Lapp)
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Meisterhaft auf die Bühne gebracht: „Mord im Orientexpress“ auf Tour

Wenn aus einem klassischen Whodunit ein packendes Theatererlebnis mit filmischer Dynamik, tiefer Figurenzeichnung und einem Hauch Art Déco wird, dann steckt dahinter nicht bloß ein cleverer Krimi, sondern eine herausragende Inszenierung. Der Veranstalter Showslot, bislang vor allem für Musicalproduktionen bekannt, wagt mit Agatha Christies „Mord im Orientexpress“ den Schritt in den Schauspielbereich – und landet direkt einen Volltreffer.

Regisseur Christoph Drewitz gelingt ein Kunststück: Er nimmt den Stoff ernst, ohne ihm die notwendige Leichtigkeit zu nehmen. Wo andere Inszenierungen Gefahr laufen, ins Überdrehte abzurutschen, bleibt seine Version stilsicher, spannend – und erlaubt sich nur punktuell kleine komödiantische Auflockerungen. Die Figuren sind präzise gezeichnet, ihre Beziehungen sorgsam herausgearbeitet. Jeder Charakter bekommt seinen Moment, jede Szene trägt zum klugen Gesamtbild bei.

„Mord im Orientexpress“ auf Tour (Foto: Dominik Lapp)

Das Herzstück der visuellen Umsetzung ist das herausragende Bühnenbild von Adam Nee, das mit einer ebenso simplen wie genialen Idee aufwartet: Der legendäre Orientexpress wird nicht durch Waggons dargestellt, sondern durch satinierte Acrylglasplatten, die in ein rundes, über der Bühne schwebendes Metallgestell eingehängt sind. Dieses Gestell erinnert vage an Gleise – und sobald sich die Platten in Bewegung setzen, scheint der Zug tatsächlich zu fahren. Die Szenenbilder wechseln wie von Zauberhand, das Licht von Andrew Exeter taucht alles in geheimnisvolles Glühen, und durch seitlich eingesetzte LEDs erstrahlt das Art Déco in dem Acrylglas. Es ist eine dynamische, fast filmische und sehr hochwertige Ästhetik, die das Publikum regelrecht in die Geschichte hineinzieht.

Unterstützt wird diese Wirkung durch eine bemerkenswerte Choreografie von Bart De Clercq, die für ein Schauspiel überraschend ist – aber hier absolut sinnvoll. Übergänge, Bewegungen, ganze Szenenwechsel erfolgen zur Musik und in choreografierter Präzision, was der Inszenierung eine weitere Eleganz verleiht.

Apropos Musik: Marian Lux hat diese eigens während der Probenphase komponiert – und das merkt man. Die Musik schmiegt sich perfekt an die Szenen, unterstreicht Spannung, erzeugt mysteriöse Atmosphäre und hält die Zuschauerinnen und Zuschauer unmerklich in einem emotionalen Spannungsbogen.

„Mord im Orientexpress“ auf Tour (Foto: Dominik Lapp)

So viel Ästhetik wäre jedoch wertlos ohne ein starkes Ensemble – und auch hier liefert die Produktion auf ganzer Linie. Cusch Jung gibt den Meisterdetektiv Hercule Poirot mit eleganter Zurückhaltung, messerscharfem Intellekt und feiner Ironie. Sein Spiel ist souverän und durchdacht, seine Präsenz dominiert die Bühne, ohne sie zu erdrücken. Ihm gut zur Seite steht Sebastian Achilles als Monsieur Bouc – charmant und voller Energie, ein idealer Kontrast zu Poirot.

Simon Rusch überzeugt als Schaffner Michel mit feiner Beobachtungsgabe und einem Gespür für stille Zwischentöne. Johannes Huth übernimmt gleich zwei Rollen: Als zwielichtiger Ratchett bringt er unterschwellige Bedrohung ein, als Oberst Arbuthnot wiederum Disziplin und kühle Entschlossenheit. Fabian Baecker als Hector MacQueen brilliert in der Rolle des nervösen Assistenten – zerrissen, überfordert, glaubwürdig bis in jede Geste.

„Mord im Orientexpress“ auf Tour (Foto: Dominik Lapp)

Ein besonderes Highlight sind die Damen des Ensembles: Sylvia Moss verleiht der Prinzessin Dragomiroff aristokratischen Glanz und trockenen Humor. Michaela Schmid als Helen Hubbard ist ein stimmgewaltiger Wirbelwind, pointiert, lebendig, dabei nie karikaturesk. Pamina Lenn spielt Mary Debenham mit Würde und geheimnisvoller Doppeldeutigkeit, während Yasmina Hempel als Gräfin Andrenyi mit Glanz, Grazie und faszinierender Zurückhaltung glänzt. Und schließlich Glenna Weber als schwedische Missionarin Greta Ohlsson – ihr Spiel ist feinfühlig, mit einem Hauch Naivität, der genau das richtige Maß an Tragik transportiert.

Auch die Kostüme, wie das Bühnenbild von Adam Nee, verdienen höchsten Respekt: Aufwändig gefertigt, detailverliebt und stilistisch präzise, lassen sie die Zeit der Handlung lebendig werden. Besonders die Roben von Prinzessin und Gräfin funkeln wortwörtlich in jeder Szene.

Dass Showslot mit dieser Produktion neue Wege geht, zeigt Mut – und das richtige Gespür für Publikumserwartungen. Wer sonst nicht ins Theater geht, aber Krimis liebt oder Agatha Christie kennt, wird hier begeistert abgeholt. Die Ankündigung einer Theaterversion von „The Da Vinci Code“ für das Jahr 2026 zeigt, dass man diesen Weg konsequent weitergehen möchte – und mit „Mord im Orientexpress“ ein vielversprechendes Fundament gelegt hat.

Was bleibt, ist der Eindruck eines Theaterabends, der alles hat: Spannung, Stil, Humor, große Schauspielkunst und eine visuelle Kraft, die man im Schauspielbereich nicht immer erlebt. Kurzum: Diese Inszenierung ist der Beweis, dass Tour-Theater auf höchstem Niveau möglich ist – und dass das Genre Krimi auf der Bühne mehr ist als nur Mord und Aufklärung. Es ist ein Spiel mit Wahrheit, Identität und Moral – und hier wird es meisterhaft auf die Bühne gebracht.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".