„Die letzten fünf Jahre“ (Foto: S. Sennewald)
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Zartbittere Geschichte: „Die letzten fünf Jahre“ in Bad Hersfeld

Die Besonderheiten des Kultursommers 2020 und alle damit einhergehenden, ungewöhnlichen Umstände stellen die Freilichttheater hierzulande vor große, nie zuvor dagewesene Herausforderungen. Die Festspielstadt Bad Hersfeld hat diese Situation dennoch zum Anlass genommen, um rasch ein kreatives Alternativprogramm zu erarbeiten und die 70. Festspiele schweren Herzens auf 2021 zu verlegen. „Ein anderer Sommer“ heißt es jetzt in der Stiftsruine und angrenzenden Spielstätten, und das Kammermusical „Die letzten fünf Jahre“ unter der Regie von Gil Mehmert ist sicher ein kleiner Höhepunkt in der abwechslungsreichen, spontanen Spielzeit, welche von dem sich nach Live-Unterhaltung sehnenden Theaterpublikum dankbar angenommen wird.

Die letzten fünf Jahre“ mit Musik und Liedtexten von Jason Robert Brown feierte 2005 in seiner deutschen Fassung Premiere und wurde seitdem unzählige Male hierzulande aufgeführt. Auch im Corona-Sommer 2020 stellt es ein äußerst prädestiniertes Stück dar: Befinden sich doch lediglich zwei Menschen auf der Bühne, die zwar viel miteinander agieren, aber dennoch in nur einer einzigen Szene aufeinandertreffen.

Es ist die (alltägliche) Geschichte von Liebe und Enttäuschung, Hoffnung und Zweifeln, Ängsten und Zuversicht. Cathy (Bettina Mönch) und Jamie (Armin Kahl) stehen zum Beginn des Stückes vor dem Trümmerhaufen ihrer gescheiterten Beziehung. Gezeichnet von den letzten fünf Jahren, beginnen sie, die Trennung aufzuarbeiten, ja, versuchen die Situation irgendwie anzunehmen und das Vergangene zu bewältigen. Bereits mit den ersten Takten wird deutlich, dass Cathy und Jamie ihre Geschichte völlig selektiv wahrnehmen und wiedergeben. Während Cathy die vergangenen Zeiten quasi rückwärts durchlebt, beginnend ab der Trennung bis hin zurück zum ersten Kennenlernen, denkt Jamie zunächst an den Beginn der gemeinsamen Zeit und erzählt in seiner Sichtweise die Beziehung chronologisch. Am Ende ist ein Scherbenhaufen alles, was übrigbleibt.

Sichtlich leidend und am Boden zerstört, beginnt Cathy, auf die letzten fünf Jahre zurückzublicken. Man kann beinahe sagen, es ist schmerzhaft, ihr zuzuhören, so traurig und filigran ist ihr Anblick, so gebrochen und verzweifelt sind ihre Worte. Bettina Mönch nimmt den Zuschauer bereits hier mit auf eine zerbrechliche Reise und berührt vom ersten Augenblick an. Ihr stimmlicher Ausdruck ist stark, intensiv und äußerst klangvoll, ihr Schauspiel bis ins kleinste Detail greifbar und mit jeder Geste überzeugend. Sehr bewegend und liebevoll zeichnet sie die Konturen von Cathys verletzter Seele nach und verleiht ihr eine tiefgehende Authentizität.

Jamie zeigt sich als das komplette Gegenteil. Sprudelnd, ja schon überschäumend und volltrunken vor Glück, schwärmt er direkt vom ersten Kennenlernen und von „seiner Göttin.“ Armin Kahl gelingt es herausragend, den euphorischen jungen Mann zu verkörpern, der sich auf einem absoluten Höhenflug befindet und dadurch gar nicht erst bemüht ist, seine Glücksgefühle im Zaum zu halten. Hinzu kommt bei ihm großer beruflicher Erfolg als Schriftsteller, etwas, das sich wie ein roter Faden durch das Stück und die fünf Jahre Beziehung ziehen wird. Voller Elan, voller Euphorie und stimmlich eindrucksvoll nimmt Kahl ohne Mühe und mit viel Sympathie die Bühne für sich ein, um somit dem Publikum seine Perspektive glaubhaft nahe zu bringen.

„Die letzten fünf Jahre“ (Foto: Katharina Karsunke)

Die beiden Protagonisten harmonieren bereits hier ausgezeichnet: Sie stellen sich der Komplexität, zwar fast keine Szene miteinander zu spielen, aber dennoch haargenau und auf den Moment abgepasst, miteinander zu interagieren. Es werden Möbel verschoben, Requisiten übergeben, Gesten angenommen. Dies alles gelingt hervorragend, auf den Punkt genau und ohne die Handlungsabfolge verwirrend erscheinen zu lassen. Zudem wiegen sie sich nicht in der Sicherheit eines anwesenden, unterstützenden Ensembles, sondern nehmen die Bühne für sich alleine ein und schaffen es, mit nachhaltiger Präsenz zu überzeugen.

Es ist eine völlig neue Bühnenkonstellation in der Stiftsruine, die einen intimen Zuschauerrahmen und eine Atmosphäre bei „Die letzten fünf Jahre“ schafft, welche wohl so auf ihre Art und Weise außergewöhnlich bleiben wird. Zudem sorgen einige wenige, aber sehr passend herausgesuchte Requisiten, die schnell und flüssig verwendet werden und eine auf den Punkt abgestimmte Lichteinstellung für ein einzigartiges Flair. Fünf Musiker (Violine: Takashi Bernhöft, Cello: Kate Green und Pirkko Langer, Gitarre: Rüdiger Nass, Bass: Alex Uhl) unter der Leitung von Christoph Wohlleben (Klavier) finden ihren Platz sichtbar auf der Bühne und unterstreichen das Geschehen mal mit sanften, mal mit energisch-harten, aber auch mal mit jazzigen Tönen. Die Handlung lässt sich durch 14 Lieder tragen, es fällt kaum ein gesprochenes Wort.

Der heimliche Schatz dieses besonderen Musicals sind die jeweiligen spiegelverkehrten Erzählweisen. Der aufmerksame Zuschauer erlebt Parallelen, welche Gil Mehmert in seiner Inszenierung ganz wunderbar zum Vorschein kommen lässt und spürt, wie sich die Geschichte am Ende fügt. Den Höhepunkt stellt die Hochzeit des verliebten Paares dar. Es ist das einzige Duett der beiden und der Moment, als sich ihre Erzählstränge kreuzen. „Willst du dein Leben mit mir teil’n?“, heißt es, als Cathy und Jamie miteinander vereint sich die ewige Liebe versprechen und von einer gemeinsamen Zukunft träumen.

Doch am Ende ist es kein Weg mehr Hand in Hand. Und während Cathy sich schließlich in den Erinnerungen an die Anfangsjahre verliert, einer Zeit, als sie Glück, Hoffnung und Zuversicht umgaben und Bettina Mönch jugendlich leicht und unbeschwert dort anknüpft, wo ihr Bühnenpartner einst begann, sieht Jamie der für ihn bitteren Realität ins Auge. Nichts ist mehr geblieben von seiner anfänglichen Unbeschwertheit, vergangen ist die sorglose Verliebtheit. Sein beruflicher Erfolg, gepaart mit Cathys erfolgloser Karriere, selektive Sichtweisen und das teils fehlende Verständnis für den anderen sind letztendlich einige der Gründe, woran die Beziehung der beiden zerbricht. Mit einem Abschiedsbrief setzt Jamie den gemeinsamen Jahren ein Ende, so dass es mit den allerletzten Worten nur noch heißt: „Mach‘s gut.“

Gil Mehmerts Inszenierung von „Die letzten fünf Jahre“ stimmt nachdenklich und schafft es, tiefgehend zu berühren. Das Ende ist traurig – und dennoch mit einem Hauch Hoffnung versehen. Hoffnung auf einen Neubeginn. Vielleicht übertragbar auf diesen „anderen Sommer“ in Bad Hersfeld. Definitiv anders als geplant, mit einem etwas bitteren Beigeschmack und dennoch so überraschend leicht und zauberhaft. Denn „wär’ die Welt perfekt, dann gäb’ es jetzt ein Wunder.“

Text: Katharina Karsunke

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Katharina Karsunke ist Sozial- und Theaterpädagogin, hat jahrelang Theater gespielt, aber auch Kindertheaterstücke geschrieben und inszeniert. Ihre Liebe fürs Theater und ihre Leidenschaft fürs Schreiben kombiniert sie bei kulturfeder.de als Autorin.