„Kasimir und Karoline“ in Hannover (Foto: Dominik Lapp)
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Wie im Drogenrausch: „Kasimir und Karoline“ in Hannover

Im Jahr 1932 brachte Ödön von Horváth sein Volksschauspiel „Kasimir und Karoline“ zur Uraufführung. Als Auftragswerk der Staatsoper Hannover wurde der Stoff dort nun als Musical von Martin G. Berger (Buch und Songtexte), Jherek Bischoff (Musik) und Martin Mutschler (Buch) uraufgeführt. Das Stück spielt bei Horváth „in unserer Zeit“, was zum Zeitpunkt der Uraufführung die Zeit der Weltwirtschaftskrise, also das Jahr 1929 war. In der Musicalversion ist „unsere Zeit“ nun die Gegenwart. Hier hat es Autor Martin G. Berger, der auch Regie führt, angesiedelt und zeigt ein zeitgenössisches Spektakel, eine schillernde Möchtegern-Gesellschaftskritik wie im Drogenrausch.

Die Handlung, eigentlich auf dem Münchner Oktoberfest des Jahres 1929 angesiedelt, wird von Berger in eine Gegenwartsnacht transformiert, in der die Protagonisten, Kasimir und Karoline, durch verschiedene Clubs ziehen. Er, der Geflüchtete, hat gerade seinen Job in einer Autowerkstatt verloren – nun droht ihm die Abschiebung. Sie, die Friseurin im Adidas-Outfit (Kostüme: Esther Bialas), erhofft sich eine neue Zukunft – zunächst mit dem Studenten Eugen, dann mit dem Universitätsdekan Speer.

Auf der Bühne herrscht eine düstere Stimmung voller Gewalt, Kriminalität, Frauenfeindlichkeit und sozialer Ungerechtigkeit. Im Zentrum ist ein Club zu sehen, dessen Fassade rundherum mit Glühlampen bestückt wurde (Bühnenbild: Sarah-Katharina Karl). Wenn die Mitwirkenden den Club betreten, öffnet sich die Fassade jedoch nicht, um für das Publikum den Blick ins Innere freizugeben. Regisseur Martin G. Berger (inszenierte unter anderem auch „Cosi fan tutte“ in Hannover) hat sich für einen anderen Kniff entschieden: Er lässt ganze Szenen in dem Gebäude spielen, Songs darin singen – alles, was im Inneren passiert, wird mittels Kamera auf eine große Leinwand übertragen, die aus dem Schnürboden herabgesenkt wird.

Solche Kamera-Spielereien sind gewissermaßen Bergers Markenzeichen. Schon 2016 waren sie ein zentrales Element in seiner Inszenierung von „Jesus Christ Superstar“ am Theater Trier, wo er ebenfalls mit Bühnenbildnerin Sarah-Katharina Karl zusammengearbeitet hat. Für das Publikum bedeutet es allerdings, dass man das Bühnengeschehen minutenlang nur auf einer Leinwand verfolgen kann, was schnell langweilt, weil die Kamera jederzeit den Fokus vorgibt und man nicht sehen kann, was links und rechts außerhalb des Kamerabildes geschieht. Dadurch verliert der erste Akt enorm, im zweiten Akt rückt Berger dann jedoch von diesem Konzept ab. Die Kamera ist nicht mehr im Spiel, die Fassade des Clubs letztendlich doch aufgebrochen. Ein wirkliches Konzept lässt sich so nicht erkennen, es wirkt vielmehr beliebig, wie die Kamera im ersten Akt eingesetzt wird und im zweiten verschwindet.

Konzeptlos wirkt zudem die Musik von Jherek Bischoff, der im Programmheft mit den Worten zitiert wird, dass in der Musik, die er für „Kasimir und Karoline“ geschrieben hat, alle musikalischen Stile zusammenkommen, in denen er bisher komponiert hat. So klingt es letztendlich auch – wie ein musikalisches Allerlei, mal mit großen Orchesterpassagen, mal nur mit Gitarre, mal der Orchesterklang unterlegt mit elektronischer Musik. Das Niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Maxim Böckelmann macht im Graben wie gewohnt einen fantastischen Job, aber so wirklich ankommen mag die Musik nicht. Insbesondere die elektronischen Klänge klingen viel zu beliebig.

Einziger Lichtblick der Produktion sind die Mitwirkenden auf der Bühne – sowohl die festen Ensemblemitglieder als auch die engagierten Gäste. Allen voran begeistert hier Drew Sarich in der Rolle der Juanita. Wie eine Conférencieuse führt Sarich durch die Story und durchbricht dabei immer wieder die vierte Wand, um sich direkt ans Publikum zu wenden und fabelhaft damit zu spielen. Darüber hinaus singt er fantastisch – bleibt aber partiturbedingt hinter seinen stimmlichen Möglichkeiten zurück – und begleitet sich auch selbst auf der Gitarre. Außerdem darf er die sehenswertesten Kostüme tragen: Mal im Lack-Zweiteiler, mal im Kleid, mal im knappen pinken Cowgirl-Dress. Drew Sarich ist eine Wucht!

Seine Kolleginnen und Kollegen stehen ihm allerdings in nichts nach. Sophia Euskirchen zeichnet ein schauspielerisch wie gesanglich fabelhaftes Bild von Karoline, Dejan Bucin ist ein glaubhafter Kasimir und Philipp Kapeller gefällt als Student Eugen, den er mit Witz spielt. Ketevan Chuntishvili als Erna und Yannick Spanier als Franz überzeugen mit Spielfreude, Frank Schneiders (Rauch) und Daniel Eggert (Speer) geben ein wunderbar schmieriges Altherren-Gespann. Großartig ist außerdem der Staatsopernchor, der von Lorenzo Da Rio wieder mal perfekt einstudiert wurde.

Am Ende gibt es langanhaltenden Applaus, Jubel und mehrere Vorhänge – das Publikum scheint von „Kasimir und Karoline“ vollkommen begeistert zu sein. Doch wie es oftmals das Schicksal von Auftragswerken ist, wäre es nicht verwunderlich, wenn auch dieses Musical nicht von weiteren Theatern nachgespielt wird und in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".