„Freischütz – Seele für Seele“ in Füssen (Foto: Michael Böhmländer)
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Achterbahnfahrt: „Freischütz – Seele für Seele“ in Füssen

Mit „Freischütz – Seele für Seele“ bringt Komponist Frank Nimsgern nach „Der Ring“ und „Zauberflöte“ sein drittes, auf einer Oper basierendes Musical auf die Bühne des Festspielhauses Neuschwanstein in Füssen. Doch diesmal ist vieles anders. Zwar bedient sich das Werk oberflächlich am Stoff von Webers Oper „Der Freischütz“, doch wer eine klassische Adaption erwartet, wird in eine ganz andere Welt entführt – auf einen grellbunten Jahrmarkt des 20. Jahrhunderts, bevölkert von Gauklern, Illusionisten und einem Engel auf Abwegen.

Im Zentrum der Handlung steht der Engel Sam, eigentlich Samiel, der vom Teufel magische Freikugeln erhält. Dante Sáenz verleiht dieser ambivalenten Figur eine überwältigende Präsenz: stimmlich kraftvoll, körperlich imposant, beherrscht er die Bühne mit düsterem Charisma.

Auch das weitere Ensemble agiert mit spürbarer Spielfreude. Anna-Sophie Weidinger begeistert als Karin ebenfalls mit starker Bühnenpräsenz und Stimme. Manuel Karadeniz bringt als Abel viel Feingefühl und eine beeindruckende Bühnenenergie mit. Mischa Mang fesselt als Adam mit charismatischer Ausstrahlung und kraftvollem Gesang – bis zur späten Offenbarung, dass er Karins Vater ist. Femke Soetenga verleiht ihrer Eva eine packende Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit. Anja Backus zeigt als Lilly ihre Vielseitigkeit in jeder Szene, während AMY als Maëstra eine bedrohlich-faszinierende Dominanz ausstrahlt.

„Freischütz – Seele für Seele“ in Füssen (Foto: Michael Böhmländer)

Musikalisch bleibt Nimsgern seinem typischen Stil treu. So treffen rockig-symphonische Klangwelten mit markanten E-Gitarren auf dramatische Balladen und treibende Rhythmen. Wie schon bei seinen früheren Arbeiten – ob am Friedrichstadt-Palast oder am Saarländischen Staatstheater – klingt vieles vertraut. Die Musik ist nicht durchkomponiert, sondern reiht Songs und Szenen aneinander. Das funktioniert über weite Strecken, obwohl einige Längen im Buch von Birgit Simmler nicht zu übersehen sind.

Die Texte von Simmler sind eingängig, doch oft allzu schlicht. Dafür überzeugt ihre Inszenierung mit starker Bildsprache. Das Bühnenbild und die Kostüme von José Luna verwandeln die große Bühne in einen Rummelplatz voller greller Farben und überzeichneter Kulissen mit Karussells, Achterbahn und Zaubershow. Hier wird der Jahrmarkt zur Metapher für das Leben: laut, verführerisch, gefährlich. Die Choreografie von Stefanie Gröning ist zudem wirkungsvoll und abwechslungsreich, nahtlos eingebettet in das Geschehen.

„Freischütz – Seele für Seele“ erweist sich als düsteres Rock-Musical mit biblischem Einschlag, das sich frech und fantasievoll vom Originalstoff löst. Frank Nimsgern und Birgit Simmler erzählen eine eigenständige Geschichte von Mord, Magie und Moral. Ein Musical wie eine Achterbahnfahrt – manchmal holprig, aber durchaus spannend, ist es zunächst im Füssener Festspielhaus zu sehen, bevor es im Sommer 2025 als Open-Air-Produktion bei den Luisenburg-Festspielen in Wunsiedel gezeigt wird und dort durch die beeindruckende Naturkulisse sicher noch einmal ganz anders wirkt.

Text: Christoph Doerner

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Nach seinem Studium der Musiktheaterwissenschaft, einem Volontariat sowie mehreren journalistischen Stationen im In- und Ausland, ist Christoph Doerner seit einigen Jahren als freier Journalist, Texter und Berater tätig.