„Footloose“ (Foto: Nico Moser)
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Kurzweil mit Tiefgang: „Footloose“ auf Tour

Wer kennt sie nicht, die Geschichte um das rückständige kleine Kaff irgendwo in der Pampa, in dem ein verbohrter Pfarrer gegen die bösen Folgen von Rock’n‘Roll und Drogen ein Tanzverbot durchgesetzt hat? Erst ein Rebell von außerhalb bricht die engen Grenzen auf und setzt alle footloose. Es ist eine wahre Begebenheit, die dem bekannten Kinofilm „Footloose“ von 1984 die Story und damit einer ganzen Generation den Soundtrack lieferte. 1980 wurde amerikaweit berichtet, dass die Jugend von Elmore City, eine Kleinstadt in Oklahoma, erfolgreich gegen das seit 1898 geltende Tanzverbot protestiert und nach gut 81 Jahren die erste Tanzveranstaltung organisiert hatte.

Der Film und nachfolgend auch das Musical von 1998, das jetzt in einer Neuinszenierung von Showslot auf Tour geschickt wird, machen daraus die Geschichte des Ren McCormack, der mit seiner Mutter von Chicago nach Bomont aufs platte Land ziehen muss, nachdem der Vater die Familie verlassen hat, und auf eine eingeschworene Kleinstadtgemeinde trifft, in der vor allem eines gilt: egal was man tut – jemand schaut zu.

Songs wie „Holding out for a Hero“, „Let‘s hear it for the Boy“ und natürlich den Titelsong hat wohl jeder im Ohr. Der Kinofilm ist vor allem eines: lang. Was also kann das Musical unter der Regie von Manuel Schmitt bieten? Spoiler vorab: Es gibt kein Traktorrennen, sondern stattdessen eine fantastische Tanznummer. Aber es gibt zum Beispiel Autofahrten. Die werden ausgesprochen geschickt umgesetzt, die Darsteller halten einfach stilisierte Autoteile wie Türen und Kühlergrill fest, und was in manchen Theaterstücken albern wirkt, kommt hier sehr gut. Benötigte Utensilien wie Stühle, Tische und dergleichen werden jeweils von den Darstellerinnen und Darstellern mitgebracht, das funktioniert flüssig und wirkt natürlich. Die Kostüme von Lukas Pirmin Waßmann sind zeitgemäß, teilweise passend kleinstadtbieder – und irgendjemand hat sogar alte Musikkassetten aufgetrieben. Der Bühnenhintergrund wird per Videoprojektion abwechselnd zum flachen Land mit verheißungsvollen Hügeln am Horizont, zum Sternenhimmel oder zur finsteren Hallenwand. Die Kulisse (Bühnenbild: Mara Lena Schönborn) wird aus blauen Stahlträgern einer unfallträchtigen Brücke, die sich segmentweise schieben, drehen und rollen lassen, jeweils neu gebildet, und das Spartanische dieses Bühnenbildes lässt Fantasie und darstellerischem Können wohltuende Freiheit. Kein Technik-Overkill in diesem Musical, dafür fetzige Choreografie von Timo Radünz und vor allem spielfreudige, hervorragend besetzte Darsteller, die mitreißen und keinen einzigen Moment Langeweile aufkommen lassen.

„Footloose“ (Foto: Nico Moser)

Ren McCormack ist natürlich der Held der Geschichte. Raphael Groß singt und spielt den scheinbar so coolen, in Wahrheit jedoch zutiefst verunsicherten Jugendlichen sehr sympathisch und mit der nötigen Portion Frechheit und Charme. Auch den nachdenklichen Momenten der Figur verleiht er Tiefgang und Glaubwürdigkeit.

Ariel Moore ist ein bisschen das Enfant Terrible der Gemeinde. Im Versuch, sichtbar zu werden neben der alles überstrahlenden Erinnerung an ihren toten Bruder, lässt sie offenbar jeden Jungen ran, auch den Kleinstadtgangster Chuck (herrlich überheblich gespielt von Alexander Findewirth, der auch als Cowboy Bob glänzt), doch dann findet sie in Ren plötzlich ihre große Liebe. Helena Lenn spielt die gegen innere und äußere Zwänge aufbegehrende Pfarrerstochter mit genau der richtigen Mischung aus Ratlosigkeit, Auflehnung und vorgeblicher Todessehnsucht, die in Wahrheit Sehnsucht nach Liebe ist, wunderbar warmherzig und frisch. Sie hat eine sehr schöne Stimme, die genau zur Rolle passt, und harmoniert wunderbar mit Raphael Groß.

Die wohl interessanteste Rolle des Musicals ist Reverend Shaw Moore. Er ist es, der die Wandlung durchlebt, welche die Geschichte ausmacht. Der scheinbar so engstirnige strenge Pfarrer und Vater hat eine persönliche Tragödie erlittten: Ariels älterer Bruder verunfallte mit anderen Jugendlichen in einem Auto. Was hat der Vater nur falsch gemacht, dass sein Sohn sich auf Drogen und Alkohol einließ und durch Leichtsinn ums Leben kam? Wie kann er diesen Fehler bei der Tochter vermeiden? Wie kann er seine Familie und die ganze Gemeinde vor dem Unheil bewahren? Eine ungeheure Verantwortung, die er da auf sich lasten fühlt. Eine Verantwortung, die lähmt und blind macht für die Liebe und Unterstützung seiner Frau und seiner Tochter, von denen er sich mehr und mehr entfremdet, die seine einst inspirierenden Predigten zu einseitigen Verbotstiraden verkommen lässt. Doch als Ren sich ihm anvertraut, von seinen Problemen und Ängsten erzählt, beginnt der Schutzpanzer aufzubrechen, bricht sich Erkenntnis Bahn und kann Moore den Abschlussball und damit Lebensfreude zulassen und endlich auch wieder selbst empfinden. Ethan Freeman lotet jede Facette der Rolle aus, berührt mit nuanciertem Spiel und ausdrucksstarker Stimme, überzeugt als bigotter Pfarrer und als ratlos Suchender („Himmel, hilf mir!“) ebenso wie als strenger aber doch liebevoller Vater. Sichtlich viel Spaß macht ihm der mitreißende Schluss, in dem seine Figur den inzwischen ungewohnten Tanz wieder für sich entdeckt.

„Footloose“ (Foto: Nico Moser)

Vi Moore, der ruhende Pol und gleichzeitig die geheime Antriebskraft ihrer Familie und der ganzen Gemeinde, wird mit warmer, schöner Stimme und feinem Spiel herzlich bis ironisch von Kerstin Ibald großartig verkörpert, man leidet und freut sich jederzeit mit ihr. Sehr berührend ihr glücklich-staunendes „Wir tanzen!“ kurz vor dem großen Finale, mit dem aus der fürsorglichen Mutter, Ehe- und Pfarrersfrau wieder ein junges Mädchen wird.

Willard Hewitt ist der Klassenclown und fast schon der Dorfdepp. Er wird hinreißend komisch von Martijn Smids gegeben und hat zu jeder Zeit alle Sympathien. Zu ihm – aber das merken beide erst im Laufe der Show – gehört Rusty, herrlich kraftvoll gesungen und überzeugend gespielt von Manar Elsayed, deren fantastische Stimme außerordentlich beeindruckt.

Vielleicht sind die rosa Cowboys in der Tanzbar außerhalb Bomonts für die Gegend und Zeit etwas zu gay, aber das macht ebenso Spaß wie der Rap, der die Geschichte ein bisschen mehr in die Gegenwart holt.  Sehr wohltuend ist, dass unter den allesamt sehr spielfreudigen, wendigen und durchtrainierten Darstellern nicht nur Modelfiguren zu finden sind, sondern auch Menschen mit ganz normalem Körperbau sowie Darstellerinnen und Darsteller jenseits der 40. Das passt nicht nur zu den jeweiligen Rollen, es ist vielleicht auch der Beginn einer Trendumkehrung, was sehr zu begrüßen wäre. So ist „Footloose“ 2024 ein großer Spaß mit Tiefgang und tollen Mitwirkenden, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Everybody cut loose!

Text: Hildegard Wiecker

Hildegard Wiecker schreibt leidenschaftlich gern und hat Erfahrung als Rezensentin bei thatsMusical gesammelt, bevor sie zu kulturfeder.de kam.