Verkrampfter Versuch: „Ein bisschen Frieden“ in München
Erfolgskomponist Ralph Siegel mag offensichtlich keinen Stillstand und hat nach „Zeppelin“ in diesem Jahrzehnt noch ein weiteres Musical auf die Bühne gebracht. Sein neuestes Musical „Ein bisschen Frieden“ feierte nach einigen Startschwierigkeiten im Sommer 2023 Premiere im Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen und ist jetzt, ebenfalls in der Regie von Benjamin Sahler, am Deutschen Theater München zu sehen.
In Füssen noch mit dem Untertitel „Summer of Love“ beworben, wirbt man inzwischen mit einer „deutsch-deutschen Geschichte“. Damit lässt sich die Handlung auch hinreichend zusammenfassen. Das Publikum erlebt, verwebt über drei Generationen, die Liebesgeschichte zwischen dem ostdeutschen Rockmusiker Ricky und dem westdeutschen Hippie-Mädchen Elisabeth in einer politisch einschneidenden Zeit.
Vorneweg sei gesagt, dass alle Darstellerinnen und Darsteller technisch völlig einwandfrei abliefern. Besonders heraus sticht Jennifer Siemann, die eine erfrischende Natürlichkeit verkörpert und vor allem im Zusammenspiel mit Sonia Farke als gealterte Elisabeth schauspielerisch starke Momente kreiert. Überzeugen können auch die rockigen Stimmen von Tim Wilhelm, dem Leadsänger der Musikgruppe „Münchner Freiheit“ und Dan Lucas, welche die junge beziehungsweise alte Version von Ricky Steiner verkörpern.
Darüber hinaus scheint man in München auf einen Star-Effekt zu setzen, welcher allerdings aufgrund der tragischen Erkrankung von Heinz Hoenig nur teilweise abgerufen werden konnte. So sollen nun noch Namen wie Simone Ballack oder Stefanie Black den eher zurückhaltenden Kartenvorverkauf ankurbeln. Erstere meistert ihr Bühnendebüt in einer kleineren Rolle ohne Gesangseinlage passabel. Nachhaltig in Erinnerung bleiben wird diese Rolle jedoch kaum. Vielmehr sieht man sich dem krampfhaften Versuch gegenüber, wie die Künstlerinnen und Künstler vor der nicht zu lösenden Aufgabe stehen, gegen die enormen Schwächen des Stücks anzukommen.
Die Musik liefert Ralph Siegel selbst, in Form von Neukompositionen und älteren Stücken, wobei außer dem titelgebenden Lied, mit dem Nicole 1982 den Eurovision Song Contest gewann, kaum Stücke mit Wiedererkennungswert geliefert werden. Siegel hätte sicherlich mehr gewonnen und mehr echte Mitklatschmomente generiert, wenn er sich aus dem Repertoire seiner weiteren bekannten Hitkompositionen, vor allem aus dem Schlagerbereich, bedient hätte.
So liefert er einen eher nichtssagenden Soundtrack überwiegend im Rock-Pop-Stil, der im Text während der Lieder permanent unentschieden zwischen Deutsch und Englisch wechselt. Ausgelastet scheint die Band, welche aus Bass, Gitarre und Keyboard besteht, auch nicht zu sein, da mehrmals über die Bildschirme im Zuschauerraum störende Lichtblitze als Handybenachrichtigung aus dem Bandraum übertragen werden, was beim Publikum Irritationen auslöst.
Eine große Schwäche ist das Textbuch aus der Feder von Ronald Kruschak. Die über drei Stunden dauernde Aufführung strotzt vor Längen bei gleichzeitiger Oberflächlichkeit und entbehrlichen Charakteren. Warum man ein schier unendliches Lied der Moni im nervtötenden sächsischen Dialekt über sich ergehen lassen muss, während Sonia Farke ihrer Enkelin Nina ein gleichlautendes Lied widmet, was nach einer großem Musicalballade klingt, aber viel zu schnell wieder vorbei ist, bleibt ein Rätsel. Im Gegensatz dazu wurde auf die Rollenbeziehung zwischen Gesetzeshüter Walter Krause und Ricky Steiner nicht so viel Wert gelegt, denn fragt man sich beim Showdown mit Waffeneinsatz, warum noch eine solche Rechnung offen ist.
Was mit Abwechslungsreichtum punkten kann, ist die Choreografie von Stefanie Gröning. Hier wird alles geliefert, vom modernen Ausdruckstanz mit Stulpen im „Flashdance“-Stil über Contemporary, dem Einsatz von Bändern bis zur schmissigen Country-Einlage. Im Gegensatz dazu schnell ausgeschöpft sind die Möglichkeiten des Bühnenbildes. Hat man sich erst mal an den bewährten Einsatz von Projektionen als Hintergrundbild und dem Hochfahren der Unterbühne zum Abtrennen zwischen der Vergangenheit und Gegenwart gewöhnt, ergeben sich keine Überraschungen mehr.
Ralph Siegel, der angibt, in dem Musical „viele private, vor allem aber auch musikalische Ereignisse und Erfahrungen“ aus den 60 Jahren seines Wirkens verarbeitet zu haben, ist am Premierenabend in seiner Geburtsstadt München sichtlich bewegt. Der Applaus, der geschenkt wird, dürfte sicherlich mehr seinem Lebenswerk als dem Musical gewidmet sein. Bei Letzterem dürstet es auch niemanden nach einer Zugabe – und im Gegensatz zum gleichlautenden Lied, dürfte das Musical „Ein bisschen Frieden“ wohl kein Hit werden.
Text: Nathalie Kroj