
Bodyshaming: Wenn aus Kulturkritik eine beleidigende Körperkritik wird
Ein Satz in einer Opernkritik hat eine breite Debatte über den Tonfall, die Grenzen und die Verantwortung von Kulturkritik ausgelöst. Im Zentrum steht eine Rezension auf der Plattform „Der Opernfreund“, Deutschlands nach eigenen Angaben ältestes privates Opernmagazin, zur Inszenierung von Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ an der Musikalischen Komödie Leipzig.
Der Rezensent Dieter David Scholz schrieb am 25. Mai 2025 über die Sopranistin Friederike Meinke, die in der Rolle der Eurydike zu sehen ist: „Ihr recht plump erotisches Spiel dagegen, gepaart mit geradezu obszön exhibitionistischer Zurschaustellung ihrer allzu üppigen, kaum verhüllten, nicht eben ansehnlichen Weiblichkeit grenzte ans Peinliche, was der ganzen Aufführung zum Nachteil gereichte, zumal die Phonstärke ihres Singens gewiss nicht im Sinne Offenbachs war und befremdete wie ihr häufig ordinäres Lachen.“
Es ist ein Satz, der sprachlich komplett aus der Zeit gefallen ist – und nicht nur das: Die Wortwahl rief in den sozialen Medien einen Sturm der Entrüstung hervor. Nicht wenige Menschen werfen dem Kritiker Bodyshaming vor – also die Herabwürdigung eines Menschen aufgrund seines äußeren Erscheinungsbilds.
Betroffene Sopranistin äußert sich selbstbewusst
Auch die Betroffene selbst äußerte sich umgehend auf Instagram: „Danke, dass mein Gesang gelobt wurde. Und dass mein Spiel nicht jedem gefallen kann, ok. Aber Bodyshaming in ’ner Kritik 2025????“, schrieb Friederike Meinke. In einem kurzen Video zeigte sie sich selbstbewusst vor dem Spiegel mit den Worten, dass sie ganz zufrieden sei mit dem, was sie sehe.
Die Plattform „Der Opernfreund“ steht seither unter Druck. Chefredakteur Michael Demel – hauptberuflich Richter, nicht Journalist – verteidigte in einem Kommentar seinen Autor: Die Kritik sei eine subjektive ästhetische Bewertung, keine Diskriminierung. Körperlichkeit sei Teil der künstlerischen Darstellung, die bewertet werden dürfe und sogar müsse. Weiter betont er: Künstlerinnen und Künstler, die sich öffentlich präsentieren, müssten Kritik aushalten – andernfalls „sind sie im falschen Beruf.“ Die kritisierte Passage in der Rezension von Scholz wurde zwischenzeitlich entfernt, was die Redaktion „Zensur des Textes“ als „Maßnahme zur Befriedung der Lage“ nennt. Selbstreflexion? Fehlanzeige.
Pressefreiheit bedeutet nicht Narrenfreiheit
Das Argumentationsmuster: Kritik als Narrenfreiheit zu verstehen, die unter dem Deckmantel der Pressefreiheit und Subjektivität keine Verantwortung kennt. Aber darf eine Kritik, die Kunst analysieren will, dabei den Respekt vor dem Menschen verlieren?
In einer gemeinsamen Stellungnahme äußerten sich Leipzigs Opernintendant Tobias Wolff und Komödien-Direktor Torsten Rose: „Bodyshaming – also die Herabwürdigung von Menschen aufgrund ihres Körpers oder Aussehens – ist nicht akzeptabel. Nicht auf der Bühne, nicht im Alltag und auch nicht in der Kulturkritik.“ Sie machen deutlich, dass persönliche Abwertungen – insbesondere im Hinblick auf Körperlichkeit – die Grenze zulässiger Kritik überschreite. Kritische Auseinandersetzung mit künstlerischer Leistung sei essenziell, aber: „Diese Diskussion verliert […] an Qualität und Respekt, wenn sie in abwertende Kommentare zum Beispiel über körperliche Merkmale mündet.“
Zwischen Freiheit und Verantwortung
Der Fall wirft eine grundsätzliche Frage auf: Wie viel Subjektivität darf Kulturkritik sich erlauben, ohne dabei diskriminierende oder herabwürdigende Sprache zu verwenden? Ist jede Zuschreibung eines körperlichen Merkmals automatisch ein Tabubruch – oder gehört es zur Beschreibung des Bühnengeschehens?
Kritik ist keine neutrale Bestandsaufnahme, sondern immer hochgradig subjektiv und auch Perspektive, Haltung, Interpretation. Doch genau das verpflichtet zur Sorgfalt: Die Freiheit der Kritik endet dort, wo sie beginnt, Menschenwürde zu verletzen. Was bleibt, ist die Herausforderung, einen Sprachgebrauch zu finden, der künstlerische Leistung klar benennt – ohne herabzusetzen. Denn Kritik, die ernst genommen werden will, braucht keine Schläge unter die Gürtellinie. Sondern Argumente.
Text: Dominik Lapp
Ein Hinweis in eigener Sache: Als Redaktion haben wir uns dazu entschieden, die Rezension und den Kommentar von „Der Opernfreund“ in unserem Text nicht zu verlinken, weil wir für die Plattform keine zusätzlichen Klicks generieren möchten. Es ist ärgerlich genug, dass mit Bodyshaming offenbar mehr Reichweite erzielt werden kann als mit seriöser Berichterstattung. Denn so wichtig es ist, bei diesem Thema laut zu sein – der Shitstorm in den sozialen Medien und das Teilen der kritisierten Beiträge wird der Plattform sehr viel Reichweite und zahlreiche Klicks gebracht haben. So haben letztendlich wesentlich mehr Personen die herabwürdigenden Zeilen gelesen, als es ohne Shitstorm der Fall gewesen wäre (Stichwort: Streisand-Effekt).