„Die Weiße Rose“ in München und Füssen (Foto: Jonas Melcher)
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Musikalisches Mahnmal: „Die Weiße Rose“ in München und Füssen

„Man muss einen harten Geist und ein weiches Herz haben.“ – Dieser Satz Sophie Scholls, geschrieben kurz vor ihrer Verhaftung, hallt wie ein emotionales Leitmotiv durch das neue Musical „Die Weiße Rose“, das nach sechsjähriger Entwicklungszeit nun im Festspielhaus Füssen seine Uraufführung feierte, dann ins Deutsche Theater München transferiert wurde und jetzt wieder in Füssen zu sehen ist. In Zeiten, in denen demokratische Grundwerte brüchiger wirken denn je, trifft dieses Stück mit Wucht, Tiefe und einem klaren moralischen Kompass ins Herz und ins Denken seines Publikums.

Das Kreativteam um Vera Bolten (Buch, Songtexte, Regie) und Alex Melcher (Musik, Songtexte) wagt viel – und gewinnt, obwohl das Stück eher langsam in Gang kommt. Statt pathetischer Heldenverehrung zeigt „Die Weiße Rose“ eine junge Generation im Wandel: Die Geschwister Scholl (berührend glaubwürdig verkörpert von Friederike Zeidler und Jonathan Guth) beginnen als begeisterte Mitglieder der Hitlerjugend und durchlaufen eine glaubhafte, schmerzhafte Entwicklung vom Mitläufertum zur moralischen Klarheit und Zivilcourage.

In klarer dramaturgischer Struktur, die manchmal an „Spring Awakening“ oder „Ku’damm 56/59“ erinnert, entfaltet sich das Stück auf einer nahezu leeren, schwarzen Bühne. Schwarze Quader, Treppenelemente und geschickt platzierte Projektionen (Jens Hahn) von Sophie Scholls Zeichnungen verwandeln den Raum – assoziativ, niemals dekorativ. Diese Reduktion schafft Luft zum Atmen, für Worte, Stimmen, Stille.

Musikalisch bedient sich Alex Melcher einer klugen Mischung aus melancholischen Balladen, rockigen Passagen und dynamischem Ensemblegesang. Kein Musicalhit zum Mitpfeifen, aber ein emotionaler Soundtrack, der das Innenleben der Figuren musikalisch auffächert. Schauspielerisch stark und stimmlich homogen getragen wird das Werk von einem Ensemble, das auf besonders hervorgehobene Stars verzichtet und genau darin seine Kraft findet.

„Die Weiße Rose“ in München und Füssen (Foto: Michael Böhmländer)

Friederike Zeidler als Sophie Scholl, Jonathan Guth als Hans Scholl, Adam Demetz als Alexander Schmorell, Maximilian Aschenbrenner als Christoph Probst, Julius Störmer als Willi Graf, Martin Planz als Robert Scholl und Kurt Huber, Juliette Lapouthe als Inge Scholl, Oliver Natterer als Fritz Hartnagel, Tamara Köhn als Traute Lafrenz, Daniel Berger in mehreren Rollen und Claudia Hauf als Magdalena Scholl sind allesamt beeindruckend – besonders das Zusammenspiel der zentralen Widerstandskämpfer, die weniger als historische Monumente, sondern als fühlende, ringende junge Menschen gezeigt werden – voller Zweifel, Sehnsucht, Angst und Hoffnung.

Es ist diese menschliche Nahbarkeit, die „Die Weiße Rose“ von vielen historischen Stoffen abhebt. Das Stück erzählt nicht nur von Widerstand, sondern vom Erwachsenwerden in einer Zeit, in der Menschlichkeit Mut bedeutete. Der erste Kuss wird zur Rebellion, ein Lied zum Aufschrei, ein Flugblatt zur Waffe.

Und doch bleibt Vera Bolten in ihrer Inszenierung, die von Bart de Clercq sehr gut choreografiert wurde, konsequent klar: Es geht nicht um Heldenerzählungen, sondern um Verantwortung – damals wie heute. In Zeiten, in denen rechte Parolen wieder nahezu salonfähig werden, ist „Die Weiße Rose“ ein musikalisches Plädoyer für Zivilcourage und Menschlichkeit, das den Blick nicht nur zurück, sondern entschieden nach vorn richtet.

Am Ende herrscht Stille, dann Applaus – laut, ehrlich, bewegt. Man verlässt das Theater mit einem Kloß im Hals und dem Gefühl, gerade etwas Wichtiges erlebt zu haben. Ein Musical, das nicht unterhält, sondern aufrüttelt. Und das ist dringend notwendig.

Text: Christoph Doerner

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Nach seinem Studium der Musiktheaterwissenschaft, einem Volontariat sowie mehreren journalistischen Stationen im In- und Ausland, ist Christoph Doerner seit einigen Jahren als freier Journalist, Texter und Berater tätig.