
Ein Ozeanriese auf der Bühne: „Titanic“ in Mönchengladbach
Der Titanic-Mythos lebt von der Mischung aus technischer Faszination und menschlicher Tragödie. Regisseur Ansgar Weigner bringt in seiner Inszenierung des Musicals „Titanic“ am Theater Mönchengladbach, einer Übernahme aus Osnabrück, genau diese Spannung auf die Bühne – und verzichtet dabei klugerweise auf billiges Spektakel.
Stattdessen richtet er den Blick auf die Menschen, ihre Träume und Ängste, ihre Hoffnungen und ihr Scheitern, flankiert von der schieren Präsenz eines Schiffs, das hier vor allem als Projektion in der Fantasie der Zuschauenden Fahrt aufnimmt. Gleich zu Beginn des Werks von Maury Yeston (Musik und Songtexte; Übersetzung: Wolfgang Adenberg) und Peter Stone (Buch) entsteht mit Schwarzweißbildern und animierten Sequenzen des Ozeanriesen und seines Wracks eine bedrückende historische Vergegenwärtigung, die den Ton des Abends bestimmt.
Darko Petrovic liefert dazu ein Bühnenbild, das mit wenigen, verschiebbaren Versatzstücken Kabinen, Decks und Maschinenräume evoziert, während die Projektionen die Dimensionen der Titanic andeuten. Seine Kostüme sind detailgetreu an historischen Vorbildern orientiert, so dass die Klassenschranken der Gesellschaft in jedem Auftritt sofort sichtbar werden.
Die Choreografie von Sabrina Stein bleibt dezent, fast beiläufig. Nur die Nummer „Beim Klang der Ragtime-Band“ bricht als heitere Zwischenszene aus der ansonsten ernsthaften Erzählweise heraus – eine wohlgesetzte, dramaturgische Auflockerung.
Musikalisch hält Sebastian Engel die Zügel fest in der Hand. Er entfaltet die Partitur mit sicherem Gespür für die Balance zwischen den großen, chorischen Tableaus und den lyrischen, oft fragilen Solopassagen. Das Orchester klingt druckvoll, ohne zu übertönen, und Engel schenkt dem musikalischen Fluss eine Eleganz, die das Publikum unweigerlich in den Bann zieht.
Im Ensemble ragen mehrere Leistungen heraus. Tobias Wessler gibt dem Kapitän E. J. Smith ein würdiges, stoisches Profil, das in den entscheidenden Momenten eine berührende Unsicherheit durchschimmern lässt. Lukas Witzel als Funker Harold Bride bringt frische Energie auf die Bühne, während Oliver Arno den Konstrukteur Thomas Andrews mit feinem Spiel und starker Stimme als tragischen Visionär zeigt. Markus Heinrich zeichnet den Schiffseigner J. Bruce Ismay mit schauspielerischer Präzision zwischen Machtbewusstsein und Nervosität.
Für humorvolle Farbtupfer sorgt Gabriela Kuhn als Alice Beane, die ihre soziale Ambition in köstlich überspitzten Momenten entfaltet. Besonders rührend sind Debra Hays und Thomas Peter als Ehepaar Straus, deren Entscheidung, gemeinsam unterzugehen, zu einem der stillen Höhepunkte des Abends gerät. Jeanne Jansen überzeugt als irische Auswanderin Kate McGowan mit kraftvoller Stimme und spürbarer Hingabe.
Der Chor unter der Leitung von Michael Preiser erweist sich als eigentliche Hauptfigur. Mit gewaltiger Klangfülle trägt er die kollektive Hoffnung der Auswandernden in „Gute Fahrt“ und lässt in „Wir sehen uns wieder“ die Tragödie eindringlich nachhallen. Diese Momente erinnern daran, dass die Titanic nicht nur eine Geschichte Einzelner, sondern ein Symbol für den Traum und das Scheitern einer ganzen Epoche ist.
So gelingt es Ansgar Weigner, die Titanic in Mönchengladbach aufleben zu lassen – nicht als gigantisches Spektakel, sondern als kluge, vielschichtige Studie menschlicher Schicksale, getragen von eindrucksvoller Musik und einem engagierten Ensemble.
Text: Christoph Doerner